Polen wechselt in den Angriffsmodus

Polen wechselt in den Angriffsmodus
(Michael Sohn)

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Kurz vor Ablauf einer Frist der EU-Kommission im Streit um das polnische Verfassungsgericht zeigt die polnische Regierungschefin Nerven und Angriffslust.

So angriffslustig hatte sich Beata Szydlo lange nicht gezeigt: Drei Tage vor Ablauf einer Frist der EU-Kommission im Streit um die umstrittene Justizreform trat die nationalkonservative polnische Regierungschefin die Flucht nach vorn an. „Nicht Polen hat ein Problem mit seiner Reputation, sondern die EU-Kommission“, sagte sie am Freitag im polnischen Parlament und betonte stolz: „Polen ist ein souveräner Staat. Wir führen keine Verhandlungen, wir führen einen Dialog.“

Der Streit um das Verfassungstribunal ist fast so alt wie die sechsmonatige Regierungszeit von Szydlos nationalkonservativer Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), die im Warschauer Parlament die absolute Mehrheit hat. Unmittelbar vor Weihnachten verabschiedete das Parlament das Gesetz, das nach Ansicht von Kritikern das Verfassungsgericht lähmt. Die Richter selbst erklärten es im März für verfassungswidrig.

„Ich bin vor allem Polin“

Die EU-Kommission eröffnete zu Jahresbeginn ein Verfahren zum Schutz der Rechtsstaatlichkeit in Polen. Sollte die Warschauer Regierung nicht bis Montag Zweifel über das Gesetz ausräumen, will Brüssel den nächsten Schritt in dem Verfahren einleiten. „Die polnische Regierung wird nie einem Ultimatum nachgeben. Sie wird nie zulassen, dass den Polen der Willen eines anderen aufgezwungen wird“, rief Szydlo am Freitag unter dem Jubel der PiS-Abgeordneten.

„Ich bin Europäerin, aber vor allem bin ich Polin.“ Den liberalkonservativen Amtsvorgängern der Bürgerplattform (PO) warf sie vor, sie hätten sich „Bedingungen aus Brüssel diktieren“ lassen. Die Bedenken der EU-Kommission gegen die Gesetzesreformen ihrer Regierung – für Szydlo sind sie eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten Polens. Dass sie sowohl von Rechtsexperten des Europarates als auch von Juristen in Polen geteilt werden, lässt sie nicht gelten.

„Sie sollten sich schämen!“

Nerven zeigte Szydlo, als der PO-Vorsitzende und frühere Außenminister Grzegorz Schetyna ans Rednerpult trat. „Das ist ein trauriger Tag für die polnische Demokratie, ein trauriger Tag für das polnische Parlament“, sagte er über Szydlos Auftritt. „Auf Sie wartet das Staatstribunal“, erinnerte Schetyna an die Weigerung Szydlos, das Urteil der Verfassungsrichter über die Justizreform im gesetzlichen Amtsblatt zu veröffentlichen und ihm damit zur Gültigkeit zu verhelfen. In den Augen der Opposition begeht die Regierung Rechtsbruch.

Anfangs hörte die Regierungschefin noch mit versteinerter Miene zu. Doch dann verließ sie mit ihrem Kabinett und einem großen Teil der PiS-Abgeordneten den Sitzungssaal, als Schetyna rief: „Sie sollten sich schämen!“ Andere PiS-Redner sahen einmal mehr das derzeitige Problem der EU in Deutschland, wo es eine „Zensur über Vorfälle mit Immigranten“ gebe und polnischen Kindern Unterricht in polnischer Sprache verweigert werde.

„Fremde Besatzer“

In der hitzig geführten Debatte war von einem „politischen Bürgerkrieg“ in Polen die Rede. Ryszard Petru von der liberalkonservativen Oppositionspartei Nowoczesna warf der Regierung vor, im Streit um das Verfassungsgericht Chaos geschaffen zu haben und nun keinen Ausweg zu wissen. Rückendeckung erhielt Szydlo hingegen von Robert Winnicki, dem Führer der Nationalen Bewegung: Der fraktionslose Abgeordnete forderte, die EU-Fahne aus dem Parlament zu entfernen, da sie für „fremde Besatzer“ stehe.

Die blaue EU-Fahne mit den goldenen Sternen blieb allerdings auf ihrem Platz neben der weiß-roten Nationalfahne Polens. Und vor Szydlos Regierungskanzlei wehten weiterhin die Transparente der Demonstranten, die im Streit um das Verfassungsgericht fordern: „Beata, drukuj ten wyrok!“ (Beata, druck das Urteil).