Erneut heftige Proteste gegen Park-Umbau

Erneut heftige Proteste gegen Park-Umbau
(AFP)

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Die türkische Regierung gerät durch die bislang schwersten Proteste gegen Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan immer stärker unter Druck. Erneut setzt die Polizei Tränengas und Wasserwerfer ein.

In der Hauptstadt Ankara setzte die Polizei am Sonntag erneut Tränengas und Wasserwerfer gegen rund 1000 Demonstranten ein, die laut den Bildern des Fernsehsenders NTV zu Erdogans Büro vordringen wollten.
Landesweit protestierten Tausende gegen ein umstrittenes Stadtentwicklungsprojekt in Istanbul und Polizeigewalt gegen Regierungskritiker.

In der Millionen-Metropole am Bosporus wurde die Polizei schließlich vom symbolträchtigen Taksim-Platz zurückbeordert, woraufhin am Sonntag mehrere hundert Menschen in der Nähe Barrikaden errichten. Die Proteste entzündeten sich an einem Bauvorhaben im Gezi-Park, einer an den Taksim-Platz angrenzenden Grünfläche, nahmen aber rasch eine allgemein regierungskritische Wendung und weiteten sich auf nahezu 50 türkische Städte aus. Kritiker werfen der türkischen Polizei seit Jahren unverhältnismäßigen Gewalteinsatz auch gegen friedliche Demonstranten vor.

1700 Festnahmen

Offiziell war am Samstagabend von 53 verletzten Zivilisten und 26 verletzten Polizisten die Rede. Die Zahl der Festgenommenen bezifferte das Innenministerium auf landesweit 1700. Die meisten seien jedoch wieder frei.

Auch nach dem Rückzug der Polizei vom Taksim-Platz gab es in der Nacht zum Sonntag in mehreren türkischen Großstädten weitere Zusammenstöße. „Regierung, Rücktritt“, skandierten mehrere tausend Menschen am Mittag in Istanbul bei einem Marsch zum Taksim-Platz, wo am Vortag Zehntausende demonstriert hatten.

Gewaltsame Zusammenstöße

Die Protestwelle entzündete sich an der gewaltsamen Räumung eines Protestlagers, mit dem die Zerstörung des Gazi-Parks am Rande des Taksim-Platzes für ein umstrittenes Bauprojekt verhindert werden sollte.

Ein Berater von Ministerpräsident Recep Tayyip Edogan ließ laut „Hürriyet“ über den Kurznachrichtendienst Twitter wissen, dass der Bürgermeister von Istanbul am Sonntag mit Vertretern der Taksim-Gazi-Park- Plattform und der Architektenkammer zu Gesprächen zusammenkommen will, um eine gemeinsame Lösung für den Streit zu sondieren.

Nach dem Rückzug der Polizei vom Taksim-Platz in Istanbul habe es am Abend Zusammenstöße mit Demonstranten im Stadtteil Besiktas gegeben, berichteten Aktivisten am Samstag im Internet. Die Polizei feuere Tränengasgranaten ab. Auch türkische Medien berichteten über den Polizeieinsatz. Demonstranten hätten einen Polizeiwagen angezündet.

Erdogan macht Rückzieher

Nach zwei Tagen heftiger Proteste gegen seine autoritäre Politik lenkte Erdogan offensichtlich ein. Zehntausende Gegner der islamisch-konservativen Regierung verschafften sich nach heftigen Protesten am Samstag Zugang zum Taksim-Platz, während sich die Polizei zurückzog. Das Innenministerium kündigte laut türkischen Medien an, Verantwortliche für unverhältnismäßige Gewalt gegen Demonstranten zu bestrafen.

Zuvor hatte es neue schwere Zusammenstöße gegeben, bei denen die Polizei Wasserwerfer und Tränengas einsetzte. Erdogan räumte am Samstag Fehler ein. Zugleich sagte er, seine Regierung werde sich durch Straßenproteste nicht von ihrem Kurs abbringen lassen.

Pfefferspray-Einsatz: „Ein Fehler“

„Der Einsatz von Pfeffergas durch die Sicherheitskräfte war ein Fehler. Nun gut. Ich habe das Innenministerium angeordnet, dies zu untersuchen“, sagte Erdogan. Der Einsatz sei unangemessen hart gewesen. Die Polizei werde ihren Einsatz aber fortsetzen, sagte er zunächst. Die gewählte Regierung werde sich nicht einer Minderheit beugen. Schließlich rief Staatspräsident Abdullah Gül alle Seiten zur Ruhe und zum Dialog auf.

Auch international gab es Kritik an dem Einsatz. Der Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz, nannte das harte Vorgehen der Polizei „völlig unangemessen“. „Ich appelliere dringend an alle zuständigen Stellen in der Türkei, sich um Deeskalation zu bemühen und mit den Demonstranten das Gespräch zu suchen“, erklärte der Politiker.

Internationale Kritik

„Wir glauben, dass die Stabilität, die Sicherheit und der Wohlstand der Türkei langfristig am besten durch die Beibehaltung der Grundrechte auf freie Meinungsäußerung sowie die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit gewährleistet wird“, sagte die Sprecherin des US-Außenministeriums, Jen Psaki, am Freitag (Ortszeit) in Washington. Sie verwies darauf, dass die Teilnehmer der Proteste offensichtlich nur diese Rechte wahrnehmen wollten. Ähnlich hatte sich auch die EU-Kommission in Brüssel geäußert.

Britische Regierung warnt vor Türkei-Reisen

Angesichts des Einsatzes von Wasserwerfern und Tränengas riet die Regierung in London in einem Reisehinweis allen Briten, sich von den Protestkundgebungen in Istanbul fernzuhalten.

In Istanbul gingen Demonstranten und Beobachter davon aus, dass es angesichts der Härte des Einsatzes und der großen Zahl von Rettungswagen Hunderte Verletzte gegeben hat. Im Internet kursierten Berichte über mehrere Tote. Die Behörden bestätigten zunächst weder das eine noch das andere.

Rücktritt der Regierung gefordert

Bereits am Freitag hatten Zehntausende bis in die Nacht demonstriert. Die Behörden sprachen von 12 Verletzten und 63 Festnahmen. Die Polizei setzte so viel Tränengas ein, dass die Luft auch in den angrenzenden Stadtteilen gasgeschwängert war. Einige der vorwiegend jungen Demonstranten zündeten am Rande des Taksim-Platzes Container der an den Bauarbeiten beteiligten Firmen an. „Die Regierung soll zurücktreten!“, forderten sie.