Alles was zählt, ist der freie Wille des Patienten

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Kommenden Donnerstag soll im Parlament das Gesetz zur Sterbehilfe verabschiedet werden. Das Tageblatt bat in diesem Zusammenhang die Co-Autoren des Gesetzesvorschlags Lydie Err (LSAP) und Jean Huss („déi gréng“) sowie den DP-Abgeordneten und ehemaligen Gesundheitsminister Carlo Wagner zum Gespräch.

Tageblatt: Im geplanten Gesetz zur Sterbehilfe heißt es, dass eine Person, die Sterbehilfe für sich in Anspruch nehmen will, ihren Wunsch freiwillig, überlegt, wiederholt und ohne äußeren Druck formulieren muss. Die Gegner der Euthanasie aber behaupten, dass es einen selbstbestimmten Tod nicht geben kann. Niemand sei am Lebensende wirklich physisch oder psychisch frei. Was sagen Sie zu diesem Vorwurf?
Jean Huss: „Im Grunde genommen ist es eine Anmaßung, einfach so zu behaupten, kein Mensch habe den freien Willen, am Ende seines Lebens sich für den einen oder anderen Weg zu entscheiden. Viele Patienten, die sich in einer ausweglosen, verzweifelten Situation befinden, sind sich dieser sehr wohl bewusst. Als denkende und mündige Bürger sind sie sehr wohl in der Lage – und darum geht es letztendlich –, selbst zu entscheiden, ob sie noch leben wollen oder nicht. Voraussetzung ist allerdings – und der Gesetzesvorschlag sieht dies ja auch vor –, dass der Betroffene über die Möglichkeiten der kurativen und der Palliativmedizin, über mögliche Schmerzbehandlungen, insbesondere über die ’sédation terminale‘, über künstliches Koma, über ein in diesem Zusammenhang mögliches Dahinvegetieren genauestens informiert wurde.“

Das geplante Gesetz in Kürze

Hauptpunkt des Gesetzesvorschlags der Abgeordneten Lydie Err und Jean Huss ist die Depenalisierung der Sterbehilfe.
In anderen Worten soll es einem Patienten fortan erlaubt sein, die Hilfe eines Arztes in Anspruch zu nehmen, um vorsätzlich aus dem Leben zu scheiden.
Sterbehilfe soll aber nur dann straffrei sein, wenn verschiedene Bedingungen erfüllt sind.
 Der betroffene Patient muss volljährig sein und sich in einer medizinisch ausweglosen Situation befinden.
 Zudem muss er unter physischen oder psychischen Schmerzen leiden, ohne Aussicht auf Besserung dieser Situation.
 Der Patient muss außerdem seinen Wunsch, aus dem Leben scheiden zu wollen, in einem freiwilligen und wohl bedachten Antrag, frei von jeglichem externen Druck, formulieren und gegebenenfalls wiederholen.
 Auch muss der Patient von seinem Arzt über seinen Zustand und die entsprechenden medizinischen Möglichkeiten informiert werden.
 Schließlich muss der behandelnde Arzt einen zweiten Arzt bezüglich der Schwere und der Unheilbarkeit der Erkrankung zu Rate ziehen.

Lydie Err: „Und genau aus diesem Grund sind wir auch gegen den sogenannten palliativen Filter, also dagegen, dass, wie z.B. von der CSV gefordert, Sterbehilfe erst möglich sein soll, wenn alle palliativen Maßnahmen nicht mehr greifen. Denn spätestens nach einer palliativen Behandlung, spätestens dann, sind die Betroffenen nicht mehr fähig, klar zu denken und ihren Willen frei zu äußern.“

„T“: Ein von den Sterbehilfegegnern immer wieder angeführtes Argument gegen das geplante Gesetz sind mögliche Missbräuche. U.a. behaupten sie, dass ältere und kranke Menschen, aus Angst, ihrer Familie oder ihren Mitmenschen zur Last zu fallen, auf Sterbehilfe zurückgreifen könnten …
Carlo Wagner: „Personen, die dies behaupten, gehen davon aus, dass die Menschen a priori schlecht sind. Ich persönlich bin nicht dieser Meinung. Und eigentlich gibt es laut Gesetz ja nur zwei Möglichkeiten: Entweder ist die betroffene Person bei Bewusstsein oder sie ist es nicht. In letzterem Fall muss die Person, die auf Sterbehilfe zurückgreifen will, im Vorfeld ein Sterbetestament verfasst haben. Dann muss immer noch der Arzt entscheiden, ob er die Sterbehilfe durchführt oder nicht. Im ersten Fall ist die Situation noch klarer: Eine Person, die bei Bewusstsein ist, muss das Recht haben, frei zu entscheiden, ob sie ggf. dahinvegetieren will oder nicht.
Was nun das angesprochene Argument bezüglich älterer und kranker Menschen betrifft, so muss ich sagen, dass, wenn man anderen nicht zur Last fallen will, auch dies eine freie Wahl ist.“
J.H.: „Oft wird die Situation auch so dargestellt, als ob Menschen aus Einsamkeit auf Sterbehilfe zurückgreifen würden. Wenn man als Beispiel nur die prominentesten ausländischen Fälle von Sterbehilfe betrachtet, sieht man, dass diese Personen nachweislich nach Kräften von ihren Familien unterstützt wurden. Teilweise jahrelang. Sie waren also nicht allein. Ganz im Gegenteil.“

