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Protomartyr – Ultimate Success Today

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Es wird viel über die prophetische Dimension dieser Platte berichtet werden: In „Processed by the Boys“ singt Joe Casey von einer „foreign disease washed up on the beach“ und beschwört „against belief, a riot in the streets“ hinauf. Das ist natürlich Schwachsinn: Wer sich einer intelligent postapokalyptischen Bildsprache bedient und die Welt, wie Protomartyr es seit fünf Platten tun, in Dunkeltönen malt, hat große Chancen, irgendwann dann effektiv ins Schwarze zu treffen. Viel wichtiger ist: Mit ihrer neuen Platte haben Protomartyr – eine der wichtigsten, dringlichsten, wütendsten und cleversten Post-Punk-Bands überhaupt – ihr definitives, bahnbrechendes Meisterwerk veröffentlicht.

Noch bevor Acts wie Fontaines D.C. oder Idles den Punk zurück in den Post-Punk brachten – eine Zeit lang wurde das Genre von elegant-depressiven Dandys dominiert –, überzeugten Protomartyr mit wütenden Texten, krachigen Gitarren, die in ihren schiefen Klängen manchmal an den Avantgarde-Indie von Sonic Youth erinnerten und einer fast schon unverschämten Tanzbarkeit (wer die Band vor zwei Jahren während der „Congés annulés“ live erlebte, weiß, wovon ich rede).

Album Nummer fünf trägt den fast schon zynischen Titel „Ultimate Success Today“ (diese wütenden, ehrlichen Tracks werden in keinen Charts landen), das Cover ziert enigmatisch-ironisch ein Pferd und führt die Stärken der Band konsequent fort – mit einem kleinen, aber feinen Unterschied. Denn „Ultimate Success Today“ perfektioniert nicht nur den Bandsound und bietet die zehn besten Songs, die Protomartyr je geschrieben hat – nein diese Platte stellt zudem das fehlende Bindeglied zwischen Postpunk und Jazz dar.

Wer jetzt denkt, die Band hätte sich ein neues stilistisches Gewand auferzwungen, um die Altersmüdigkeit einer Midlife-Crisis zu kaschieren, irrt sich gewaltig. Selten hat der Einsatz von Saxofon, Klarinette oder Cello so zu krachigen, sperrigen und wütenden Kompositionen gepasst – Opener „Day Without End“ beginnt mit treibendem Schlagzeug und funkiger Basslinie, krachige Gitarren und ein irres Free-Jazz-Saxofon begleiten den wie gehabt grimmigen Gesang von Casey. Auf dem bereits erwähnten „Processed by the Boys“ steht ein scharfes Riff im Zentrum, Caseys Sprechgesang erinnert in Kombination mit der Klarinette an die letzte Großtat von Joe Haeges White Wine – ein Vergleich, den man auch für „The Aphorist“ gelten lassen kann –, die trügerische Gemächlichkeit dieses Tracks wird urplötzlich durch einen krachigen Wutausbruch aufgebrochen.

Auf dem irren „June 21“ duettiert Casey mit Half Waifs Nandy Rose über einer dissonanten Gitarre, Vorabsingle „Michigan Hammers“ und „Modern Business Hymns“ sind perfekt tanzbare Indie-Punksongs, auf denen Casey von halbvollen Champagnerbadewannen und der Hoffnungslosigkeit einer neoliberalen Zukunft singt, auf dem wütenden „Tranquilizer“ wird der verzerrte Bass von Jemeel Moondocs wilden Saxofon-Improvisationen begleitet. Besser kann man den Frust über die Irrungen und Wirrungen des späten Kapitalismus nicht vertonen. (Jeff Schinker)

Bewertung: 9/10

Anspieltipps: Processed by the Boys, June 21, The Aphorist, Michigan Hammers, Tranquilizer