Auch wenn Südafrikaner ständig über Miseren schimpfen – die meisten sind stolz auf ihre junge Demokratie. Besonders deutlich wurde das bei der Fußball-WM 2010. Anders als derzeit in Brasilien schienen sich alle Südafrikaner zu freuen. Sie präsentierten sich als fröhliche, gelassene Gastgeber – fast so, als ob der Traum des Nationalhelden Nelson Mandela von einer friedlichen, versöhnten „Regenbogengesellschaft“ schon Wirklichkeit wäre.
Als Präsident Jacob Zuma jüngst in seiner Bilanz von 20 Jahren Demokratie Südafrika als einen stabilen, demokratischen Rechtsstaat pries, erntete er kaum Widerspruch. Auch die heftigsten Kritiker des seit 1994 regierenden Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) erkennen an, dass es in diesem „wunderbaren Land mit seinen großartigen Menschen“ Fortschritte gegeben hat, so Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu.
Sumpf des Rückschritts
Ex-Präsident Frederik Willem de Klerk versäumt bei allem Zorn über Fehlentwicklungen nicht, die Verfassung als „eine der besten der Welt“ zu würdigen.
Der Publizist Max du Preez schrieb, Südafrika dürfe sich nicht vergleichen mit „makellosen Staaten“ wie Schweden. Verglichen mit der Türkei, mit Indien, Brasilien, Nigeria oder Russland stehe Südafrika allerdings sehr gut da.
Ex-Minister Jay Naidoo erinnert an „eine Reise von der Dunkelheit der Diktatur in das Licht der Demokratie. Wir sollten feiern, auf den Straßen tanzen.“ Aber in Party-Stimmung sei offenbar niemand. Denn Südafrika versinke im „Sumpf des Rückschritts“. Der frühere Gewerkschaftsführer empört sich über Arbeitslosigkeit, Armut, Kriminalität, Ungleichheit und Korruption: „Vor 20 Jahren dachten wir, wir haben gewonnen, aber haben es nicht.“
Ungleichheit
Auch de Klerk klagt: „Weltweit gibt es kaum so viel Ungleichheit wie bei uns.“ UN-Studien stützen den Vorwurf. Massenarmut und Reichtum weniger prägen das Land mit seinen 52 Millionen Einwohnern.
Präsident Zuma betont, dass es Südafrika sehr viel besser gehe als vor 20 Jahren. 3,3 Millionen Familien bekamen vom Staat ein Haus. Wohnten 1994 noch mehr als 60 Prozent der Menschen in provisorischen Behausungen ohne Strom und Wasser, so sind es heute nur noch 14 Prozent. Erfolge gab es beim Kampf gegen Kindersterblichkeit, Analphabetismus, Schulabbruch und HIV-Infektionen. 16 Millionen Menschen bekommen vom Staat Unterstützung, meistens Kindergeld. Damit wird verhindert, dass Millionen in extremer Armut leben.
Qualifizierte Kräfte
Aber die sozialen Probleme bleiben enorm: Die Arbeitslosigkeit liegt bei über 25 Prozent, 40 Prozent der Schwarzen sind ohne Job, ebenso jeder zweite junge Mensch. Die Landreform, die die Dominanz der Weißen in der Landwirtschaft beenden sollte, gilt als gescheitert. Der Versuch der Regierung, mit einem komplizierten Quoten-Programm („Black Economic Empowerment“) Wirtschaft, Behörden und Institutionen zu zwingen, mehr Schwarze und Farbige in Führungspositionen zu bringen, war kaum erfolgreich.
Das Programm habe vor allem qualifizierte Kräfte aus Verwaltung, Universitäten und Justiz verdrängt, und der „Korruption Tür und Tor geöffnet“, so der Direktor des Politikinstituts Ifaisa (Kapstadt), Paul Hoffman. Er spricht von „umgekehrtem Rassismus“. Nun würden oft Weiße diskriminiert.
Machtgewinn
Auch die Führerin der oppositionellen Demokratischen Allianz, Helen Zille, moniert: „Es geht der Regierung nicht darum, wegen ihrer Rasse Benachteiligte zu fördern, sondern um Machtgewinn einer Elite mittels Vetternwirtschaft.“ Der Direktor des Zentrums für Demokratie-Studien (Universität Johannesburg), Steven Friedman, fügt hinzu: „Die unbequeme Wahrheit ist, dass Rasse noch immer eine zentrale Rolle in unserer Gesellschaft spielt.“
Selbst Helden des Kampfes gegen die Apartheid sind verbittert: Naidoo sieht eine „Tragödie ungeheuren Ausmaßes“, denn „unsere Führer haben uns im Stich gelassen“. Tutu spricht von einer „Perversion der Freiheit“. Der wortgewaltige Geistliche sieht „die Demokratie in Gefahr“. Tutu will bei der Wahl im Mai auf keinen Fall seine Ex-Kampfgefährten im ANC wählen. Auch de Klerk wirft vielen Politikern vor, sie nutzten ihre Macht zur persönlichen Bereicherung.
„Abgrund des Desasters“
Zuma sieht sein Land dennoch als „Quelle der Inspiration für alle in der Welt, die ernste Konflikte lösen wollen“. Südafrika habe am „Abgrund des Desasters“ gestanden und einen friedlichen Weg gefunden.
Dieses Verdienst bleibt dem Land von Nelson Mandela. Wie sehr das Versöhnungswerk des Freiheitskämpfers anerkannt wird, zeigten die Trauerfeiern bei seinem Tod im Dezember, zu denen ungewöhnlich viele Führer aus aller Welt kamen. Aber viele glauben, Südafrika verrate zunehmend die Ideale Mandelas. Der Ex-Abgeordnete und angesehene Rechtswissenschaftler Alex Boraine sieht für Südafrika sogar die Gefahr, wegen der verheerenden Korruption und Misswirtschaft bald schon „ein gescheiterter Staat“ zu werden.
De Maart

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