Asselborn: „Es geht ohne Schiedsgericht“

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Noch sind die Verhandlungen über das Transatlantische Handelsabkommen TTIP zwischen den USA und der Europäischen Union nicht abgeschlossen. Dennoch wird es bereits jetzt von vielen Seiten kritisiert.

Wie die Luxemburger Regierung zu dem TTIP steht und was sie von den Bedenken hält, darüber sprachen wir mit dem Luxemburger Außenminister Jean Asselborn.

Tageblatt: Herr Minister, auch in Luxemburg hat sich eine Kritikfront gegen das TTIP aufgestellt. Wie sehen Sie deren Bedenken und ihre Forderung, die Verhandlungen einzustellen?

Jean Asselborn: „Ich habe Respekt vor den Bedenken und Kritiken von Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen. Aus diesem Grunde hat die Regierung ja bereits letzte Woche beschlossen, der Anfrage der Plattform entgegenzukommen und den Dialog mit ihr zu suchen.

Das soll unter meiner Federführung zusammen mit anderen betroffenen Ministern geschehen. Morgen (am heutigen Donnerstag) werden wir wohl über einen Termin entscheiden.“

„T“: Warum geschieht das unter Ihrer Federführung?

J.A.: „Weil die Zuständigkeit für das TTIP in der EU bei den Außenhandelssektionen der Außenministerien liegt. Wobei man gleich festhalten sollte, dass die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass der Rat der Außenminister im nächsten Jahr zum ersten Mal über das Abkommen zu befinden haben wird. Und noch wahrscheinlicher ist, dass dies zum Zeitpunkt der Luxemburger EU-Präsidentschaft sein wird, deren Vorsitz ich dann führen werde.“

„T“: Auch wenn die Verhandlungen vorher gestoppt werden respektive Luxemburg nicht mehr dabei sein wird?

J.A.: „Ich glaube, es ist falsch und völlig unrealistisch, zu glauben, man könne die Verhandlungen sozusagen per Knopfdruck abstellen. Die Europäische Kommission erhielt das Mandat hierzu im Juni 2013. Das Mandat wurde aufgrund des Lissabon-Vertrages erteilt, der der Kommission ein solches Verhandlungsrecht einräumt. Wobei Verhandlungsergebnisse immer auch vom Europäischen Rat, dem Europaparlament und von den nationalen Parlamenten gutgeheißen werden müssen. Ich glaube, es wäre daher falsch, dass Luxemburg nicht dabei sein soll. Wer nicht am Tisch sitzt, hat keinen Einfluss auf das Verhandlungsergebnis.“

„T“: Die Kritiker befürchten ein Aufweichen der europäischen Standards.

J.A.: „Wie gesagt, ich verstehe die Kritik. Dennoch sollte man die Verhandlungen nicht bereits als eine Art Weltuntergang an sich darstellen. Hier wird über laufende Gespräche bereits ein Fazit gezogen. Das ist eine Einstellung, die ich nicht teilen kann. Wir sind ja nur eines von 28 Ländern, die verhandeln. Und bei diesen Verhandlungen müssen drei Dinge respektiert werden. Erstens darf das europäische Sozialmodell nicht unterwandert werden, zweitens darf das EU-Recht nicht unterwandert werden und drittens darf die nachhaltige Entwicklung nicht infrage gestellt werden. All dies steht ausdrücklich im Verhandlungsmandat der EU-Kommission.

Zudem, wie gesagt, muss bei Verhandlungsende das Europäische Parlament zustimmen. Und die nationalen Parlamente.

Wenn die Auflagen respektiert werden, kann man doch nicht dagegen sein, mit den USA zu verhandeln, so wie wir auch mit anderen Ländern, etwa Südkorea, verhandeln würden.“

„T“: Viele befürchten, dass die USA vor allen Dingen ihre Standpunkte durchsetzen könnten.

J.A.: „Sie nehmen nicht zur Kenntnis, dass die EU der größte Wirtschaftsakteur weltweit ist. 17,5% des weltweiten Handels- und Wirtschaftsvolumens werden von der EU erbracht, die USA erbringen 13,5%. Die EU ist größter Handelspartner für 80 Länder, bei den USA sind es deren 20. Der Einfluss der EU ist weltweit größer als der der USA.

Die beiden größten Handelsmächte überprüfen jetzt, was sie gemeinsam besser angehen könnten. Ein solches Abkommen kann ja auch Arbeitsplätze schaffen. Das ist ja auch eine Zielsetzung. Ob nun mit den USA oder anderen Ländern.

