Juden-Verfolgung mit System

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Schon vor der Besatzung durch die Nazis im Mai 1940 gab es in Luxemburg eine antisemitische Haltung in den Verwaltungen und Behörden. Der Artuso-Bericht lässt tief blicken.

Hat die Verwaltungskommission unter den Nazis in Luxemburg eine Mitschuld an der Deportation der Juden im Jahr 1940? Ein klares Ja findet man seit Dienstag im sogenannten Artuso-Bericht. Monatelang hat eine Forschergruppe an der Universität Luxemburg unter der Leitung von Vincent Arturo daran gearbeitet und interessante Details ausgegraben.

Reaktion Bettel
Premierminister Xavier Bettel sagt über den Artuso-Bericht: „Die Regierung muss jetzt Verantwortung übernehmen.“ Eine Stellung dazu will er aber nocht nicht abgeben. Erst soll sich das Parlament mit dem Bericht der Historiker der Universität Luxemburg befassen. Bettel stellt klar: „Es handelt sich nicht um einen politischen, sondern um einen historischen Bericht“.

Reaktion Ben Fayot

Der ehemalige LSAP-Abgeordnete Ben Fayot war mit seiner parlamentarischen Anfrage 2013 maßgeblich an der Entscheidung der damaligen CSV-LSAP-Regierung, die Jahre 1940 bis 1945 wissenschaftliche aufarbeiten zu lassen, beteiligt. Er begrüßt, dass die von Jean-Claude Juncker angesprochene „Grauzone“ dabei ist zu verschwinden. Die wissenschaftliche Aufarbeitung der Luxemburger Geschichte sei absolut notwendig, so Fayot, der vollstes Vertrauen in die Mannschaft von Vincent Artuso hat. Gut fondet Fayot auch, dass der Bericht öffentlich zugänglich ist. Der Ex-Politiker hat den Bericht noch nicht gelesen. Wenn Luxemburg aber mehr als nur gezwungenermaßen mit dem Besetzer zusammengearbeitet hat, sei eine offizielle Entschuldigung seitens der Regierung an die Opfer und deren Nachkommen angebracht, so Fayot. (rh)

Reaktion Steve Kayser

Dem Historiker und Direktor des „Centre de Documentation et de Recherche sur l’enrolement forcé“ zufolge sollte man sich neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht verschließen, auch wenn sie „unbequem“ seien. Es gebe eine ganze Reihe seriöser Indizien, denen man jetzt nachgehen müsse, so Kayser, der nicht von einer „Erinnerungspflicht“, sondern von einer „geschichtlichen Pflicht“ spricht. Das Mythos „Luxemburger waren alle Resistenzler“ sei nun vorbei. Die Geschichte sei ein wichtiger Teil des „Nation branding“, betont Kayser. „Nur wenn wir wissen, woher wir kommen, wissen wir wer wir sind und wohin wir gehen“. Es sei nun wichtig eine Gesamtübersicht über die Periode 1940 bis 1945 zu erhalten und die Informationen objektiv und ohne Werturteil weiterzugeben. (rh)

Wir haben einige bristante Details aus dem 254 Seiten langen Bericht zusammengefasst. Die Nationalsozialisten ergriffen 1933 die Macht in Deutschland. Viele Juden flüchteten aus dem Nachbarland, auch zu uns über die Grenze. Als besondere Kategorie fielen sie bereits Mitte der 1930er unter eine spezielle Verwaltungspraxis hierzulande. Man versuchte eine jüdische Einwanderung einzudämmen, heißt es im Artuso-Bericht.