„T“: Ist das geplante Gesetz ausreichend, um den „umgekehrten“ Missbrauch zu verhindern? Anders gefragt: Kann das Gesetz verhindern, dass Familien sich der Sterbehilfe bedienen, um sich – aus welchen Gründen auch immer – eines kranken Angehörigen zu „entledigen“?
L.E.: „Selbstverständlich. Denn im Gegensatz zu der derzeit gängigen Praxis, dass Kranke ohne Kontrolle und dem alleinigen Willen des Arztes ausgeliefert sterben, sollen die Menschen zukünftig entsprechend den Bedingungen eines demokratisch verabschiedeten Gesetzes und in aller Transparenz sterben dürfen. Und dies exklusiv auf ihren persönlichen und ausdrücklichen Wunsch hin. Hier geht es nicht darum, was der Arzt oder die Familie will, es geht einzig und allein um den Willen des Patienten.“
J. H.: „Missbrauch gibt es dort, wo es keine Kontrolle und keine Transparenz gibt. Nehmen wir das Beispiel Frankreich. Laut offiziellen Zahlen werden in unserem Nachbarland jedes Jahr 10.000 Fälle von Sterbehilfe hinter den Kulissen abgewickelt. Ich wage zu behaupten, dass dies im Verhältnis in allen Ländern ohne Sterbehilfekontrolle der Fall ist. Missbräuche werden also nicht durch unser Gesetz geschaffen.“

„T“: Ein Streitpunkt im geplanten Strebehilfegesetz ist und war die Einführung einer Kontrollkommission. Die Ärzte fürchteten um ihre gesetzliche Absicherung. Bekommen die Ärzte mit dem geplanten Gesetz und u.a. der Einführung einer sogenannten Ex-Post-Kommission die geforderte und benötigte Rechtssicherheit?
C. W.: „Sowohl zivil- als auch strafrechtlich wurde alles unternommen, um die Ärzte, die Sterbehilfe leisten, vor einer Strafverfolgung zu schützen. Vorausgesetzt, sie halten sich an die gesetzlichen Vorgaben. Ich bin der Meinung, dass die Ärzte mit der vorliegenden Regelung absolut beruhigt sein können.
Zur Ex-Post-Kommission kann ich nur sagen, dass ursprünglich eine Ex-Ante-Kommission, also eine Kontrollkommission im Vorfeld der Sterbehilfe, vorgesehen war. Auf Wunsch der Ärztevereinigung AMMD wurde dann eine Ex-Post-Kommission eingeführt. Nicht vergessen werden darf auch, dass die angesprochene Kontrollkommission ein zusätzliches Instrument gegen etwaige Missbräuche darstellt.“
L. E.: „Zudem wird jedem Arzt eine zusätzliche Absicherungsmöglichkeit eingeräumt: Neben dem vorgeschriebenen zweiten Arzt steht es dem behandelnden Arzt frei, eine dritte Person, nicht zwangsläufig einen Arzt, zu konsultieren.“

„T“: Eine letzte Frage. In einem kürzlich im Luxemburger Wort veröffentlichten Brief schreibt CSV-Parteipräsident François Biltgen, dass jeder Abgeordnete frei nach seinem Gewissen zu entscheiden habe. Dies gelte nach wie vor für die CSV, auch wenn davon auszugehen sei, dass dies in anderen Parteien nicht zutreffe. Ihre Reaktion hierauf?
L. E.: „Ich sage hierzu nur, dass ich mit Sicherheit weiß, dass in der CSV-Fraktion mehrere Abgeordnete neben Nancy Kemp-Arendt für das Sterbehilfegesetz stimmen wollten. Sie wurden aber ‚zurückgepfiffen‘. Herr Biltgen täte gut daran, sich um seine Partei zu kümmern, dann hat er immer noch genug zu tun.“
C. W.: „Ich will in diesem Zusammenhang nur daran erinnern, dass vor noch nicht allzu langer Zeit eine CSV-Abgeordnete erklärt hat, dass jeder, der für Sterbehilfe sei, in der CSV nichts zu suchen habe. Wobei der Umschwung der CSV erstaunlich ist. Zuerst war sie gegen die Euthanasie, jetzt ist sie in Ausnahmefällen dafür.“