„Ich hatte im Leben viel Glück“

„Ich hatte im Leben viel Glück“
(Tageblatt/Martine May)

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Mit diesem Beitrag startet das Tageblatt eine Serie über frühere nationale Spitzenpolitiker. Erste Gesprächspartnerin war Colette Flesch.

Wir unterhielten uns mit ihr über ihre politische Karriere und das Leben danach, ihre aktuellen Beschäftigungen, den Liberalismus und VIPs in der Politik.

Colette Flesch (Bild:Tageblatt/Martine May)

Sie war Abgeordnete, Bürgermeisterin der Stadt Luxemburg, Ministerin, Generaldirektorin bei der EU-Kommission und von 1999 bis 2004 EU-Abgeordnete. Doch auch nach ihrem Abgang aus der hohen Politik lässt sie diese nicht los. Allein der Ort unseres Gespräches war Programm:
In den Räumlichkeiten der DP-Fraktion empfing sie uns zum Gespräch. Als Ehrenpräsidentin der DP halte sie weiterhin Kontakt mit ihrer Partei. Ob sie in dieser Position auch noch aktiv in der Partei mitarbeite? Nein, war die Antwort, das einzige Mandat, das sie noch innehat, sei das der Präsidentin des Sozialamtes der Stadt Luxemburg. Zweimal die Woche sei sie dort aktiv. Bis wann sie das noch zu tun gedenke, wisse sie nicht.

„Nützliche Arbeit“

„Ich tue etwas, was mir gefällt, und wobei ich das Gefühl habe, eine nützliche Arbeit zu machen. Aber ich habe noch eine Reihe anderer Aktivitäten: Ich bin in der Theaterkommission der Gemeinde, in der ‚Commission nationale des programmes de l’enseignement musical‘ bin ich die Vertreterin des Syvicol, und ich sitze noch in einigen anderen Kommissionen des Staates. Hinzu kommen all meine Privatinteressen, denen ich nachgehe.“

Das Interesse an der Politik wurde ihre quasi mit in die Wiege gelegt, und hat sie nie verlassen. Schon der Großvater, Dr. Flesch aus Rümelingen, war liberaler Abgeordneter. Zu Hause sei immer viel über Politik geredet worden.


Berufswunsch erfüllt

Einen Teil ihrer Kindheit verbrachte Colette Flesch in Frankreich. Als die Deutschen das Land 1940 besetzten, verließ die Familie Luxemburg. Auch in der Evakuierung sei die Politik immer ein Thema gewesen. Während der Kriegsjahre hätten sie eine Karte an der Wand gehabt, auf der ihre Mutter mit Fähnchen die Positionen der Deutschen und der Alliierten markierte.

Ihr Berufswunsch war, Beamtin in einer internationalen Institution zu werden, weshalb sie auch Politikwissenschaften studierte. Das Interesse an der Politik blieb auch nach ihrer „Pensionierung“. Jetzt lese sie die Zeitungen noch intensiver als vorher.

Erfolgreiche Sportlerin

Colette Flesch war nicht nur eine erfolgreiche Politikerin; sie hat auch viele sportliche Erfolge aufzuweisen: Dreimal nahm sie als Fechterin an den Olympischen Sommerspielen teil (1960 in Rom, 1964 in Tokio und 1968 in Mexiko); 1967 wurde sie zur luxemburgischen Sportlerin des Jahres gewählt. Im Dezember 1968 wurde sie das erste Mal ins Parlament gewählt, woran ihr Prominentenstatus wohl nicht unschuldig war.

Wie sie dazu stehe, dass immer mehr „VIPs“ in die Chamber einziehen? Die Kritik von verschiedenen Seiten an der Gepflogenheit, Prominente als Stimmenfänger einzusetzen, teilt Colette Flesch nur teilweise.
„Die VIPs verdanken ihre erste Wahl der Tatsache, dass sie prominent sind, danach müssen sie sich als Parlamentarier einen Namen machen. Ich kenne eine Reihe Sportler, die waren nur kurz im Parlament – und wurden nicht wiedergewählt. Wenn man prominent ist, vereinfacht das die erste Wahl, die zweite ist eine andere Sache.“

1980 wurde Colette Flesch stellvertretende Premierministerin im Kabinett von Pierre Werner; sie war Außenministerin und hatte ebenfalls die Ressorts Kooperation, Wirtschaft, Mittelstand und Justiz inne. Auf welche Karriere – die sportliche oder die politische – sie am stolzesten sei? „Ich brauche nicht stolz zu sein, ich glaube, ich hatte sehr viel Glück im Leben.“

