Die Enkel der Sieger feiern in Moskau

Die Enkel der Sieger feiern in Moskau
(AFP/Kirill Kudryavtsev/AFP)

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Nichts wird in Russland so gefeiert wie der Sieg des Zweiten Weltkrieges. Enkel und Urenkel würdigen am 9. Mai die Leistungen der Veteranen.

Jedem Panzer wirft Dascha rote Nelken entgegen, jede Interkontinentalrakete begrüßt sie mit „Hurra“-Rufen. Schweres Kriegsgerät und Artillerie rollen durch die breiten Hauptstraßen Moskaus. Für die junge Russin Dascha ist die Parade ein Fest – gemeinsam mit ihren zwei Geschwistern und der Mutter feiert sie 71 Jahre nach Kriegsende den Tag des Sieges in der russischen Hauptstadt.

Am 9. Mai begehen die Russen ihren wichtigsten Feiertag. Tausende Menschen verfolgen die Parade, die Pomp und Pathos ausstrahlt. Auf dem Roten Platz marschieren mehr als 10 000 Soldaten aus Russland und anderen Ex-Sowjetrepubliken auf. Den Aufmarsch verfolgt Russlands Präsident Wladimir Putin auf der Tribüne, zu der nur Ehrengäste und Veteranen Zutritt haben. Nach der Vorstellung geht die Parade auf den Straßen Moskaus dann für das Volk weiter. Das Spalierstehen bei der Militärparade ist für Viele quasi Pflicht.

Neben der offiziellen Parade findet in fast jeder russischen Familie ein Fest statt. Dascha hat ein Bild ihres Großvaters Michail im Arm, 1945 war er bei der Eroberung Berlins dabei. „Das ist für mich eine Pflicht, mich an meinen Großvater zu erinnern – weil er sich selbst für das Land geopfert hat“, sagt die 23-Jährige. Nach der Militärparade beginnt für sie der eigentliche Festakt – der Marsch der Veteranen. Hunderttausende Russen ziehen mit Fotos von Familienmitgliedern über den Roten Platz. Putin persönlich führt wie bereits im Vorjahr den Gedenkmarsch für das „Unsterbliche Regiment“ an – mit einem Bild seines Vaters in den Händen.

Militärische Stärke

Der Tag wird vom Staat auch genutzt, um militärische Stärke zu demonstrieren und das Volk Nationalstolz zu lehren. Eine differenzierte historische Auseinandersetzung oder Kritik an der immensen Kosten für die Parade sind unerwünscht.

„Mit uns hat das alles eigentlich nichts mehr zu tun, das alles sind eigentlich Relikte fürs Museum“, sagt eine Frau, die mit ihrer kleinen Tochter an der Absperrung steht. Kampfjets donnern über ihre Köpfe hinweg und hinterlassen am Himmel einen Schweif aus Weiß, Rot, Blau – den Nationalfarben Russlands. „Was will man beweisen, wenn so viele Panzer durch die Stadt fahren und Lärm machen?“, fragt sie. Wie die meisten Menschen hat sich die Frau ein schwarz-orange gestreiftes Sankt-Georgs-Band ans Revers gesteckt, es ist das Symbol für Tapferkeit. Seit einiger Zeit steht dieses Band auch für den Ukraine-Konflikt, der Annexion der Krim durch Russland und für den russischen Nationalismus.

Ein kleines Mädchen hat sich eine Offiziersmütze auf das blonde Haupt gesetzt, in der Hand schwenkt es die russische Fahne. „Ich will Panzer sehen“, ruft sie, während ihr Vater auf seinem Smartphone sich die Rede des russischen Präsidenten anhört. „Auch heute ist die Zivilisation wieder mit Grausamkeit konfrontiert: Gewalt und Terrorismus bedrohen die ganze Welt“, sagt Putin in seiner Rede am Roten Platz. „Dieses Übel müssen wir bekämpfen.“

Den Frieden feiern

Der Arzt Wladislaw will gerade in Zeiten des Terrorismus den Siegestag feiern. „Brutalität und Krieg gibt es überall auf der Welt, das kann man nicht leugnen“, sagt der 30-Jährige. „Der 9. Mai bedeutet doch eigentlich auch, dass wir den Frieden feiern – gerade heute, wo jeder nur mehr über Terrorismus redet.“

Die Einwohner genießen bei sommerlichen Temperaturen das ungewohnte Gefühl, einmal über autofreie Straßen zu flanieren. Für den Festtag hat sich Studentin Sofia ein besonderes Outfit überlegt: Militärmütze, Tarnjacke und rote Highheels aus Lack. „Ich bin gerührt, wenn ich die Panzer sehe – sie sind so schön“, schwärmt die 19-Jährige.