Eifrige Beamte

Schon vor dem Ausbruch des II. Weltkrieges gab es in Luxemburg eine klare antisemitische Haltung in den Verwaltungen. Ende der 1930er Jahre wurde das Dritte Nürnberger Gesetz sozusagen anerkannt. Deutschen Bürgern war die Ehe mit Juden verboten. Nach Luxemburg geflüchtete Juden wurden separat registriert und unter anderem bei der Arbeitssuche behindert. Die Zuwanderung viele jüdischer Flüchtlinge habe bei den Luxemburgern in den 1930er Jahren Überfremdungsängste ausgelöst. In der rechtsextremen aber auch in der katholischen und liberalen Presse wurde ihnen vorgeworfen, ganze Bereiche der Luxemburger Wirtschaft erwerben zu wollen und die Luxemburger in ihrem eigenen Land in die Armut stürzen zu wollen. Die Juden wurden als Menschen zweiter Klasse eingestuft.

Spätestens nach der Flucht der Regierung und dem Einmarsch der Nationalsozialisten in Luxemburg wurde es offensichtlicher. Fleißig und eifrig arbeitete einige Beamte freiwillig in der Luxemburger Verwaltungskommission (Ersatzregierung) unter dem NS-Regime, heißt es im Artuso-Bericht. Es gab zunächst zahlreiche Nazigegner in der Zivilverwaltung. Dieser Protest verflüchtigte sich aber mit der Zeit. Gehorchen und Anpassen war die Devise. Man ging damals davon aus, dass man den Krieg eh verloren hatte.

Angst und Resignation

Wollte man sich doch keinen Ärger mit dem Ende Juli 1940 eingesetzten Gauleiter Gustav Simon einhandeln. Über die Monate festigte Simon seine Macht. Spätestens mit dem Führererlass „über die Vorläufige Verwaltung in Luxemburg vom 18. Oktober 1940“ waren die Machtverhältnisse geklärt. Weigerten sich Beamte zur Zusammenarbeit drohte ihnen Schlimmes. Man stellte sich auf eine dauerhafte Besatzung ein. Im Artuso-Bericht ist von Resignation die Rede. Es herrschte die allgmeine Angst vor Repressalien, Verhaftung und Deportation.

Die pro-deutschen Stimmung im Land wurde durch die Volksdeutsche Bewegung (VdB) gestärkt. In wichtigen Positionen saßen parteitreue Luxemburger. Für Parteilinie sorgte unter anderem auch die heimische Polizei. Zahlreiche Führungspersönlichkeiten waren überzeugte Antisemiten und versteckten dies auch nicht. Gleiche Szenen an den Schulen in Luxemburg. Auch hier wuchs mit der Zeit die pro-deutsche Bewegung. Sie scharten sich zu immer mehr Mitgliedern in der Volksdeutschen Bewegung (VdB). So verfasste damals der Luxemburger Michel Reuland eine Liste über 280 jüdische Kinder an Luxemburger Schulen.

Drei Pfeiler

Über die Monate bildete sich in Luxemburg an Schulen, Kommunen und Behörden ein regelrechtes Spitzelwesen. Im Artuso-Bericht ist dabei von Eigenintiative die Rede.

Die Zusammenarbeit der Luxemburger Verwaltung mit der Politik antisemitischer Verfolgung der deutschen Zivilverwaltung erfolgte auf drei Ebenen, so der Bericht: Identifizierung, Beraubung der Juden ihrer Rechte und Vertreibung. Dabei ging es darum, die Juden aus öffentlichen Stellen zu „entfernen“ und ihrem Eigentum habhaft zu werden. Man habe keine Spur eines offenen Protestes feststellen können, so die Autoren des Berichts weiter. Nach der Befreiung habe sich kein Bürgermeister, Beamter oder Staatsangestellte sich damit gebrüstet, sich gegen die Anordnungen der deutschen Zivilverwaltung gestellt zu haben.

Vor dem Einmarsch der deutschen Besatzungstruppen 10. Mai 1940 lebten rund 3700 Juden in Luxemburg. Ende Oktober 1941, nachdem der Gauleiter einen Auswanderungsstopp verhangen hatte, waren es rund 700. Nach Schätzungen wurde ein Drittel der vor dem Krieg in Luxemburg lebenden Juden ermordet.