Sport und Politik

Den Sport bezeichnet sie als sehr schönen Teil ihres Lebens, welcher ebenso zu ihrer Ausbildung beigetragen hat wie die Schule. Ebenso habe sie Glück mit ihrer politischen Karriere gehabt, „denn ich hatte mich im Grunde nicht auf eine solche vorbereitet.“ Die Entscheidung, nach den vorgezogenen Wahlen von 1968 ihr Mandat anzunehmen, sei ihr nicht leicht gefallen. Die Situation eines Abgeordneten sei damals eine völlig andere als heute gewesen. „Damals verdiente ich in Brüssel 36.000 Franken bei den Europäischen Gemeinschaften, als Abgeordnete erhielt ich 13.000 Franken. Das war schon ein großer Unterschied. Ein Abgeordneter, der keinen Beruf ausübte, oder kein Staatsbeamter war, hatte keine Sozialversicherung.“ Sie habe damals das Glück gehabt, dass sie eine Halbtagsstelle im Automobilclub erhielt.

Die Wahl zur Bürgermeisterin der Stadt Luxemburg sei sehr überraschend gekommen. Bei den Gemeindewahlen im Oktober 1969 war sie die Erstgewählte ihrer Partei, was aber in dem Moment nicht von Bedeutung gewesen sei, weil CSV und LSAP Koalitionsverhandlungen aufnahmen, um ihre Zusammenarbeit in der Stadt weiterzuführen.

Hauptstadt-Bürgermeisterin

Als die LSAP jedoch in Esch/Alzette eine Koalition mit den Kommunisten einging, brach die CSV in der Hauptstadt die Gespräche mit der LSAP ab und begann Verhandlungen mit der DP. Die DP sollte den Bürgermeister stellen. Mit den meisten Stimmen fiel ihr diese Rolle zu. „Ich war das jüngste Mitglied im Gemeinderat und die einzige Frau. Ich hatte mehr als Angst, diese Herausforderung anzunehmen, aber es ging alles gut. Die Entscheidung hat mir nie leidgetan.“

In einem Gespräch mit einer früheren Europapolitikerin darf natürlich die Meinung zur aktuellen politischen Lage in Europa nicht fehlen: „Ich bin überzeugt, dass es ohne Euro noch viel schlimmer wäre. Es ist falsch, dem Euro nun den Prozess zu machen, ohne Euro wäre Griechenland nicht so geholfen worden, wie es jetzt der Fall ist, und es wäre wahrscheinlich alles noch viel schlimmer gekommen. Wir sind noch nicht aus den Schwierigkeiten heraus.“

In der Griechenland-Frage wirft sie den politischen Verantwortlichen vor, zu viel Zeit verloren zu haben. „Aber das ist leicht gesagt, wenn man selbst keine Verantwortung trägt.“
Colette Flesch sieht sich selbst am linken Rande der DP. Vor allem was die gesellschaftspolitischen Probleme angehe, müsse man mit seiner Zeit leben. Ihre Auffassung des Liberalismus sei eine mit sozialer Komponente; mit dem Neo-Liberalismus eines Ronald Reagan oder einer Margaret Thatcher habe sie sich nie anfreunden können. „Das ist nicht mein Liberalismus.“

„Nicht mein Liberalismus“

Auch wenn Coletts Fleschs Leben weitgehend von der Politik bestimmt war und ist, so ist sie doch froh, dass sie nun mehr Zeit für ihre andere Interessen aufbringen kann. Dazu gehören Konzerte, Reisen, ins Schwimmbad gehen … Ins Konzert könne sie jetzt noch öfter gehen. Ab und zu gebe sie noch Konferenzen, was sie jedoch hinterher oft bereue, da die Vorbereitung Zeit beanspruche und sie von anderen Dingen abhalte. Aber alles in allem sei es schon gut, wenn man nicht ganz „d’Knëppele bei d’Tromm gehäit“.

Ihre Prognose für die kommenden Wahlen? Gemeindewahlen seien immer eine Aussage über das Klima der allgemeinen Politik, trotzdem gebe es in allen Ortschaften Besonderheiten. In den Gemeinden, wo sie mit in der Verantwortung stehe, habe die DP einiges vorzuweisen. Obwohl sie keine landesweite Prognose machen will, zeigt sich Flesch optimistisch, was die DP angeht.
Und dass der nächste Bürgermeister der Stadt Luxemburg aus der DP kommt, dessen ist sie sich ziemlich sicher.