„Ein Krieg ist kein Picknick“

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Die Israelis fühlen sich vom Iran bedroht und drohen mit der Zerstörung dessen Atomanlagen. Der Iran hingegen droht mit der Vernichtung des hebräischen Staates.

Eine der Konstanten bei einem potentiellen israelischen Angriff auf iranische Atomanlagen war bisher die Angst vor den unmittelbaren Konsequenzen: Teheran hat wiederholt gedroht, Tel Aviv mit Raketen einzudecken. Zudem wird erwartet, dass seine Verbündeten – Hisbollah, Hamas und Syrien – ins Geschehen eingreifen und der Streit in einen neuen Nahostkrieg ausartet. Offenbar halten einige in Israel diese Ängste für übertrieben und sprechen den Kritikern eines Militärschlags so ein wichtiges Argument ab.

„Ein Krieg ist kein Picknick“, sagte der israelische Verteidigungsminister Ehud Barak im vergangenen November. Der Veteran des Jom-Kippur-Kriegs und frühere Generalstabschef muss es wissen. Dennoch ist er überzeugt, dass Israel einen iranischen Gegenschlag relativ unbeschadet überstehen würde: „Es wird weder 100.000 noch 10.000 oder 1.000 Tote geben“, prophezeite er. Der Staat Israel würde nicht zerstört.

Effektivität von Raketen wird überschätzt

Solche Annahmen basieren auf einer Analyse vergleichbarer Bedrohungen aus der jüngeren Vergangenheit. Im Vorfeld des Irakkriegs 1991 hatte Saddam Hussein gedroht, die „Hälfte Israels zu verbrennen“, feuerte letztlich aber nur rund 40 Scud-Raketen ab. Diese richteten wenig Schaden an. Im Libanonkrieg 2006 galt die Sorge dem Raketenarsenal der Hisbollah. 4.000 feuerte die schiitische Miliz Richtung Israel, doch auch sie verursachten nur begrenzten Schaden. Auch die palästinensischen Kassam-Raketen aus dem Gazastreifen verfehlten ihr Ziel in der Regel.

Die israelische Gesellschaft sollte demnach eine gute Vorstellung davon haben, was ihr bevorsteht. „Ich sage nicht, dass Iran nicht reagieren wird, aber es wird nicht wie London im 2. Weltkrieg“, zitiert die „New York Times“ einen pensionierten israelischen Regierungsvertreter. Das Begin-Sadat Center for Strategic Studies hält in einer aktuellen Studie fest, dass Raketen noch nie eine entscheidende Rolle in einem Krieg gespielt haben. Das gelte insbesondere für Länder wie Syrien, Iran und Libanon, die nur über konventionelle und damit unpräzise Systeme verfügen.

„Es gibt keine militärische Option“

Gleichzeitig fehlt es in Israel nicht an Stimmen, die vor einer Verharmlosung der iranischen Reaktion warnen. Viele Experten gehen davon aus, dass Teheran die letzten Jahre genutzt hat, um sich auf das Szenario vorzubereiten. Zudem zweifeln sie an der Machbarkeit des Militärschlags an sich – und relativieren damit eine weitere weit verbreitete Annahme im Atomstreit: „Die Annahme, dass man das iranische Atomprogramm mit einer Militäraktion stoppen kann, ist nicht korrekt“, sagte Ex-Mossad-Chef Meir Dagan wenige Tage vor seiner Pensionierung 2011. „Diese militärische Option existiert nicht. Möglich ist einzig eine Verzögerung des Programms, und auch das nur für relativ kurze Zeit.“

Zur selben Überzeugung ist laut dem „Time Magazine“ unlängst ein ranghoher Kommandant der israelischen Streitkräfte gelangt. Er hat offenbar im Herbst 2011 das Kabinett von Premierminister Benjamin Netanjahu informiert, dass das Militär keine Möglichkeit habe, das iranische Atomprogramm „in irgendeiner sinnvollen Art und Weise“ anzugreifen. Hintergrund dieser pessimistischen Einschätzung sind die begrenzten Möglichkeiten der israelischen Luftwaffe und die geografische Verteilung der iranischen Atomanlagen. Ironischerweise könnten sowohl den iranischen als auch den israelischen Drohungen eine Überschätzung der eigenen Möglichkeiten zugrundeliegen.

Ein Konflikt, der auf Annahmen beruht

Nicht dass die restlichen Annahmen über den Atomstreit über jegliche Zweifel erhaben wären. Zum Beispiel jene, dass sich Iran der Zerstörung Israels verschrieben hat. Ehud Barak selbst bezweifelte unlängst in einem Interview, dass eine iranische Atombombe primär gegen Israel gerichtet wäre. Und bezüglich dem iranischen Streben nach Nuklearwaffen steht nach wie vor die Einschätzung der US-Geheimdienste (National Intelligence Estimate) aus dem Jahr 2007 im Raum, wonach der Iran sein Atomwaffenprogramm 2003 gestoppt und seither vermutlich nicht wieder aufgenommen hat.