ForumStar Trek gegen die imperialistische Doktrin

Forum / Star Trek gegen die imperialistische Doktrin
 Foto: AFP/Thomas Watkins

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Am 9. Februar 1967, nur Stunden, nachdem die US-Luftwaffe den Hafen von Haiphong und mehrere vietnamesische Flughäfen bombardiert hatte, sendete der amerikanische Fernsehsender NBC eine politisch bedeutsame Folge der Serie Star Trek (auf Deutsch: Raumschiff Enterprise): In der Episode mit dem Titel „The Return of the Archons“ wird die „Oberste Direktive“ eingeführt – das Hauptgesetz der fiktionalen planetaren Föderation und ihrer Sternenflotte, das jede absichtliche Beeinflussung außerirdischer Lebewesen, Zivilisationen und Kulturen verbietet. In ihrem Ursprungsjahr 1966, als US-Präsident Lyndon B. Johnson weitere 100.000 Soldaten nach Vietnam entsandte, diente die Oberste Direktive als gut getarnte, aber direkte ideologische Herausforderung der Regierungspläne.

Diese Direktive steht immer noch im Mittelpunkt der Serie Star Trek, und heute ist sie relevanter denn je. Militärische Einsätze werfen grundsätzlich eine Vielzahl von Problemen auf, was es schwer macht, ihre Nützlichkeit rational zu diskutieren. War beispielsweise die US-Intervention in Vietnam oder Afghanistan durch gute Absichten motiviert – also die Zähmung des Totalitarismus oder die Rettung der Frauen vor radikalen Islamisten? Oder waren diese Absichten nur vorgeschoben, um zynische wirtschaftliche oder strategische Motive politisch zu kaschieren? Waren sie falsch, weil die US-Streitkräfte verloren haben? Oder wären sie sogar bei einem Sieg falsch gewesen?

Oberste Direktive

Die Brillanz der Obersten Direktive liegt darin, dass sie dieses Labyrinth von Verwirrung und Täuschung durchschlägt: Die Motive der Invasoren, ob sie nun gut oder schlecht sind, spielen überhaupt keine Rolle. Die Direktive verbietet den Einsatz fortgeschrittener (militärischer oder anderer) Technologien zwecks Einmischung in jegliche Gemeinschaft, jegliches Volk oder jegliche bewusste Art. Tatsächlich ist sie ziemlich drastisch: Die Mitarbeiter der Sternenflotte müssen sie sogar respektieren, wenn dies ihr Leben kostet.

In den Worten von Captain James T. Kirk ist „der heiligste Schwur eines Sternenschiffkapitäns, den er in seinem Leben ablegt, dass er lieber sein Leben oder gar das seiner gesamten Mannschaft gibt, als die Oberste Direktive zu verletzen“. Und sein Nachfolger, Captain Jean-Luc Picard, fügt hinzu: „Die Oberste Direktive ist nicht nur ein Regelwerk, sondern eine Philosophie … und eine sehr richtige. Wieder und wieder hat die Geschichte gezeigt, dass es immer und überall, wo sich die Menschheit – und sei es mit noch so guter Absicht – einmischt, unweigerlich katastrophal endet.“

Eine solche Philosophie in eine etablierte amerikanische Fernsehserie einfließen zu lassen, und dies auch noch auf dem Höhepunkt des Vietnamkriegs, war ein mutiger Schritt. Es besteht kein Zweifel, dass dies eine bewusste Kritik an der US-Außenpolitik war. In der Folge „Patterns of Force“ von 1968 beschreiben die Drehbuchautoren von Star Trek einen Sozialingenieur der Föderation, der versucht, einem primitiven Planeten zu helfen, indem er dessen Bewohnern eine humanistische Einstellung beibringt, aber gleichzeitig einen Staat mit einer solchen Effizienz aufbaut, die nur von einem autoritären Regime gemeistert werden kann. Sein gut gemeinter Eingriff scheitert schon bald daran, dass die von ihm eingeführten Autoritätsmuster zu institutionalisiertem Rassismus führen, während der Humanismus, den er fördern wollte, von einem Regime erstickt wird, das Völkermord betreibt.