Im EU-Durchschnitt werden in den Ländern durch den Handel 36% des Bruttoinlandproduktes erwirtschaftet. In Luxemburg liegt dieser Anteil bei 80%. Ohne den freien Handel wäre Luxemburg höchstens ein Drittel dessen, was es heute ist. Ohne freien Handel kämen wird nicht weit. 10.000 Arbeitsplätze in Luxemburg hängen von USA-Investitionen ab.“

„T“: Das klingt sehr gut. Doch wenn alles so schön ist, warum dann die ganze Geheimniskrämerei um die Verhandlungen?

J.A.: „Das ist in meinen Augen ein reelles Problem. Der Transparenzmangel ist ungeschickt, denn es geht um viel. Wegen der mangelnden Transparenz konnte ja überhaupt erst die Angst aufkommen, dass die USA die EU-Standards niederwalzen und die mächtigen US-Multis den europäischen Markt überrollen würden.

Aus diesem Grunde müssen auch wir als Luxemburger dabei helfen, dafür zu sorgen, dass wir klare Hürden aufstellen und Garantien einbauen.

Wir sind als Europäische Union den USA gegenüber kein „underdog“. Wir sind zumindestens auf gleicher Augenhöhe. Befürchtungen, die immer wieder vorgebracht werden, wie hormonbehandeltes Rindfleisch in Europa, Chlor-Hähnchen oder genmodifizierte Produkte, sind bereits vom Tisch. Dies wurde für Europa abgelehnt. Noch einmal: Verhandlungsergebnisse müssen anschließend auf mehreren Ebenen gutgeheißen werden.

Es kann keine Geheimniskrämerei geben, alle Zwischenstadien der Verhandlungen müssen auf den Tisch. Natürlich muss es für Verhandlungen auch bestimmte Voraussetzungen geben. Man kann solche auch nicht auf einem städtischen Markt führen. Aber sobald Entscheidungen anstehen, müssen die Argumente öffentlich werden.“

„T“: Nehmen wir einmal an, die Transparenz wäre gegeben, die Gemeinsamkeiten zwischen den USA und der EU wären erörtert, konkrete Pläne erstellt, alles im gegenseitigen Vertrauen und unter Berücksichtigung gegenseitiger Vorbehalte. Warum ist dann ein Investitionsschutz nötig? Und ganz besonders, warum soll dieser über ein Schiedsgericht laufen, das mit einem Gericht ja wenig zu tun hat? Wird hier nicht das nationale Recht der Mitgliedstaaten ausgehöhlt zugunsten eines nicht auf Recht fußenden Einigungsgremiums, das nicht von Richtern, sondern hauptsächlich von Anwälten geführt wird?

J.A.: „Wir sprechen auch lieber von einem Schlichtungsverfahren, weil Schiedsgericht in der Tat ein irreführender Begriff sein kann. Es stimmt, die Europäische Kommission hat sich dazu entschieden, ein solches einzusetzen. Es wird befürchtet, vielleicht zu Recht, dass wenn eine Regierung ihre Politik ändert, dies für einen Investor zum Nachteil gereichen könnte. Das aktuellste Beispiel ist Uruguay, wo die Regierung strengere Raucherbestimmungen erlassen hat und ein dort ansässiger europäischer Zigarettenhersteller jetzt wegen Verdienstausfall klagt.

Es geht auch um Verstaatlichungen, wie beim Öl in Venezuela oder bei Minen in Senegal, wo Investoren klagen.

Ich vertrete den Standpunkt, dass man zwischen den USA und Europa keinen solchen Investitionsschutz vereinbaren sollte. Es gibt europäische Länder, die darauf bestehen, andere, wie z.B. Deutschland, sind dagegen. In unserer Gesetzgebung gibt es andere Mittel, um Dinge zu entscheiden. Ich glaube, man sollte diesen Punkt, der sicher auch durch die Intransparenz zu einem Problem wurde, aus der Welt schaffen. Auf ein Schlichtungsverfahren beim TTIP kann man verzichten.

Auch wenn es weltweit 3.200 Abkommen mit einer solchen Vereinbarung gibt, 1.400 von einzelnen europäischen Staaten gezeichnet wurden und wir im Rahmen der belgisch-luxemburgischen Wirtschaftsunion 45 solcher Abkommen bereits unterschrieben haben.“

„T“: Wie soll es vorerst weitergehen? Steigt Luxemburg aus den Verhandlungen aus?

J.A.: „Generell sind wir im Augenblick immer noch in einer Verhandlungsphase. Ich glaube, es wäre falsch und fast schon unverantwortlich, inmitten solcher Diskussionen diese abzubrechen und die Tür zuzuschlagen. Sozusagen per Knopfdruck. Wir müssen als Politiker unserer Aufgabe gerecht werden. Es ist besser, wir sind dabei und tragen zur Entscheidungsfindung bei, als dass wir andere alleine entscheiden ließen. Auch über unsere Handelsinteressen. Das kann nicht in unserem Interesse sein.“

Serge Kennerknecht/Tageblatt.lu