„Lebendiges und anschauliches Stück Debattierkultur“

„Lebendiges und anschauliches Stück Debattierkultur“
(Tageblatt/Alain Rischard)

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Christoph Purschke, "Assistant-chercheur" am "Institut de langue et de littératures luxembourgeoises" der Uni.lu-Forschungseinheit "Identités. Politiques, Sociétés, Espaces (IPSE)" verfolgte die Anhörungen der Sprachen-Petitionen und gab im Anschluss seine Einschätzung gegenüber Tageblatt.lu ab.

Interessanterweise betraf eine seiner Kern-Aussagen nicht mal die Sprache: „Es war ein lebendiges und anschauliches Stück Debattierkultur“, so der Sozio-Linguist. Die Debatte sei auf einem sehr nüchternen und interessierten Niveau von allen Beteiligten – Petitionäre, Abgeordnete und Regierungsvertreter – geführt worden.

Über das Wie gehen die Meinungen auseinander

Gegenüber der schriftlichen Formulierung der Petition Nr. 698 sei der Diskurs im Parlament „mehr auf Gespräch, Konsens und Kompromiss ausgelegt“ gewesen, so Purschke. Der feststellte, dass es Einigkeit darüber gab, dass das Luxemburgische mehr gefördert werden solle: „Nur über das Wie, da gehen die Meinungen halt auseinander.“ Die „Definition, wann eine Sprache lebendig ist“, sei nicht die gleiche. Die Antragsteller rundum Lucien Welter würden die Meinung von Statec-Studien ganz klar nicht teilen.

Diese wären zudem der Meinung, dass Luxemburgisch die Integrationssprache ist: „Während die Petitionäre von der Nr. 725 die Ansicht vertreten, dass es mehrere Integrationssprachen gibt – und diese auch gebraucht werden.“ Einen weiteren markanten Unterschied hält Purschke wie folgt fest: Lucien Welter sei seine Muttersprache „heilig“, wie er es formuliert habe, und Zugezogene müssten sich anpassen. Joseph Schloesser und Henri Werner von der Petition Nr. 725 würden dagegen festhalten, dass die Offenheit der Luxemburger Gesellschaft bedeute, dass diese anpassungsfähig sei. Und: Luxemburg sei so klein, da sei Mehrsprachigkeit eine große Chance.

Bildung

Was Christoph Purschke ebenfalls festhielt ist die Tatsache, dass von allen drei Seiten (Petitionäre, Abgeordnete, Regierung) die Umsetzbarkeit von mehr Förderung im Bildungssektor angesprochen wurde: „Nur auf einen grünen Zweig ist man nicht gekommen“, sagt der Forscher, und hält hier v.a. die zeitliche Umsetzung in ein bereits prall gefülltes „Curriculum“ als mögliches Hindernis fest. Und er bezieht sich hier nicht nur auf „mehr luxemburgisch“, sondern beispielsweise auch „mehr englisch“ als Lingua franca. Generell stellt sich aufgrund der speziellen Sprachenlage bei egal welcher „Reform“ im Luxemburger Schulwesen einen spezifischen Aspekt betreffend gleich die Frage des Stundenplans, könnte man hier anfügen.

„Das Thema ist erkannt worden“, bescheinigt der Sprachenforscher derweil der Politik, einige Abgeordnete hätten ja auch zu Protokoll gegeben, dass sie froh seien, dass beide Petitionen gleichzeitig angehört wurden.

Situation ist europa- und fast weltweit einzigartig

Wir unterhielten uns auch noch kurz mit dem Deutschen über die Luxemburger Situation an sich. Christoph Purschke, 37, kommt aus Schleswig-Holstein und ist seit Januar 2015 „Assistant-chercheur“ an der Luxemburger Uni. Sein Vertrag läuft noch drei Jahre und über Luxemburg sagt er: „Ein lebenswerter Ort mit freundlichen Menschen.“

Und für einen Sprachforscher quasi ein „Paradies“, denn, so Purschke: „Die Situation ist europa-, ja fast weltweit einzigartig! Man kann einer ‚kleinen Sprache‘ quasi zuschauen, wie sie ‚erwachsen‘ wird. Die Sprache entwickelt sich noch, besonders die Schriftsprache; das kann man ‚live‘ fast nirgends mehr beobachten.“ Purschke redet hier vom „alltäglichen Gebrauch“, wo er den „selbstverständlichen Wechsel“ von einer Sprache in die andere als „sehr schön und extrem spannend“ beschreibt. Auch dies beschreibt er als „Außenstehender“, der (Hoch)-Deutsch und als Dialekt Niederdeutsch lernte, als ziemlich einmalig: „Das Niederdeutsche ist für mich nur ein Dialekt. Hier in Luxemburg stehen drei komplette Sprachen gleichwertig nebeneinander.“ Aber auch was das „Offizielle“ angeht, stellt er eine große Offenheit fest: „Viele Sprachen haben viele Rechte.“

Definitionen

Ist Luxemburgisch denn nun eine Sprache? Das sei eine Frage von Definitionen, sagt der Sozio-Linguist und fügt an, dass die bei ihm demnach schon anders ausfallen könnten als bei einem Linguisten. Er führt einige Beispiele an: „In Grammatik, Aussprache, etc. gibt es viele Referenzen ins Moselfränkische und ins Französische. Aber Luxemburgisch ist per Gesetz als Sprache anerkannt, es ist für die Luxemburger die erste Lernsprache – also ist es auch eine Sprache.“ Oder auch: Luxemburgisch sei die Sprechweise einer großen Gruppe von Menschen. Also demzufolge eine Sprache.

Der separate Aspekt der Schriftlichkeit sei noch einmal von gesondertem Interesse: „Die ist noch dabei zu wachsen. Es gibt eine Orthografie, aber nicht viele kennen sie. Auch das war ein interessanter Aspekt der Debatte im Parlament: der Spellchecker wurde oft als gutes Beispiel genannt.“ Die Frage, die sich in dieser Hinsicht ebenfalls stelle, sei: „Ist es ‚gut genug‘, dass Luxemburgisch überhaupt geschrieben wird? Oder muss es strikt nach Regeln geschrieben werden?“

Lesen Sie hier unseren Artikel über Spellchecker.lu, und in unserer Ausgabe vom 17. Januar (Print und Epaper) das zweiseitige Dossier zu den Petitionsanhörungen.