Keine naiven Moralisten

Die Autoren von Star Trek waren keine naiven Moralisten oder Isolationisten. Sie haben verstanden, dass die Oberste Direktive wie alle rigiden moralischen Grundsätze nicht so einfach umgesetzt werden kann. Bereits die Ankunft in einem fremden Land oder auf einem anderen Planeten stellt einen gewissen Eingriff dar. Obwohl die Offiziere der Sternenflotte bereit waren, lieber zu sterben als die Oberste Direktive zu übertreten, haben sie häufig aufgrund moralischer Entrüstung genau dies getan. In „A Private Little War“ von 1968 werden sie mit einem planetarischen Bürgerkrieg konfrontiert, in dem eine der beiden Kriegsparteien von den Erzfeinden der Föderation, den Klingonen, mit hochwertigen Waffen ausgestattet wird. Wie können sie die Oberste Direktive respektieren, wenn die konkurrierende Supermacht dies nicht ebenfalls tut?

Sie entscheiden, dass die beste Art, die Direktive zu befolgen, darin besteht, sie zu übertreten. Also versuchen sie, Chancengleichheit zu schaffen, indem sie auch die andere Kriegspartei mit fast identischen Waffen ausstatten. Dies führt zu einem unkontrollierten Wettrüsten und einem außergewöhnlich unglücklichen Ende.

Aber nicht alle Verletzungen der Obersten Direktive führen ins Verderben: In „A Taste of Armageddon“ von 1967 geht es um einen bizarren Krieg zwischen zwei Planeten, deren Anführer sich darauf geeinigt haben, ihre Schlachten in einem Computer zu simulieren, um die endlose Zerstörung der Infrastruktur zu beenden. Aber die Menschen, die in der Computersimulation „getötet“ werden, werden später in Todeskammern gebracht. Davon überzeugt, dass es besser ist, erneut einen wirklichen Krieg zu riskieren, als diese gefühllosen simulierten und doch wirklichen Morde zu tolerieren, verletzt Kirk die Oberste Direktive, indem er die Todeskammern in die Luft sprengt.

Trotzdem bemühten sich die Autoren in solchen Fällen zu zeigen, dass gute Ergebnisse nicht wegen der Verletzung der Obersten Direktive erzielt wurden, sondern trotzdem. Oder, präziser, zu zeigen, dass gerade der Glaube an die Qualität und Rechtmäßigkeit der Obersten Direktive, der in die Hirne und Seelen des Sternenflottenpersonals eingraviert ist, dazu führt, dass deren Übertretung manchmal funktioniert. Ebenso können westliche Soldaten gelegentlich in einem weit entfernten, kriegsgeschüttelten Land deshalb Gutes tun, weil sie nicht glauben, es sei vernünftig zu versuchen, mit ausländischen Gewehren eine kohärente Zivilisation aufzubauen.

Widersprüche der amerikanischen Gesellschaft

Durch Star Treks Oberste Direktive wird mit populärkulturellen Mitteln betont, wie irrelevant es ist, ob die angeblich guten Absichten, mit denen imperialistische Eskapaden begründet werden, real oder vorgeschoben sind. Sie dramatisiert auf brillante Weise, wie die Planung von oben verordneter Hochtechnologieinvasionen – zum Schutz „zweitklassiger“ Völker vor sich selbst – zwangsläufig zu den ekelhaften Lügen, Verbrechen und Verschleierungen von der Art führen, wie wir sie aus Wikileaks oder den Pentagon Papers kennen.

Außerdem ist die Oberste Direktive eine notwendige und nützliche Erinnerung an die Widersprüche der amerikanischen Gesellschaft – insbesondere daran, wie sie nicht nur die liberale imperialistische Doktrin geschaffen hat, die in Ländern wie Vietnam, dem Irak oder Afghanistan für so viel Blutvergießen gesorgt hat, sondern auch eine liberale antiimperialistische Doktrin, die sich in einer Fernsehserie versteckt, von der das US-Publikum bereits länger fasziniert ist, als die meisten Amerikaner auf der Welt sind.

* Aus dem Englischen von Harald Eckhoff

Yanis Varoufakis, ehemaliger Finanzminister von Griechenland, ist Vorsitzender der MeRA25-Partei und Professor für Ökonomie an der Universität von Athen.

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