Bloss ein Eigentor?

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Die Hochöfen von Florange sind vorerst gerettet. Doch wann und ob sie wieder Eisen herstellen werden, ist nicht gewusst. Eine Verschnaufpause für die Regierung, die sich stark engagiert hatte.

ArcelorMittal hat sich vergangene Woche bei Frankreichs Regierung verpflichtet, 180 Millionen in Florange zu investieren. Unklar ist jedoch, wann diese Investitionen erfolgen sollen. Ein Zeitplan sei nicht vereinbart worden, zitiert „Le Monde“ am Mittwoch einen Sprecher von Premierminister Ayrault. Der Stahlkonzern könnte 30 Millionen pro Jahr investieren oder vier Jahre lang nichts.

Nicht definiert worden sei auch die Art der Investionen, so die Zeitung weiter. Die Gewerkschafter fordern ihrerseits, dass das Geld nicht für Wartungsarbeiten verwendet wird. Benzin tanken sei etwas anderes als den Wagen reparieren, meint CFDT-Sprecher Edouard Martin. Am Mittwochabend trifft sich eine Gewerkschafterdelegation aus Florange mit Premierminister Jean-Marc Ayrault.

Geschäftswelt verschreckt

In der Zwischenzeit wird der Deal zwischen Mittal und der französischen Regierung kritisch hinterfragt. Umstritten ist insbesondere, wie das Dossier Florange gehandhabt wurde. Die Hochöfen sind zwar vorerst gerettet und damit 600 Arbeitsplätze, aber die Regierung hat mit ihrem Einsatz alle Seiten gegen sich aufgebracht – den rhetorisch hart angegangenen Stahlboss Lakshmi Mittal, die durch Verstaatlichungspläne verschreckte Geschäftswelt und sogar die Gewerkschaften. „Das war ein Desaster“, sagte ein hochrangiger Banker, als das Drama vergangene Woche seinen vorläufigen Höhepunkt erreichte. Kundige Investoren wüssten zwar, dass in Frankreich zwischen Rhetorik und Realität Welten lägen. Aber selbst für Kenner sei die Rangelei sehr nervraubend gewesen.

Unter dem Druck hoher Arbeitslosigkeit und geringer Wählergunst hatte Hollande zwei Monate lang mit dem Inder Mittal um den Erhalt der Hochöfen gepokert. Am Freitag vermeldete seine Regierung dann einen Kompromiss, den sich die Sozialisten als Sieg im Kampf gegen den Niedergang der französischen Industrie gutschreiben wollten. Doch dieser kann Experten zufolge bestenfalls als Unentschieden gewertet und mittelfristig noch zum Eigentor werden.

Keine Abnehmer für Stahl aus Florange

ArcelorMittal erklärte sich zwar bereit, in den kommenden fünf Jahren 180 Millionen Euro in das seit Wochen ruhende Werk zu stecken und von Kündigungen abzusehen. Doch wieder in Betrieb geht die Anlage deshalb noch lange nicht, wie Hollande es versprochen hatte. Für den Stahl aus Florange gibt es am Markt derzeit schlicht keine Abnehmer. Offen ist damit zudem, wie es genau für die Belegschaft weitergeht. Schließlich sieht die Einigung auch die Verteilung der Florange-Arbeiter auf andere ArceolorMittal-Werke in Frankreich sowie freiwillige Auflösungsverträge vor – ein Deal, den der Weltkonzern wohl verschmerzen kann. Kritiker meinen sogar, ungefähr dasselbe hätte ArcelorMittal auch ohne Druck aus Paris geboten.

Der in der Hauptstadt als werbewirksam eingeschätzte Kriseneinsatz aber hat viele Opfer gefordert: Hollandes tief im linken Lager verwurzelter Industrieminister Arnaud Montebourg setzte sich vehement für eine Verstaatlichung des Werks ein – eines der letzten in der einst boomenden Stahlregion. Nebenbei erklärte er den global agierenden und vernetzten Konzernchef Mittal in Frankreich zur unerwünschten Person. Montebourg prahlte zudem, er habe einen finanzkräftigen Kaufinteressenten an der Hand.

Montebourgs Interessent sei weder vertrauenswürdig noch finanziell solide

Seinen Angriff auf Mittal nahm er später zurück, bei dem geheimnisvollen Investor konnte der Minister aber nicht mehr zurückrudern. Peinlich für ihn: Ausgerechnet Berater von Frankreichs Ministerpräsident Jean-Marc Ayrault erklärten, Montebourgs Interessent sei weder vertrauenswürdig noch finanziell solide. Größer noch als der Glaubwürdigkeitsverlust der Regierung Hollande ist Beobachtern zufolge die Gefahr, dass sie mit ihrem Politikstil das gerade in der Krise so dringend benötigte Vertrauen der Geschäftwelt auf Spiel gesetzt haben könnte.

Süffisant sagte kürzlich Londons Bürgermeister Boris Johnson zu Investoren in Indien, sie sollten ihr Geld doch lieber in der britischen Metropole anlegen, weil in Paris wieder Revolutionäre an der Macht seien. Spott auf internationaler Bühne und kein großer Applaus im eigenen Land, denn selbst die Gewerkschaften zeigten sich enttäuscht: „Bis zur letzten Minute wurde uns weisgemacht, dass eine vorübergehende Verstaatlichung praktisch ausgemachte Sache sei“, sagte der Leiter der Gewerkschaft CFDT in Florange, Edouard Martin. „Wir haben das Gefühl, die ganze Zeit belogen worden zu sein.“ Doch gerade von der Kompromissbereitschaft des Arbeitnehmerlagers ist Hollande abhängig, wenn er auf seinem Reformkurs in Kürze das starre Arbeitsrecht umkrempeln will.