Gegen den Rechtsruck

Gegen den Rechtsruck
(Reuters/Agencja Gazeta)

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Die Aufarbeitung des Nationalsozialismus und der in seinem Namen begangenen Verbrechen sollte ein elementarer Bestandteil schulischer Bildung sein. Doch wie genau wird das Thema in Luxemburgs „Enseignement secondaire ES)“ behandelt?

Als ein „Denkmal der Schande“ bezeichnete der ehemalige Geschichtslehrer und thüringische AfD-Vorsitzende Björn Höcke das Holocaust-Denkmal in Berlin und forderte eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“. Die AfD in Deutschland, aber auch der Front national unter Marine Le Pen sowie der niederländische Rechtspopulist Wilders gehören mit ihren nationalistischen Ansichten und nicht selten rassistischen und diskriminierenden Aussagen zur politischen Landschaft, gehen sogar teilweise als Favoriten in die kommenden Landeswahlen.

Hat die Aufarbeitung der Vergangenheit, konkret des Holocaust an den Juden und der Rassenideologie der Nationalsozialisten, etwa versagt? Zumindest hierzulande gibt es keine Partei von Bedeutung, die solch braunes Gedankengut verbreitet. Trotzdem stellt sich die Frage: Wie wird die dunkle Vergangenheit des Nazi-Regimes bei uns aufgearbeitet? Ein Blick in die Geschichtsbücher des Landes.

Der Zweite Weltkrieg und die grauenhaften Verbrechen des Nazi-Regimes werden im ES auf der 2e behandelt, im „Régime technique“ schon auf der 9e.

Eine Anleitung für das Lehrpersonal, wie die Verbrechen der Nationalsozialisten aufgearbeitet werden sollen, gibt es so gut wie keine auf 2e. Unter dem Punkt „Contenu du cours“ steht nur kurz und knapp: „La Seconde Guerre mondiale (1939-1945)“.

Und das ist auch gut so, sagt Historiker Vincent Artuso: „Warum sollten Professionelle des Fachs unter einer Anleitung arbeiten müssen? Sie wurden für diese Aufgabe ausgebildet und wissen am besten, wie die Materie vermittelt werden soll.“ Anders sieht es auf der 9e aus, hier wird eine etwas genauere Anleitung hinterlegt.

Des Weiteren sollen die Schüler am Ende des Jahres historische Quellen auswerten und die Informationen in einem Text zusammenfassen können. Unter „Activités facultatives“ steht dann noch der Besuch eines Museums oder eines Konzentrationslagers, das Lesen zeitgenössischer Zeitungen und das Anschauen und Diskutieren historischer Filme.
Dem Geschichtslehrer ist dementsprechend viel Freiraum bei der Gestaltung seines Unterrichts gegeben.

Schwere Lektüre

Der Zweite Weltkrieg wird in den obligatorischen Schulbüchern recht ähnlich behandelt. Jeweils ein spezielles Kapitel konzentriert sich auf Rassendiskriminierung im Dritten Reich und den Holocaust. Im Buch des EST wird allerdings spezifischer auf die Situation in Luxemburg eingegangen, was durchaus interessanter für die Schüler sein dürfte als die reine Globalperspektive. In beiden Büchern finden sich neben erklärenden Texten auch Originalquellen und Fotos, die das Thema veranschaulichen sollen.

Abschließend wird dem Schüler anhand von einigen Fragen das erlernte Wissen abgefragt und es werden Denkanstöße hinterlassen, die zu einem vertieften Auseinandersetzen mit dem Thema anregen.

Nun stellt sich allerdings schon beim Einleitungstext des 2e-Buches ein erstes Problem. Die Texte sind, laut Aussagen einer Schülerin der A-Sektion (Fokus auf Sprachen), nur schwer verständlich. Natürlich trifft dies nicht auf alle Schüler zu.

Dennoch, Schüler, die eine weniger große Affinität für Sprachen haben, dürften wesentlich mehr Probleme beim Erarbeiten der Textinhalte haben.

Jedem Historiker wohl ein Dorn im Auge: die aus dem Deutschen übersetzte Version von Originalquellen verschiedener Zeitzeugen. Jede Übersetzung stellt ebenfalls eine Interpretation des Textes dar. Obwohl der Geschichtsunterricht auf 2e auf Französisch erfolgen muss, ist die Übersetzung aus einer vom Schüler eigentlich beherrschten Sprache, aus welchen Gründen auch immer, zumindest fragwürdig. Umgekehrt gibt es dieses Problem auch im 9e-Buch, wo, allerdings nur bei einem Text, die Übersetzung aus dem Französischen bevorzugt wurde.
Der Sinn der Lektüre, den Schülern durch das Lesen unverfälschter Dokumente Geschichte etwas näher zu bringen, geht unnötigerweise verloren.

Inhalt überzeugt

Inhaltlich werden die wichtigsten Themenschwerpunkte, wie die Reichskristallnacht oder die „Nürnberger Gesetze“, angesprochen. In Kombination mit den anderen Kapiteln zum Zweiten Weltkrieg werden dem Schüler der Genozid an den Juden und die vorangehende Ideologie der Nationalsozialisten gut nähergebracht. Einziger Kritikpunkt: Obwohl sicherlich kein einfaches Thema, hätte man eventuell genauer auf die Unterschiede von Antisemitismus und Antijudaimus eingehen können (Antizionismus mal außen vor gelassen). So werden dem Schüler Begriffe vorgesetzt, die sie vielleicht nicht komplett verstehen (können). Beispiel: Auf 2e werden Bezeichnungen wie „antijuive“ und „antisémite“ in einem Satz gebraucht, ohne allerdings auf die genauen Begriffsbezeichnungen und deren inhaltliche Unterschiede einzugehen. Zumindest in den oberen Klassen sollten die Schüler den Unterschied verstehen können.

Vieles hängt demnach von der für die Thematik vorgesehenen Anzahl an Unterrichtsstunden ab. Auch die mögliche Besichtigung von historischen Gedenkstätten liegt im Ermessen des Geschichtslehrers.

Das Grundkonzept von Rassendiskriminierung und -ideologie, die vorangegangenen Prozesse und die möglichen daraus resultierenden Folgen sollten allerdings, bei erfolgreichem Abschluss des Geschichtsunterrichts auf 2e und 9e, ausreichend erörtert worden sein.