Auf den Hund gekommen

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Am 22. Februar ist es wieder so weit: Das Luxembourg City Film Festival kehrt für elf Tage zurück – und bietet neben neuen Filmen von Wes Anderson und Gus Van Sant auch wieder hochinteressante lokale Produktionen, die Rückkehr des VR-Pavillons und vieles mehr. Präsident der Jury ist diesmal Atom Egoyan, der unter anderem für die Verfilmung von Russel Banks’ prägendem „The Sweet Hereafter“ bekannt ist.

Das Programm des diesjährigen Luxembourg City Film Festival bietet im Vergleich zum vorigen Jahr zwar wenige Neuerungen, dafür verrät ein erster Blick auf die Filmliste, dass die nunmehr achte Auflage auch dieses Jahr wieder mit tollem Exklusivmaterial aufwartet: Der Abschlussfilm (letztes Jahr war es Malicks polarisierender „Song to Song“) kommt direkt von der Weltpremiere auf der Berlinale ins luxemburgische Kino – inwiefern Wes Anderson mit „Isle of Dogs“ auf den Hund gekommen ist, werden wir dann am Ende des Festivals sehen. Den Auftakt macht „The Breadwinner“, eine luxemburgische Koproduktion, in der die junge Parvana, nachdem ihr Vater von Taliban festgenommen wurde, sich die Haare abschneidet, um unter dem fundamentalistischen Regime in Afghanistan für ihre Familie aufzukommen.

Weitere Highlights sind u.a. „Don’t Worry, He Won’t Get Far on Foot“, Gus Van Sants neuer Film um einen Cartoonzeichner, der nach einem Unfall sein Leben lang im Rollstuhl sitzt, und „Gutland“, der nach Auftritten auf Festivals in Toronto und kürzlich im Saarland endlich auch hierzulande gezeigt wird und der das Filmdebüt des Luxemburgers Govinda Van Maele darstellt. Nachdem wir letzte Saison „Codename Ashcan“ über den Aufenthalt bzw. die Gefangenschaft der Nazi-VIPs in Mondorf im TNL auf der Bühne sehen konnten, folgt mit „Ashcan“ (von Willy Perelsztejn) nun auch der Dokumentarfilm zum Thema – der Film soll Proben aus dem Theaterstück einbetten. Im Dokumentarwettbewerb, der von Mimi Plauché präsidiert wird, laufen u.a. „A Woman Captured“ über eine 52-jährige Frau, die 20 Stunden am Tag als Haussklavin für eine Familie arbeitet und „Devil’s Freedom“ über die mörderische Gewalt im Kampf gegen den mexikanischen Drogenhandel.

VR im Rampenlicht

Erneuter thematischer Schwerpunkt, der, wie Kulturminister Xavier Bettel am Montag bereits verkündet hatte, dieses Jahr sogar noch verstärkt im Rampenlicht stehen soll, sind die virtuellen Realitäten, die man filmisch wiederum im „Casino – forum d’art contemporain“ besuchen kann. Dieser Exkurs in dreidimensionale Welten wird mit einer Reihe an Workshops und Konferenzen ergänzt. Das Headquarter soll dieses Jahr dann auch zum ersten Mal ins Casino einziehen.

Abseits dieses offiziellen Programms wird es wie letztes Jahr erneut eine Ausstellung im „Cercle Cité“ geben, diesmal bekommt man einen Einblick in die grafischen Welten von John Howe, dem Illustrator der gedruckten Tolkien-Werke. In den Rotondes werden mit der Ausstellung „Pitch“ (vom 16. Februar bis zum 4. März) die Arbeiten von Drehbuchautoren und Grafikern ins Rampenlicht gestellt – es werden jeweils Drehbuchauszüge anhand graphischer Elemente gezeigt. Interessant daran ist, dass es die Filme dazu (noch) nicht gibt.


Tapferes kleines Schneiderlein – Die Filmkritik zu Phantom Thread

Nach seinem Exkurs in das Universum von Thomas Pynchon ist Paul Thomas Anderson zurück mit einem kauzigen Porträt eines exzentrischen Schneiders, der sich in eine Kellnerin verliebt. Wie so oft bei Anderson hängt die Story an einem dünnen, silbernen Faden – der Film lebt ganz von der filmischen Sprache und dem Zusammenspiel der zwei überzeugenden Hauptdarsteller. Selten haben Form und Inhalt so gut übereingestimmt.

