„Dealmaker“ Trump zieht die Notbremse

„Dealmaker“ Trump zieht die Notbremse
(Reuters/Carlos Barria)

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Die Abschaffung von "Obamacare" ist zunächst vom Tisch, die Republikaner haben die nötigen Stimmen nicht zusammenbekommen. Gerät die Präsidentschaft Trumps früh an ihre Grenzen, oder will er Zeit für einen neuen Deal? Eine Analyse der Deutschen Presse-Agentur (DPA).

Es sollte der wichtigste Test für den selbsterklärten weltgrößten Verhandler werden. Kurz vor seiner bislang größten Niederlage zieht Donald Trump die Notbremse. Zwei Monate nach seinem Amtsantritt lernt er, dass Wahlkampf und Regieren zweierlei Paar Schuhe sind. Dass Dekrete zu unterschreiben leicht ist, Gesetze zu zimmern aber mitunter vertrackt.

Seine Republikaner im Abgeordnetenhaus bekommen die Stimmen für die Alternative zu „Obamacare“ einfach nicht zusammen. Vor der öffentlichen Klatsche bittet Trump am Freitag, die Abstimmung abzusagen. Neuauflage offen. Die zweite Vertagung. Eine Blamage.

Anhaltende Schockwellen

In beiden Häusern des Kongresses haben die Republikaner die Mehrheit. Sie kontrollieren das Weiße Haus. Den Stillstand in Washington versprach Trump zu beenden. Und dann statt Durchmarschs solche Probleme beim ersten echten Test? Ein echtes Polit-Drama. Das wird anhaltende Schockwellen durch die Partei senden.

„Obamacare abschaffen und ersetzen!“ – das war einer der lautesten Schlachtrufe im Wahlkampf. Ein zentrales Anliegen der Republikaner. „Obamacare“ – die Gesundheitsreform von Trumps Vorgänger Barack Obama – ist vielen verhasst. Der epochale, wenn auch mit Fehlern behaftete Einstieg in ein echtes Sozialsystem, er ist der Partei zu viel Staat.

Von wegen schlüsselfertige Alternative

Bliebe nun alles beim Alten, wäre das für die Versicherten aber auch keine gute Nachricht. Das System muss dringend repariert werden. Trump hatte schon öfter gesagt, dass er „Obamacare“ notfalls langsam verrotten lassen wolle.
Wenn jemand fragte: „Obamacare ersetzen, womit?“ gaben die Republikaner jahrelang vor, sie hätten eine schlüsselfertige Alternative zu „Obamacare“. In seiner Rede an den Kongress verkündete Trump zuletzt leutselig, ein neues Gesetz mit seiner Handschrift werde mehr Leute versichern, die Selbstbeteiligung reduzieren und den Versicherten mehr Wahlfreiheit einräumen.

Das wäre wohl möglich. Aber nicht mit dem Plan der Republikaner. Denn um all das zu erreichen, müssten Steuern erhöht und mehr Geld in das Gesundheitssystem gepumpt werden. Der Gesetzentwurf der Republikaner wollte das Gegenteil. Binnen zehn Jahren hätten 24 Millionen ihre Versicherung verloren, hieß es in einer unabhängigen Kongressschätzung. Und die Verbleibenden wären viel schlechter abgesichert.

Für Trump ging es mit diesem Gesetz um sehr viel. Seinen Republikanern knallte er zuletzt eine nackte Drohung vor den Bug: Stimmt zu, oder wir lassen alles beim Alten. Da hat der „Dealmaker“ zu hoch gepokert, nur Minuten vor Beginn der Abstimmung. „Am Ende des Tages ist das hier keine Diktatur“, sagte Sprecher Sean Spicer am Freitag vor der Abstimmung etwas zerknirscht. Man könne niemandem vorschreiben, wie er wählt.

Republikaner zerrissen

Trump, schreiben die New York Times und andere, habe das Thema zu spät richtig ernst genommen. Als eine Art Bruder Leichtfuß im Oval Office müsse er nun einsehen: Echte Politik ist schwierig. Dazu geben auch die Republikaner kein gutes Bild ab, sind in mehrere Fraktionen zerrissen. Während die einen „Obamacare“ vollständig in Luft auflösen wollen, bekommen Moderate kalte Füße – zu scharf war der Wind, der ihnen zuhause in ihren Wahlkreisen entgegenschlug.

Paul Ryan, Vorsitzender des Abgeordnetenhauses und Schöpfer des Gesetzes, dürfte keine ganz leichten Tage vor sich haben.

„Das Scheitern dieser Gesetzgebung droht Trumps gesamte Wirtschaftsagenda zum Entgleisen zu bringen“, sagt Steve Bell vom Think Tank Bipartisan Policy Center dem Sender CNN. „Die Balkanisierung der Republikaner wird sich fortsetzen. Und Trump ist ein Bleianker am Hals einiger Abgeordneter.“

„Midterms“ schon in den Köpfen

Schon jetzt spielen die „Midterms“ eine Rolle, die Kongresswahlen 2018. Vielen Abgeordneten war das eigene Hemd näher als der Hermelin des Präsidenten. Das ist nach der Präsidentenwahl zwar immer so, aber noch nie war das so früh. Für Abgeordnete und Senatoren, die 2018 zur Wiederwahl stehen, sind 37 Prozent Zustimmung für Trump nicht der allerbedrohlichste Hammer, den der Präsident schwingen kann. Dazu ergab eine Quinnipiac-Umfrage nur 17 Prozent Zustimmung für das von Trump unterstützte Gesetz. Warum sollten sie dem zustimmen müssen?

Die Absage der Novelle an diesem Freitag kommt für Trump, dem so gerne alles gelingen will, einem echten Schlag ins Kontor gleich. Denn wenn er schon das nicht schafft, sagen Medien wie Politico und MSNBC sowie auch Mitglieder der eigenen Partei, wie soll das dann erst mit der ungleich schwierigeren Steuerreform werden, mit den Handelsverträgen – oder einem neuen Verhältnis zu Russland? Das Image des Machers, dem alles gelingt, es ist mindestens angekratzt. Vielleicht ist an diesem Freitag sogar etwas zerbrochen.

120 Einzelgespräche brachten keine Wende

Trump habe alles, aber auch alles mögliche getan, sagt Spicer, unter anderem 120 Einzelgespräche geführt. Aber Parlamentarier verweisen darauf, dass ein Gesetzgebungsverfahren nicht umsonst so lange dauere, wie es eben dauere. Dass Koalitionen ihre Zeit bräuchten, dass Hast und Schlampigkeit schlechte Zutaten seien, auch für Gesetze.

Trump wird nun vorgehalten, die Kraft seiner Präsidentschaft nicht auf die Straße zu bekommen. Dafür bot Trump selbst ein unfreiwilliges Sinnbild. Eine Abordnung von Truckern hatte er ins Weiße Haus geladen, bestieg sodann in strahlender Sonne das Führerhaus eines mächtigen Lasters. Wie ein kleiner Junge krallte er sich das große Lenkrad, sah mit aufgerissenem Mund nach vorne und drückte ordentlich auf die Hupe. Es geschah: nichts. Dann stieg er wieder aus.