Brennende Barrikaden, Autos in Flammen, vermummte Steinewerfer: Bei schweren Auseinandersetzungen zwischen Aktivisten der kapitalismuskritischen Blockupy-Bewegung und der Polizei sind am Mittwoch in Frankfurt mindestens 220 Menschen verletzt worden. Die Bewegung war im Juni 2014 bei einem lautstarken Protest in Luxemburg dabei. „Das ist nicht das, was wir geplant haben“, sagt Blockupy-Anmelder Ulrich Wilken, der für „Die Linke“ im hessischen Landtag sitzt.
Ausschreitungen in Luxemburg
Anfang Juni 2014 gibt es ein EU-Innenministertreffen auf dem Kirchberg. Thema war unter anderem die illegale Immigration. Rund 60 Blockupy-Mitglieder demonstrieren vor dem Tagungsgebäude. Es gelang ihnen die Polizeisperren zu durchbrechen und ins Innere des Gebäudes zu gelangen. Die Polizei schritt ein. 13 Personen wurden festgenommen. Der Polizeieinsatz löste eine heftige Kritik aus.
Anlass für die Proteste, die schon am Morgen in Gewalt umschlugen, war die Eröffnung des 1,3 Milliarden Euro teuren Neubau der Europäischen Zentralbank (EZB).
Die Polizei setzte Wasserwerfer, Tränengas und Schlagstöcke gegen Randalierer ein und nahm 15 Personen fest. Während drinnen bei einer Feier in kleinem Rahmen Reden gehalten wurden, standen sich am Polizeizaun um die beiden völlig abgeriegelten EZB-Türme starke Polizeikräfte und Demonstranten gegenüber.
„Es war sehr dramatisch“
Seit dem frühen Morgen gab es immer wieder massive, gewaltsame Auseinandersetzungen im weiten Umkreis. Ein Anwohner der „Zeil“, kaum hundert Meter vom Polizeipräsidium, berichtet Tageblatt.lu von den Vorgängen: „Ich wurde heute Morgen um sieben von der Musik eines Umzugs unter meinem Balkon aus dem Schlaf gerissen, hatte aber keine Ahnung, was vor sich geht. Ungefähr eine halbe Stunde später hörte ich eine Explosion und ein wenig Geschrei – da wurde ich neugierig und bin zum Fenster gegangen. Dann habe ich den Rauch und brennende Autos gesehen. Der Umzug war zu dem Zeitpunkt schon weitergezogen, es kamen nur noch Polizisten gelaufen. Es hat ziemlich lang gedauert bis die Feuerwehr kam. Es war sehr dramatisch.“
Wenig später gab es kaum mehr eine Straßenkreuzung in Frankfurt-Ostend, an der nicht Mülltonnen, Autoreifen oder Fahrzeuge brannten, darunter Polizeiautos. Der Verkehr kam zum Erliegen, viele Geschäfte schlossen. Nach Angaben der Polizei waren rund 3000 Demonstranten am Zaun aufgezogen und versuchten, das weiträumig abgesperrte Gelände der EZB zu stürmen, wurden aber von den Beamten gestoppt. Insgesamt waren laut Blockupy etwa 6000 Aktivisten unterwegs, davon 1000 aus dem Ausland.
„Aggressiv“
Rauchschwaden zogen über das Mainufer, in der Luft lag der beißende Geruch von Tränengas. Feuerwehrwagen und Straßenbahnen seien mit Steinen attackiert, die Feuerwehr, die zu dutzenden Einsätzen ausrückte, am Löschen gehindert worden, teilte die Polizei mit. Am Morgen habe mehr als ein halbes Dutzend Polizeiwagen in Flammen gestanden, die Atmosphäre sei „aggressiv“ gewesen. Ein dänischer Aktivist ist „enttäuscht darüber, wie das läuft“, ein weiterer meint, „Kaum hat unser friedlicher Protest begonnen, ist auch schon alles kaputt.“
Nach Polizeiangaben wurden bis zum Mittag 91 Polizisten verletzt, einige seien von Steinen am Kopf getroffen worden. Ein Sprecher des Blockupy-Bündnisses berichtete, beim Einsatz von Wasserwerfern, Tränengas und Schlagstöcken durch die Polizei seien 128 Demonstranten verletzt worden. Den 15 Festgenommenen wird Brandstiftung, schwerer Landfriedensbruch und Widerstand vorgeworfen. Die Polizei setzte insgesamt rund 350 Aktivisten fest, um ihre Personalien festzustellen. Von einem Kessel wollte die Polizei aber nicht sprechen.
Frustiert
In seiner Rede ging EZB-Präsident Mario Draghi auch auf die Demonstranten und die vielen unzufriedenen Menschen im Euroraum ein, die in den vergangenen Krisenjahren Einkommen und Wohlstand verloren hätten.
Als eine Institution der Europäischen Union, die eine zentrale Rolle in der Krise gespielt hat, sei die EZB in den Fokus der Frustrierten geraten, sagte Draghi. „Möglicherweise ist dieser Vorwurf nicht fair. Denn unser Handeln zielte genau darauf ab, die wirtschaftlichen Schocks abzufedern.“
Nachmittag verlief friedlich
Am Mittag beruhigte sich die Lage rund um die EZB. In der Stadt strömten Tausende zu einer Kundgebung auf dem Römerberg vor dem Rathaus. Laut Polizei nahmen daran rund 17.000 Menschen teil, laut Blockupy sogar mehr als 20.000. Der Polizei zufolge verlief die Großdemonstration bis zum frühen Abend weitgehend friedlich. Auch auf der „Zeil“ kehrte nach den Löscharbeiten wieder Ruhe ein: „Es saßen viele Punks in dem Irish Pub hier in der Straße, direkt gegenüber wachte eine Horde von Polizisten. Aber alle waren friedlich, auch wenn die Stimmung angespannt blieb“, erzählt der Anwohner Tageblatt.lu.
David, ebenfalls Frankfurter, war von den Fotos vom Morgen verunsichert, mischte sich am Nachmittag dann doch kurz unter die Leute: „Ich habe nur friedliche Demonstranten gesehen. Es stehen auch überall zahlreiche Polizisten mit Körperpanzerung, und so ne Hundertschaft vermittelt schon ein mulmiges Gefühl. Dazu von oben der ratternde Helikopter… Aus der Nähe betrachtet scheinen die Krawallmacher untergetaucht zu sein. Schade, dass sowas direkt heute Morgen passierte, das gab dem ganzen Tag eine Ausschreitungs-Athmosphäre.“
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