Die Story zu „Phantom Thread“ ist schnell erzählt: Reynolds Woodcock (fantastischer Name, übrigens) ist ein exzentrischer, renommierter Modedesigner, der in seinem Privatleben zwar von Frauen umgeben ist, diesen aber letztlich wenig Raum lässt – er ist manisch von seiner Arbeit getrieben, hört hauptsächlich auf seine Schwester – und wenn man ihm den Tee zum falschen Moment serviert, ist die (ohnehin schon angespannte) Stimmung gänzlich hinüber. Bis er eines Tages die Kellnerin Alma kennenlernt – und der Film sich auf die unerklärliche Anziehungskraft zwischen diesen beiden Figuren – einer sowohl mutigen als scheinbar unterwürfigen Frau und einem rücksichtslosen Künstler, der außerhalb seiner Arbeit sehr wenig wahrnimmt – konzentriert.

Andersons Welten sind allesamt eigen und exzentrisch, ihre narrative Formen sind nicht mit den verfügbaren Werkzeugen analysierbar, da man mit dem herkömmlichen Fachjargon den Kern seiner Filme nicht trifft. Genau wie die Figur von Woodcock kleine Nachrichten im Futter seiner Entwürfe versteckt, genauso versteckt der Film vieles im Futter seiner enigmatischen, unfassbaren Sprache. In diesem Sinne spiegeln die formalen Züge von „Phantom Thread“ ständig die Hauptfigur, die wiederum quasi als Allegorie für das filmische Schaffen von Anderson steht.

Geschlossene Systeme

Vor ein paar Jahren wagte sich Anderson als erster Regisseur der Filmgeschichte an das komplexe Werk des amerikanischen Schriftstellers Thomas Pynchon heran – dessen Oeuvre nach wie vor als unverfilmbar gilt. Ein klein wenig hat er dabei gemogelt, da er den zugänglichsten und fast schlanksten Roman des Autors adaptiert hat – und weil er dieses an sich an „The Big Lebowski“ erinnernde Werk in seine ganz eigene filmische Sprache übersetzte – ihm seine Überdrehtheit mit einer schrägen, etwas verstörenden Filmsprache austrieb und seine Geschwindigkeit kräftig drosselte.

Vielleicht liegt ein Schlüssel zur Interpretation in Andersons Faszination für Pynchon: Im Frühwerk des Schriftstellers geht es nämlich sehr oft um geschlossene Systeme, die, wie es das zweite Gesetz der Thermodynamik besagt, der Entropie ausgesetzt sind.

Im Falle von „Phantom Thread“ passt dieses Bildnis sowohl auf die Hauptfigur als auch auf die Filmwelt des Regisseurs. Woodcock ist so eigen, dass seine Charakterzüge ihn auf eine irreversible Art und Weise von der Außenwelt ausschließen – Andersons Welten sind geschlossene Werke, die von semantischen wie formalen Eckpfeilern determiniert werden – mittlerweile ist der Soundtrack vom Radiohead-Gitarristen Jonny Greenwood nicht mehr wegzudenken, die Zusammenarbeit mit Daniel Day-Lewis schlägt Brücken zu „There Will Be Blood“, die Verschrobenheit der Hauptfigur erinnert an „The Master“.

Öffnungen im System

Aber Anderson weiß auch dass, laut diesem zweiten Gesetz der Thermodynamik, einem geschlossenen System unvermeidlich der Hitzetod droht. Weswegen der Regisseur, genau wie seine Figur, Öffnungen im System schafft, Luftlöcher hineinbohrt. Eines dieser Luftlöcher ist die luxemburgische Schauspielerin Vicky Krieps.

Sie werden hier in Luxemburg in den nächsten Tagen und Wochen wohl alles Mögliche über Vicky Krieps’ Performance hören und lesen. Vieles davon wird maßgeblich von dem immer noch existierenden luxemburgischen Minderwertigkeitskomplex in Sachen Kunst beeinflusst sein. Dies wird zur Folge haben, dass man die Leistung der Schauspielerin entweder exorbitant in den Himmel loben wird oder sich aufgrund der zahlreichen Vorschusslorbeeren enttäuscht zeigen wird.

