Kunstgeschichte aufarbeiten

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Kurz vor dem Jahreswechsel sorgte die Bild-Zeitung mit der Meldung, man habe Nazi-Raubkunst im Bundestag entdeckt, wieder einmal für Schlagzeilen. Mindestens ein Gemälde sei aus der im Februar 2012 entdeckten Sammlung Gurlitt, hieß es.

Bei den Werken, die von der Bild-Zeitung jetzt angeprangert werden, handelt es sich um das Gemälde „Kanzler Bülow spricht im Reichstag“, das Georg Waltenberger 1905 mit Öl malte, und um die Kreide-Lithographie „Straße in Königsburg“, die Lovis Corinth im Jahr 1918 schuf. Das zweite Werk soll aus den Sammlungen der Münchner Familie Gurlitt sein. Ein Sprecher des Bundestagspräsidenten bestätigte die Meldung, wollte aber nichts über die rechtmäßigen Besitzer der Werke mitteilen.

Bereits vor vier Jahren hatte der Bundestag, der Zeitung zufolge, das von den Nazis gestohlene Gemälde „Bismarck mit dem Schlapphut“ von Franz von Lenbach an die Erben des ehemaligen Besitzers herausgeben müssen. Seit 2012 ermittelt eine Kunsthistorikerin auf Beschluss des Kunstbeirats nach Raubkunst im Bundestag. Dieser besitzt eine Kunst-Sammlung von insgesamt 4.000 Werken. Die Auswertung, die spätestens im April 2014 abgeschlossen sein soll, habe ergeben, dass 108 Kunstwerke mit ungeklärter Herkunft und Raubkunst-Verdacht im Bundestag hängen, wusste die Bild. In einer ersten Reaktion auf die Meldungen forderte Dieter Graumann, Präsident des Zentralrats der Juden, eine Offenlegung der Liste mit den verdächtigen Werken.

Noch mehr verborgene Schätze

Die Gurlitt-Sammlung ist möglicherweise nicht die einzige jahrzehntelang verborgene Kollektion von geraubter Kunst. Kunsthistoriker kennen noch mehr. So birgt das Kunstmuseum Solingen einen wahren Schatz an Werken von heute vergessenen Künstlern, die von den Nazis als „entartet“ verfemt wurden. Einige davon tauchten auch in der Gurlitt-Sammlung auf. Der Direktor des Museums, Rolf Jessewitsch, wusste von der Münchener Sammlung, und er war nicht der Einzige mit diesem Wissen. Natürlich war niemand jemals in der Wohnung gewesen, aber durch Kontakte und Bildverkäufe wurde deutlich, dass Cornelius Gurlitt eine Sammlung mit namhaften Bildern besaß.

In Rostock gibt es im Kulturhistorischen Museum die Sammlung, die Bernhard Böhmer, einer der von den Nazis autorisierten Kunsthändler, zusammengestellt hat. Auch in Frankreich sollen noch etwa 2.000 Raubkunst-Objekte in verschiedenen Depots lagern. Und in Deutschland gibt es dem Vernehmen nach Depots, deren Offenlegung noch nicht in Angriff genommen wurde. Erstaunt registriert Deutschland jetzt außerdem, dass ein Gesetz von 1938, das heute noch gültig ist, diesen Kunstraub aus den Museen legitimiert. Das bedeutet, dass die Bilder aus öffentlichem Kunstbesitz oder Raubkunst in der Gurlitt-Sammlung durchaus legal sind.

20.000 Kunstwerke

Die Nazis haben seinerzeit 20.000 Kunstwerke von rund 1.600 Künstlern aus den Museen geholt. Diese Künstler müssen erst wahrgenommen werden, damit die Kunstgeschichte komplett ist. Tausende Bilder sind auch verbrannt worden. Noch größer ist die Zahl der aus Privatbesitz beschlagnahmten Kunstwerke. Darüber gibt es keine Akten.

Auch Luxemburg hat sich, im Rahmen einer großen Ausstellung im Museum der Stadt Luxemburg, mit Beutekunst befasst. Eine Untersuchungskommission unter dem Vorsitz von Paul Dostert hat das Thema ebenfalls beleuchtet, triftige Schlüsse wurden bislang aber noch nicht veröffentlicht. Die „Babyklappe“, die das Museum eingerichtet hatte, um eventuelle Beutekunst aufzunehmen, war während der gesamten Dauer der Ausstellung leer geblieben. Rund 40 Bilder, hauptsächlich vom Luxemburger Künstler Guido Oppenheim, der mit 82 Jahren selbst nach Auschwitz deportiert wurde, wurden nie wiedergefunden.