Mutmaßlicher Boston-Bomber soll reden

Mutmaßlicher Boston-Bomber soll reden
(dpa)

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Warum die Bomben von Boston? Der gefasste Terrorverdächtige ist so schwer verletzt, dass er nicht sprechen kann. Seinen Bruder hatte das FBI als "radikalen Islamisten" im Visier - aber nur bis 2012.

Ärzte kämpfen um sein Leben, Sonderermittler stehen zum Verhör bereit: Nach der dramatischen Festnahme des Terrorverdächtigen hofft Amerika auf eine Aussage zum Motiv für den Bombenanschlag auf den Boston-Marathon. In einer Verfolgungsjagd, die die 625 000-Einwohner-Stadt in Atem hielt, hatte die Polizei den 19-jährigen Dschochar Zarnajew am Freitagabend (Ortszeit) nach einem Schusswechsel schwerverletzt gefasst. Sein Bruder und mutmaßlicher Komplize Tamerlan (26) war auf der Flucht von der Polizei getötet worden.

In einem Krankenhaus wurde Dschochar Zarnajew nach US-Medien künstlich beamtet und war zunächst nicht vernehmungsfähig. „Wir hoffen, dass der Verdächtige überlebt, denn wir haben eine Million Fragen“, sagte der Gouverneur von Massachusetts, Deval Patrick.

Verletzung am Hals

Dschochars Zustand war am Sonntag weiter ernst. Er habe eine Verletzung am Hals erlitten und sei noch nicht in der Lage zu sprechen, berichtete der Nachrichtensender CNN unter Berufung auf einen Bundesbeamten. Er wird im streng bewachten Beth Israel Deaconess Medical Center in Boston behandelt. Dort liegen auch elf seiner Opfer.

Der 19-jährige Dschochar Zarnajew hatte sich verletzt in einem Garten in einem abgedeckten Boot versteckt. Er wurde im Bostoner Vorort Watertown gestellt und schwer verletzt in ein Krankenhaus gebracht, wie die Polizei mitteilte. Wann gegen den 19-Jährigen Anklage erhoben wird, war am Samstag noch unklar. Der Polizeichef von Watertown, Edward Deveau, äußerte sich überzeugt, dass die beiden Brüder Zarnajew allein gehandelt haben. „Nach dem, was wir wissen, waren sie allein.“

Tamerlan 2011 vom FBI überprüft

Das FBI hatte Tamerlan bereits 2011 als „radikalen Islamisten“ im Visier – ohne Hinweise auf terroristische Aktivitäten zu finden. Damals wurde Zarnajew auf Wunsch einer ausländischen Regierung überprüft, wie die Bundespolizei mitteilte. Das Ersuchen habe sich auf Informationen gestützt, wonach Tamerlan sich von 2010 an drastisch verändert habe. Er habe Vorbereitungen getroffen, die USA zu verlassen, um sich nicht näher beschriebenen Untergrundgruppen in besagtem Land anzuschließen, hieß es. Das FBI überprüfte ihn damals, sprach auch mit ihm selbst und Familienangehörigen.

Die Bundespolizei nahm ihre Untersuchungen allerdings nicht wieder auf, als Zarnajew im Sommer 2012 von einer sechsmonatigen Reise nach Dagestan und Tschetschenien in die USA zurückkehrte, wie Mitarbeiter einräumten. Nach Recherchen des investigativen Reporternetzwerks „Pro Publica“ und der „New York Times“ hatte sich Zarnajew nach seiner Rückkehr sichtbar radikalisiert. Auf der Internetplattform Youtube stellte er demnach islamistische Videos ein. Er habe sich auch Seiten angesehen, auf denen sich Anleitungen zum Bombenbau finden.

Welche Höchststrafe Dschochar Zarnajew droht, hängt davon ab, ob er nach Landes- oder Bundesrecht angeklagt wird: Massachusetts kennt keine Todesstrafe, die USA als Staat aber schon. CNN zitierte einen Beamten aus dem Justizministerium mit den Worten, Zarnajew müsse sich wohl nach Bundesrecht wegen Terrorismus verantworten und nach Landesrecht wegen Mordes.

Welche Rechte hat mutmaßlicher Boston-Bomber?

In den USA wird auch darüber gestritten, ob Zarnajew ein Recht zu schweigen oder auf einen Anwalt hat. Das Justizministerium hat vorläufig entschieden, den 19-Jährigen zunächst ohne diese sogenannten „Miranda-Rechte“ zu verhören. Eine Ausnahmeregelung macht dies möglich, wenn unmittelbare terroristische Gefahr besteht und der Festgenommene als „feindlicher Kämpfer“ identifiziert ist.

Deveau gab am Samstag zugleich Details zur Festnahme bekannt. Der 19-Jährige habe nach langer Verfolgung letztlich aufgegeben. „Schließlich tat er, was wir ihm befohlen hatten, stand auf und hob sein Hemd hoch“, sagte Deveau in einem Interview des TV-Senders CNN. Die Polizei wollte so sehen, ob der Verdächtige Sprengstoff bei sich trug. Deveau sprach von „20 Minuten Verhandlungen“ mit dem Schwerverletzten. Er räumte allerdings ein, dass Zarnajew dabei „nicht viel gesagt“ habe. Er habe aber noch um sich geschossen.

Obama verspricht „lückenlose Aufklärung“

US-Präsident Barack Obama lobte nach der Festnahme in einer kurzen Rede im Weißen Haus die Arbeit der Sicherheitsbehörden und kündigte lückenlose Aufklärung an. Bei dem Anschlag auf den Boston-Marathon waren am Montag drei Menschen getötet und 180 verletzt worden.

In Watertown strömten die Menschen auf die Straße, jubelten und applaudierten, als die Festnahme bekanntwurde. Die Bostoner Polizei twitterte um 20.58 Uhr Ortszeit (2.58 Uhr MESZ): „Die Jagd ist aus. Die Fahndung ist vorüber. Der Terror ist vorbei. Und Gerechtigkeit hat gesiegt. Verdächtiger in Haft.“

Russland und die USA wollen gemeinsam ermitteln

Die Brüder sind nach bisherigen Erkenntnissen tschetschenischer Herkunft, lebten aber mit ihren Familie bereits seit 2002 in den USA. Beide Söhne sind laut FBI in Kirgistan geboren. Dschochar sei inzwischen in den USA eingebürgert, Tamerlan habe eine ständige Aufenthaltserlaubnis gehabt. Bei der Ermittlungen wollen Russland und die USA eng zusammenarbeiten. Bislang allerdings habe Moskau noch keine wertvollen Hinweise liefern können, meldete die Agentur Interfax am Samstag unter Berufung auf Sicherheitskreise.

Subeidat Zarnajewa, die sich als Mutter der beiden Männer ausgab, sagte dem englischsprachigen Staatsfernsehen Russia Today, ihr Sohn Tamerlan habe sich seit etwa fünf Jahren stark für den Islam interessiert. „Aber er hat nie gesagt, dass er den Weg des Dschihads einschlagen will.“