Donnerstag13. November 2025

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„Papa“ Juncker, der zahnlose Tiger

„Papa“ Juncker, der zahnlose Tiger
(dapd/Laurent Dubrule)

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Viel wird über Jean-Claude Junckers Zustand philosophiert. Für so manchen ist der EU-Kommissionspräsident bereits angezählt. Ist dem wirklich so? Brüssel-Kenner tun sich schwer.

Sommerzeit heißt Sommerloch für Medien: Trotz der vielen Anschläge beruhigt sich der mediale Wirrwarr selbst momentan. Politiker und Beamte gehen in Ferien, das politische Geschäft dreht um einiges langsamer. Journalisten kommen endlich dazu, lange Hintergrund-Stories zu schreiben – oder sie saugen sich vermeintliche Analysen aus den Fingern.

Ein gutes Beispiel hierfür ist die Analyse des Brüssel-Korrespondenten der belgischen Qualitätszeitung Le Soir. Jurek Kuczkiewicz ist eigentlich dafür bekannt, fundierte und wohl recherchierte Geschichten zu schreiben. Dies ist nicht anders bei seiner aktuellsten Story über EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker.

Allerdings hat das Ganze einen Haken: Die Story „Juncker peut-il encore sauver l’Europe?“ klingt zunächst vielversprechend. Ein Ja oder Nein auf diese Frage würde Fakten verlangen. Allerdings erinnert Kuczkiewiczs Titelstory (!) eher an eine Bilanz der Juncker-Kommission. Es wird rekapituliert, was Luxemburgs ehemaliger Premier während seiner Zeit an Europas Spitze bislang erreicht hat.

Juncker-Floskeln

Somit bietet der Artikel in keiner Weise irgendeine Antwort auf die von Le Soir gestellte Frage. Es wird ein wenig über Junckers Alkoholproblem philosophiert (Breaking News, nicht wahr?), sein gesundheitlicher Zustand wird kurz thematisiert und die typischen Juncker-Floskeln noch einmal unter die Lupe genommen.

Dass Junckers „Hello, dictator“ nicht bei jedem gut angekommen ist, weiß mittlerweile jeder. Und auch die oft väterliche, bevormundende Rhetorik des Kommissionspräsidenten braucht nicht wirklich einer langatmigen Erklärung. Somit erinnert die Doppelseite in Le Soir ein wenig an verlorene Liebesmühe.

Was kann die Kommission?

Die wohl prägnanteste Aussage in Kuczkiewiczs Geschichte stammt von Pierre Defraigne. Der ehemalige Kabinettchef des französischen EU-Kommissar für Außenhandel, Pascal Lamy, bringt Junckers Rolle auf den Punkt: „Gibt es heute Platz für eine politische Kommission mit Initiativrecht? Man hat ihr dieses Recht verweigert und diesen Zustand unter Barroso akzeptiert. Aber es zurückzuerobern, ist außergewöhnlich schwierig in Anbetracht der Trägheit Deutschlands, der Schwäche Frankreichs und des Abgangs von Großbritannien.“

Defraigne sieht bislang wenig glorreiche Projekte, die von der EU-Kommission ausgehen, um die Politik in Europa grundlegend zu verändern: „Alles, was man als politisch beurteilen kann, sind der Investitionsplan oder gut formulierte juristische Projekte, die aber schwer umzusetzen sind wie der Flüchtlingsplan.“ So lautet seine Bilanz unzweideutig: „Man spricht der EU-Kommission eigentlich nicht das Recht zu, Regeln zu verletzen. Dabei ist gerade dies Ermessenssache einer wahren Exekutivmacht in allen Regimen. Aber in einer Europäischen Union, die durch Regeln charakterisiert ist, bleibt der Spielraum sehr begrenzt. So erstickt man die Kommission.“

„Der Berg kreißte“

Klartext: Juncker tut, was er kann, seine Kommission ist aber aus institutioneller Perspektive ein zahnloser Tiger. Auch ein anderer europäischer christlich-konservativer Politiker wird anonym zitiert. Die von Juncker viel gepriesene „politische“ Kommission sei gescheitert. Die Staaten seien nicht dazu bereit, Kompetenzen an Brüssel abzutreten, und wenn sie dies täten, geschehe es nach dem Motto: „Der Berg kreißte und gebar eine Maus.“

So kommt der zitierte Konservative zur Schlussfolgerung: „Das Problem ist, dass das Europa von Papa tot ist. Nur, dass Papa noch immer da ist: Es ist Juncker!“