Phänomenologie des Fast Foods

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Dan Kolber ist 17 und Ende August als Austauschschüler für zehn Monate von Gosseldingen nach Blackfoot, Idaho, gereist. Von dort schreibt er jeden zweiten Samstag im Tageblatt über seine Erlebnisse und Eindrücke. / Dan Kolber, Blackfoot

Dass Dan Kolber interessante Texte schreiben kann, hat er in den letzten Jahren bereits in der Jugendbeilage „Extra“ und seit ein paar Monaten in unserer Kulturrubrik bewiesen. Heute macht er sich Gedanken über seine Rolle als Austauschschüler.

Die Bedienung füllte das Cola-Glas wieder, mit einem sympathischen Lächeln um die Lippen gezeichnet und der Frage: „Is everything allright guys?“ Und wir antworteten, auch lächelnd, „everything’s fine!“ und hoben unsere mit flüssigem Zucker gefüllten Gläser zum Mund, während vor uns die fetten amerikanischen Burger im klaren Licht der Mittagssonne glänzten. Der schmelzende Käse des Cheeseburgers berührte leicht den Boden des Tellers und die Zwiebeln riefen auf zum saftigen hineinbeißen: Das Essen war serviert.
Das Klischee der Esskultur des Fast Foods wird in den USA wahrlich ins Abstruse getrieben. Denn alles ist irgendwie Fast Food; und das Schimmern des geschmolzenen Käses auf dem Burger und das Geklirre eisgefüllter Cola-Gläser vereinen sich zur unabänderlichen Szenerie eines amerikanischen Mittagessens, im tiefen Einklang mit sich und der Welt. Man könnte nun die Hamburger mit Burritos eintauschen und die Cola mit Mountain Dew (einer anderen äußerst populären Getränkesorte) fände aber den gleichen vor Fett triefenden Sinn dahinter: Essen soll schnell sein, geschmackvoll und bloß nicht kompliziert. Es ist, als fänden die Amerikaner im glücklichen Prozess des Hamburger-und-Pommes-zum-Mund-Führen die Antwort auf die ewigen Fragen des philosophischen Feldes der Ontologie: „Gott gab uns in seiner Allwissenheit Hände und Finger. Mit diesen Händen und Fingern greifen wir unseren Burger, heben ihn zum Mund, und beißen tief hinein, währenddessen atmen wir durch die Nase, die Gott uns in seiner Allwissenheit geschenkt hat. Wir betäuben unseren Gaumen mit saftigem Ketchup, heben den Hamburger sachte zum Teller zurück und kauen währenddessen genüsslich mit unseren gottgegebenen Zähnen das mit Gottes Feuer gebratene Fleisch. Mit der Zunge schlecken wir den letzten kleinen Tropfen Ketchup oder die letzten Krümel des Brötchens von den Lippen und erfreuen uns unserer Existenz.“
„Ich esse schnell und deftig, also bin ich“, meint der Amerikaner und erhebt sich zufrieden und gesättigt von seinem Tisch, auf dem er erst 20 Minuten zuvor Platz genommen hat. Während sich Europäer noch genüsslich beim Aperitif über die letzten politischen Ereignisse unterhalten oder über die Frage des „Was soll ich heute essen?“ nachsinnen, wischt sich der Amerikaner bereits den Mund ab und schleppt seinen schweren Körper zurück zu seinem Pick-up. Denn Amerikaner sind ewige Pragmatiker. Der von Europäern stark ausgeprägten Idee des „Otium“ setzen sie gerne das „Neg-“ davor und suchen bereits nach der nächsten Ablenkungen in schweißtriefender Arbeit, und sei es nur auf dem Sofa hocken und fleißig den Fernsehmüll verarbeiten.
Die Amerikaner haben die Dinge gern simpel und klar, nach dem Motto: „Gib mir einen Gott, eine Waffe, und ein Fast-Food-Restaurant: Gott ist die schnelle Antwort auf meine Fragen, die Waffe die schnelle Lösung bei Uneinigkeiten und das Fast-Food-Restaurant die schnelle Nahrungsmittelzufuhr.“ Und so lebt der Amerikaner sein Leben, wird von den Europäern für dumm gehalten und akzeptiert es auch. Die Amerikaner haben kein Problem damit, für dumm gehalten zu werden, sie halten sich selbst nicht für intelligent, sagen mir selbst immer wieder „You, Europeans, are so much smarter than we are! We, Americans are so stupid.“ Aber, während der Europäer, als unverbesserlicher Denker, auf der Suche nach existenziellen Antworten ist, nachsinnt, die Sekunden des Lebens im erhellenden Schein des Räsonierens an sich vorbeistreichen lässt, hat der Amerikaner seine Antworten parat, simpel und schnell, wie sein geliebtes Fast Food. Seine konservative Grundeinstellung und seine vorschnellen, unüberlegten Entscheidungen mit ungewürztem Determinismus fütternd.
Und bevor auch ich meinen Hamburger zum Mund führte, erkannte ich gerade noch, wie im Restaurant-üblichen Fernsehen die Särge toter Soldaten in aller Andacht über den Bildschirm flimmerten, die amerikanische Flagge im Hintergrund wehend, in der lauen Luft aufgeblasenen Nationalstolzes.
Für ihr Land, für eine Flagge, starben diese Menschen, und über den blinden Patriotismus hinaus für Gründe, die sie selbst nicht kannten.
Sie fanden den schnellen Tod, schnell und simpel, dachte ich mir, fast wie beim Fast Food … Ich legte meinen Hamburger zurück auf den Teller, wischte das Fett von meinen Fingern ab und meinte zu meinem Gegenüber: „Actually, I don’t like fast food!“