Keine Tricks

Beides wird der Leistung der Luxemburgerin nicht gerecht, da man das Paar Day-Lewis/Krieps eigentlich schwer voneinander getrennt werten kann: Day-Lewis ist wie der Film selbst ein geschlossenes System, eine Wunsch- oder Kunstmaschine, eine Monade, ein solipsistisches Selbst, das die Außenwelt hauptsächlich als Störung ansieht, eine lästige Fliege, die es zu verscheuchen gilt. Krieps nimmt dies scheinbar in Kauf, infiltriert die Maschine, sabotiert sie, versucht, ihm die Fliegen erträglich zu machen. Beide spielen das sehr gekonnt, auch wenn man Day-Lewis den Zusatz an Erfahrung jederzeit ansieht.

Berührend ist „Phantom Thread“ schon, Anderson greift aber auf keine der geläufigen formalen Tricks zurück, die im Kino Emotionen auslösen und verstärken können. Der Film ist deswegen zwar vielleicht für die Masse mitunter zu geschliffen, zu langsam oder überästhetisiert – man sollte ihn aber ein paar Momente sacken lassen, denn nach einer Weile fangen die „Phantom Threads“ (wortwörtlich: die Geisterfäden) an, Bedeutungen zu spinnen.


Zwischen Demut und Größenwahn

Im Gespräch mit dem Tageblatt geht die junge Schauspielerin Vicky Krieps auf ihre Rolle als Alma und die Zusammenarbeit mit zwei Weltstars ein. Für die Luxemburgerin sei es damals gar kein so großes Ding gewesen, plötzlich mit einem Weltstar zusammenzuspielen.

Tageblatt: In einer Szene redest du luxemburgisch. Wie hat sich das ergeben?

Vicky Krieps: Ich habe eine ganze Reihe von luxemburgischen Elementen in den Film eindringen lassen – letztlich blieben allerdings nur dieses leise Zählen auf Luxemburgisch und die Art und Weise, wie ich mich während eines Beziehungsstreits aufrege. Andere Elemente sind dem Schnitt zum Opfer gefallen.

Vor kurzem hast du in einem Interview mit dem Spiegel erzählt, als Luxemburger würde man ständig zwischen Größenwahn und Demut pendeln …

Das ist eigentlich der Größe des Landes zu verschulden – oder zu verdanken. Für mich war es damals gar kein so großes Ding, plötzlich mit einem Weltstar zusammenzuspielen. Ich glaube, diese doch etwas größenwahnsinnige Begebenheit kommt dadurch, dass man in Luxemburg, weil das Land halt so klein ist, oft mit bekannten Persönlichkeiten zu tun hat – dein Nachbar ist vielleicht Minister, dein Onkel ein bekannter Schauspieler. Vor einiger Zeit neigte man hierzulande noch dazu, einfach mal einen Minister anzurufen, wenn man ungerecht behandelt wurde.

Und die Sache mit der Demut leitest du auch von der Größe des Landes ab?

Genau. Man ist sprachlich ja quasi dazu gezwungen, sich anderen Ländern und Kulturen zu öffnen – und kommt schon in jungen Jahren unweigerlich dazu, sich in mindestens drei Ländern und Kulturen regelmäßig aufzuhalten.

Wie hat es sich ergeben, dass du in einem Film des weltbekannten Paul Thomas Anderson und an der Seite von Daniel Day-Lewis spielst?

Paul Thomas Anderson hat „Das Zimmermädchen Lynn“, einen Film, in dem ich mitwirkte, gesehen und gemocht. Ich bekam daraufhin eine Casting-Einladung und habe dann ganz einfach ein E-Casting – ich habe mich selbst mit der Kamera gefilmt – verschickt. Das hat Paul wohl überzeugt: Wir haben uns getroffen und er hat mir erzählt, dass ich mit Daniel Day-Lewis spielen werde.

Als du das Drehbuch entdeckt hast – wie hast du deine Figur empfunden?

