Erster Prozess in Frankreich

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20 Jahre nach dem Völkermord in Ruanda wird erstmals in Frankreich einem mutmaßlichen Verantwortlichen des Genozids der Prozess gemacht. Damals waren 800.000 Menschen getötet worden.

Vor einem Pariser Schwurgericht begann am Dienstag der Prozess gegen den ruandischen Ex-Offizier Pascal Simbikangwa. Er soll laut Anklage mitverantwortlich für Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit sein. Bei dem Genozid waren 1994 etwa 800.000 Menschen getötet worden.

Simbikangwa, der seit einem Unfall 1986 querschnittsgelähmt ist, wurde im Rollstuhl in den Gerichtssaal gebracht. Der 54-Jährige stellte sich als früherer Hauptmann der ruandischen Armee und des ruandischen Geheimdienstes vor. Simbikangwa soll laut Anklage zu dem Völkermord an der Minderheit der Tutsi aufgehetzt und diesen mitorganisiert haben, unter anderem indem er Milizen bewaffnet habe. Der Angeklagte, dem lebenslange Haft droht, weist die Vorwürfe zurück. Der Prozess ist auf sechs bis acht Wochen angesetzt.

Verteidigung: Politisch motivierter Prozess

Simbikangwas Anwälte kündigten am Dienstag an, eine Verfahrenseinstellung wegen ungleicher Bedingungen für Anklage und Verteidigung beantragen zu wollen. Die Anwälte kritisierten den Prozess zudem als politisch motiviert. Die ruandische Regierung, die aus Tutsi-Rebellen hervorging, hatte Frankreich lange Zeit vorgeworfen, die Verantwortlichen des Völkermordes unterstützt zu haben. Nach einem mehrjährigen Bruch der diplomatischen Beziehungen haben sich beide Länder inzwischen wieder angenähert. An Simbikangwa solle 20 Jahre nach dem Völkermord nun offenbar „ein Exempel statuiert werden“, sagte Anwalt Fabrice Epstein.

Beim Völkermord in Ruanda wurden innerhalb von nur rund 100 Tagen Schätzungen zufolge 800.000 Menschen getötet. Ausgelöst wurde der Genozid am 6. April 1994 durch einen tödlichen Anschlag auf Präsident Juvenal Habyarimana, einen Angehörigen des Mehrheitsvolks der Hutu. Die meisten Opfer des Völkermords waren Angehörige der Minderheit der Tutsi, aber auch viele moderate Hutu wurden getötet.

Dorfgerichte

Mehrere Verantwortliche wurden bereits von einem Internationalen Strafgerichtshof verurteilt. Die Fälle von etwa zwei Millionen mutmaßlichen Mittätern wurden vor eigens eingerichteten „Gacaca“-Dorfgerichten verhandelt, die etwa zwei Drittel der Angeklagten für schuldig befanden.

Simbikangwa wurde 2008 auf der französischen Insel Mayotte zwischen dem afrikanischen Kontinent und Madagaskar festgenommen, wo der mit internationalem Haftbefehl gesuchte Ex-Offizier unter falscher Identität lebte. Frankreich lehnte es aber ab, Simbikangwa an Ruanda zu überstellen und macht ihm nun selbst den Prozess.

Simbikangwa räumt ein, dem engsten Hutu-Führungszirkel nahegestanden zu haben, aus dem viele Mitglieder später wegen ihrer Rolle beim Völkermord verurteilt wurden. Eine Mitverantwortung an den Morden bestreitet er aber.
In dem Prozess sollen rund 30 ruandische Zeugen befragt werden, unter ihnen verurteilte Täter, die per Videokonferenz zugeschaltet werden. Der Präsident der Vereinigung der Nebenkläger für Ruanda (CPCR), Alain Gauthier, sagte unmittelbar vor Prozessbeginn, es sei eine „große Erleichterung“, dass der Prozess endlich beginne.