Klangwelten „I Like Trains“: Per Post-Punk durchs postfaktische Zeitalter

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I Like Trains – Kompromat

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Wer hätte gedacht, dass eine lebensmüde Post-Rock-Band es auf ihre späten Tage vermögen würde, im zurzeit etwas angeschlagenen Indie-Rock neue Impulse zu setzen? Als I Like Trains 2014 während ihres kurzen, prägnanten Sets auf dem ArcTangent-Festival ihr drittes Album „The Shallows“ (2012) vorstellten, meinte Sänger David Martin lakonisch: „We’re probably the most miserable band on this festival.“ Tatsächlich strotzten die ersten beiden Platten „Elegies To Lessons Learnt“ (2007) und „He Who Saw The Deep“ (2010) nicht vor Lebensfreude – allein die Songtitel des Debüts („We All Fall Down“, „Death of an Idealist“) bereiteten den Zuhörer auf genau die Art von schwelgerischen, todtraurigen Post-Rock-Songs vor, die die Band auf den beiden Platten schrieb – im Vergleich dazu waren Goethes „Leiden des jungen Werther“ eine reine „Ode an die Freude“.

Wer sich noch an die ähnlich depressiven Schweden von Logh erinnern kann, dürfte mit I Like Trains das britische, ergo zynischere Pendant gefunden haben. Auf dem dritten Album „The Shallows“  bekam der melancholische Post-Rock der Band durch Synthies und eine tanzbarere Rhythmussektion etwas mehr Schwung, die Band klang fast lebensfroh, auch wenn Martins Texte weiterhin das nunmehr unveränderbare Zusammenleben zwischen Mensch und Maschine auf relativ düstere Art thematisierten.

Vergleicht man „We All Fall Down“, den Opener des Debüts, mit „The Truth“, dem vorletzten Track von „Kompromat“ – einem Album, für das sich die Band ganze acht Jahre Zeit ließ –, fällt auf, dass die Band ihre Lebensmüdigkeit gegen eine Wut ausgetauscht hat, die sich in jeder von Martin dahingerotzten Silben, in jedem gesättigten Gitarrenriff und in jedem einzelnen der treibenden Rhythmen dieser ausgezeichneten Platte bemerkbar macht. I Like Trains sind politischer denn je und Martin hat, im Gegensatz zu vielen plakativen Punk-Bands, etwas zu sagen. Glücklicherweise scheint sein zeitgleich aufgebrachter und ruhiger Sprechgesang so sehr zwischen den teils schillernden, teils wütenden Gitarren durch, dass jede seiner dringlichen Zeilen den Zuhörer erreicht. „The Truth“, die erste Auskopplung der neuen Platte, entstand, weil Sänger David Martin während des täglichen Nachrichtenschauens und beim Durchscrollen sozialer Netzwerke begann, eine Liste dessen zu führen, was Wahrheit heutzutage alles (nicht mehr) ist. Jede Zeile dieses Songs, der den Stoizismus von Joy Divisions New-Wave mit dem pulsierenden Elektro von LCD Soundsystem kombiniert, wirkt wie eine Punchline eines verbalen Boxkampfes, den Martin mit der an Schwachsinnigkeit nicht armen zeitgenössischen Welt austragen möchte: „The truth is no longer concerned with the facts – The truth is a rabbit in a hat – The truth is your browsing story – The truth is not available for comment at this time.“

Aber auch musikalisch ist diese Platte grandios: Opener „Steady Hand“ leitet mit präzisem Schlagzeug und düsteren Synthies, die mitunter an „Present Tense“ der Wild Beasts erinnern, eher gemächlich in die Platte ein  – wenn Martin dann aber wiederholt „I dance and they watch me“ singt, wird der Song von einer kreischenden Gitarre zersetzt, bevor er mit einer Reminiszenz an Radiohead endet, während Martin stoisch zischt: „Is it something I s-s-s-said?“ Das industriell pulsierende „Desire Is A Mess“ verrät, wie unterkühlter New-Wave der Marke Joy Divison klingt, wenn man ihn mit einem verdammt funkigen Bass untermalt. Nachdem der Track kurz droht, in den Dubstep zu kippen, endet er mit einer Gitarrenmelodie, die ans Debüt der Editors erinnert.

Überhaupt: Neben Postpunk und Postrockelementen weben I Like Trains zum ersten Mal in ihrer Karriere Elemente aus dem goldenen Zeitalter des Indie-Rocks ein: „Patience Is A Virtue“ ist einer der besten Indie-Tracks des Jahres, die Gitarren erinnern an die damaligen Großtaten von Interpol, den Editors oder Bloc Party; „A Man Of Conviction“ legt verspielte Riffs über einen spannenden Basslauf, bevor der Song in der Mitte in ein unwiderstehliches Gitarrenriff mündet. Das wunderbare „PRISM“ knüpft noch am ehesten an das vorige Album „The Shallows“ an – hier klingt David Martin wie The Nationals Matt Berninger und stellt deren (mittelmäßige) letzte Platte innerhalb von knapp vier Minuten in den Schatten. Wer die „alten“ I Like Trains vermisst, kommt mit dem ruhigeren „New Geography“ auf seine Kosten. Und nach dem wuchtigen „The Truth“ endet die Platte mit dem bedrohlichen, atmosphärischen „Eyes To The Left“ mit Guest-Vocals von Anika. Genauso sollte eine der wichtigsten, wütendsten, besten Platten dieses Jahrs enden. (Jeff Schinker)

Bewertung: 9/10