Für mich ist Alma eine Person zwischen verschiedenen Welten. Sie kommt aus einfachen Verhältnissen und man fragt sich relativ schnell, wo sie den Mut und die Kraft hernimmt, um es mit diesem kauzigen Mann aufzunehmen – und wieso sie das eigentlich tut. Andererseits hat mich sehr interessiert, dass diese Frau sowohl eine starke als auch eine unterwürfige Figur ist. Ich habe sie auch aus diesem Grund spielen wollen – und ganz bewusst eine nuancierte Frauenfigur gezeichnet, die sich abseits der eingetretenen Klischeepfade der unantastbaren, starken Frau oder der unterwürfigen Figur befinden soll. Denn man ist ja immer auch ein bisschen der Autor der Figur, die man spielt. Alma braucht die Anerkennung von Woodcock nicht – weswegen sie ihre Kraft auch nicht plakativ darstellen muss.

Stichwort Figurenzeichnung: Wie viel Freiraum hat dir Paul Thomas Anderson eigentlich gelassen? Wenn man sich seine Filme so anschaut, wirken sie immer ein bisschen wie exzentrische, aber äußerst präzis durchdachte Welten. Bei „Inherent Vice“ hat Anderson Thomas Pynchons Vorlage quasi benutzt, um seine eigene Welt auszumalen …

„Inherent Vice“ musste ich mir ein paar Mal anschauen, ehe der Film auf mich einwirkte – dann tat er es aber umso intensiver. Bei „Phantom Thread“ erging es mir ähnlich: Ich habe ihn mir dreimal ansehen müssen, um ihn zu erfassen. Die Arbeit mit Paul Thomas Anderson war wohl ein bisschen ähnlich. So, wie er die Romanvorlage genutzt und sie in seine Welt gesetzt hat, so hat er mich auch einfach mit Daniel Day-Lewis zusammengesetzt und uns beide anschließend in sein Universum eingetaucht – ohne große Vorwarnung, ohne uns darauf einzustellen. Er hat mich mit einer großen Selbstsicherheit vor vollendete Tatsachen gestellt. Das ist schon fast ein bisschen frech gewesen.

Man hat den Eindruck, Anderson schafft einen sehr präzisen filmischen Rahmen – und innerhalb dieses Rahmens gibt es dann viel Platz für Improvisation.

Wenn man sich erst einmal in seine Welt entführen ließ, gibt Paul einem eine enorme Freiheit – das ließ mir viele Gestaltungsmöglichkeiten. Er hat mich ständig gefragt, wie Alma in dieser oder jener Situation reagieren würde. Meistens sind die Kamera und das Licht Daniel und mir gefolgt. Auch wenn Anderson das Drehbuch verfasste – ich konnte zu fast jedem Zeitpunkt meine Figur selbst zeichnen, gestalten und mitschreiben. In meinen Augen arbeitet Anderson zwischen dem Unbewussten und dem Überhöhten, der Kontrolle und der Improvisation. Er hat den Mut, mit einem Pinsel einen dicken Strich über das fertige Bild zu malen – und dich dann am Ende mit diesem Strich dastehen zu lassen.

Da du von Figurenzeichnung redest: Deine Figur hast du sicherlich mit Daniel Day-Lewis zusammengeschrieben. Wie war diese Erfahrung?

Anfänglich wurden wir immer auf die Machtverhältnisse angeredet. Daniel und ich präzisieren jedoch immer, dass wir sozusagen eine Figur mit zwei Köpfen gespielt haben. Es geht da gar nicht um Hierarchien. Das Einzige, was mir am Anfang etwas Sorgen bereitete, war, dass ich mich an Daniels „Method Acting“ anpassen musste. Während der Dreharbeiten war er Reynolds Woodcock – zu jedem Zeitpunkt. Das war nicht immer leicht: Ich war allein, hatte wenig Freizeit – und Reynolds ist beileibe kein einfacher Mensch. Aber das ist die Form von Herausforderung, die man als Schauspieler sucht. Und letztlich haben Daniel und ich ähnlich gearbeitet, weil wir uns zu jedem Zeitpunkt der Möglichkeit des Scheiterns bewusst waren. Das hat uns angetrieben.