John Castegnaro

John Castegnaro
(Tageblatt-Archiv)

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Ende August 2009 wusste John Castegnaro, dass ihm Schweres bevorstand. Nach der Diagnose unterzog er sich mit größter Disziplin allem, was die Ärzte ihm abverlangten – ohne je zu lamentieren.

Bereits 2004 hatte er den OGBL-Vorsitz an J.-C. Reding übertragen. Im gleichen Jahr war er auf der LSAP-Liste in die Abgeordnetenkammer gewählt worden, aber zum Parteipolitiker mutierte er nicht; diese Welt blieb ihm, dem streitbaren, aufrechten Gewerkschafter, fremd. Nach der Mandatsperiode kehrte er ihr den Rücken, um sich fortan voll zugunsten sozialer Dienste wie Help, Objectif Plein Emploi und Elysis zu engagieren.
Das tat er konsequent während seines 35 Monate andauernden, aus seiner Sicht nie verlorenen Kampfes gegen den Krebs. Casteg, dieser bewundernswerte, beispielhafte Mensch, fand gerade in dieser Phase viel Zeit für seine Familie, die engen Freunde und für unser Medienhaus, das ihm sehr am Herzen lag.

Alvin Sold asold@tageblatt.lu

An dieser Stelle der Zeitung steht vorrangig Politik zur Debatte. John Castegnaro „machte“ Politik im höchsten, im besten Sinne des Wortes. Dazu war er wahrscheinlich berufen. Sein Vater, ein italienischer Einwanderer, der eine Luxemburgerin geheiratet hatte, starb bei einem Arbeitsunfall auf der Hadir. John, ein Kind damals, erfuhr, was Not ist, und verstand als Jugendlicher schon, dass am Ursprung aller sozialen Missstände und letztlich vieler Kriege die ungerechte Aufteilung der geschaffenen Mehrwerte steht.

So kam er früh zur Arbeitergewerkschaft LAV, die er 1978/79, während der gewaltigen Stahlkrise, in den maßgeblich von ihm konzipierten OGBL einbrachte. Seiner Vorstellung nach sollte in Luxemburg ein parteipolitisch unabhängiger Dachverband für Arbeiter, Angestellte und Beamte aller Obedienzen entstehen, damit dem rücksichtslos profitorientierten Konzerne-Patronat Paroli geboten würde.

Es gelang der um ihre Anhängerschaft im LCGB besorgten CSV, dieses historische Projekt zu hintertreiben. Man berief sich auf imaginäre Vorteile des Pluralismus, um das Entstehen einer wirklichen Gegenmacht in der Hand des Salariats zu verhindern.
Dem Visionär Castegnaro war es nicht vergönnt, alle verfügbaren Kräfte zu bündeln. Er ging dann den zweitbesten Weg, jenen der Tripartite, die lange das erfolgreiche Luxemburger Modell für Wettbewerbsfähigkeit sowie soziale Kohäsion und Fortschritt war.

Aber dieses Modell hatte natürlich seinen Preis, den Casteg für den sozialen Frieden hoch ansetzte. Er verstand es wie kein Zweiter, mit geschickt vorgetragenen Argumenten zu überzeugen und glaubwürdig Stärke zu zeigen. Der Konfrontation auf der Straße ging er nicht aus dem Weg: Ihm gelangen einige der eindrucksvollsten Massendemonstrationen der Nachkriegszeit, die lang währenden Einfluss auf die Landespolitik hatten.

Was hätte er getan?

Jetzt bleiben von der Tripartite nur noch Worthülsen. Das Patronat schwingt die Abrissbirne gegen die Errungenschaften (ja, dieser alte Begriff sagt genau, was verschwinden soll) von Gewerkschaftergenerationen.
Ist man sich dessen bewusst? Sind sich die hohen Herren aus der Politik, die heute beim Abbau von Castegs Werk Hand mit anlegen, ihrer Zwiespältigkeit überhaupt bewusst, wenn sie den Verstorbenen über den grünen Klee loben?

Wie dem auch sei, unser Casteg, dieser gerade Kerl, der auch ohne Bac +8 jedem Manager „de Bass hale konnt“ , lebt weiter dort, wo der tiefe Sinn seines Einsatzes erkannt und verstanden wird.
Im OGBL natürlich, aber auch und besonders im Tageblatt, dessen 100. Gründungstag im Juni 2013 er leider nicht erleben kann.
Wir schulden John viel.
Wir werden sein Andenken ehren, indem wir uns bei sozial- und wirtschaftspolitischen Problemen fragen: Was hätte Casteg getan?