EditorialVom schwierigen Erbe der Kulturhauptstadt Esch2022 für die Gemeinden

Editorial / Vom schwierigen Erbe der Kulturhauptstadt Esch2022 für die Gemeinden
In den beteiligten Gemeinden soll die Kulturhauptstadt Esch2022 nachhaltig Früchte tragen. Noch scheint der Funke aber nicht übergesprungen zu sein.  Foto: dpa

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Die Europäische Kulturhauptstadt Esch2022 ist vorbei. Jetzt ist es an den beteiligten Gemeinden, etwas daraus zu machen. Ob ihnen das gelingt, ist fraglich.

In Athen haben am Montag die Verantwortlichen von Esch2022 den Titel der Kulturhauptstadt weitergereicht – an Städte in Griechenland, Rumänien und Ungarn. War’s das dann? – Nein, nicht ganz, denn die an Esch2022 beteiligten französischen und luxemburgischen Gemeinden bleiben sozusagen in der Pflicht. Am 23. Januar wird ihnen im Kulturzentrum L’Arche in Villerupt offiziell der Auftrag erteilt, das Erbe der letztjährigen Kulturhauptstadt weiterzuentwickeln.

Esch2022-Chefin Nancy Braun hatte mal die Idee, Gießkannen zu verteilen. Die Saat sei im Boden, jetzt sei es an den Verantwortlichen in den jeweiligen Rathäusern, zu wässern, damit gedeihen könne. Wer nun aber sofort an blühende Landschaften denkt, könnte unter Umständen genauso enttäuscht werden wie die Menschen damals im Osten Deutschlands nach der Wiedervereinigung. Es zeichnet sich nämlich nicht wirklich ab, wie die elf in „Pro-Sud“ vereinten Südgemeinden auf politischer Ebene weiterarbeiten wollen –  zusammen und mit den Franzosen! Das Prinzip der Nachhaltigkeit wurde bei diversen Esch2022-Events oft in den Mund genommen. Wichtiger als das, was ist, sei das, was entstehen würde. Hehre Absichten.

Irgendwie scheint der Funke aber nicht übergesprungen zu sein. Dafür kann es mehrere Gründe geben. Einer ist, dass die Chemie oft nicht stimmte. Nicht zwischen den einzelnen Kommunen und nicht im Zusammenspiel mit der Esch2022-Koordination. Verschiedene Parteipolitiker prägten und verlangsamten Entscheidungsprozesse mitunter. Elf echte Freunde scheinen nicht am Werk gewesen zu sein. Oder wie es ein Politiker einer Südgemeinde sagte: „Es ging kein Ruck der Freundschaft durch unsere Reihen.“ 

Das Bild von dem, was kommen soll, kann, ja müsste, wirkt verschwommen, ohne Tiefenschärfe. Mitschuld daran trägt auch ein Alleingang der Escher Gemeinde. Zwei Tage vor dem offiziellen Abschluss der Kulturhauptstadt zogen der Bürgermeister von Esch und sein Kulturschöffe am 20. Dezember Bilanz. Die beschränkte sich aber fast ausschließlich auf Esch. Die Partner wurden kaum erwähnt. Sie waren auch nicht eingeladen, was während 2022 Usus war. Wie es heißt, sei das anderen Gemeindemüttern und -vätern sauer aufgestoßen. Von einem Alleingang war die Rede. Von Schaden.

Somit stellt sich die Frage, wie es im Pro-Süd-Gemeindesyndikat weitergehen soll. Ob sich die Politiker wieder zusammenraufen, ist schwer zu sagen. Kommunal- und Landeswahlen stehen an. Da dürften Parteipolitiker anderes im Sinn haben. Nämlich wiedergewählt zu werden.

Muss man sich allerdings einzig und alleine auf Politiker konzentrieren, die nächstes Mal unter Umständen nicht mehr dabei sind, oder nicht mehr in der gleichen Machtposition? Nein, muss man nicht. Allen Unkenrufen zum Trotz hat Esch2022 zumindest etwas schon bewirkt. Nämlich die Freundschaft und Zusammenarbeit zwischen einzelnen Gemeindediensten im Süden zu fördern und zu stärken. Die verantwortlichen Beamten haben sich über viele Monate besser kennen und austauschen gelernt. Auch darüber, wie Kultur anders gestaltet und vernetzt werden kann. Das ist nicht nichts.

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15. Januar 2023 - 19.55

Die Schwarzen haben den ganzen Süden ruiniert, nicht nur den Ruf.

dmp
13. Januar 2023 - 18.17

Esch2022 hat vor allem gezeigt, dass eine provinzielle Mentalität eine denkbar ungünstige Voraussetzung für das Stemmen eines großes kulturellen Projektes ist. Eine nie mehr wiederkehrende Chance wurde durch hochgradigen Dilettantismus und Ego-Trips einiger politischer und organisatorischer Akteure vergeigt. Statt in der Öffentlichkeit ein Bild der Einheit abzugeben, wurden vor allem entzweiende Grabenkämpfe geführt. Der Escher Alleingang im Dezember „bilanziert“ denn auch das systemische Versagen. Systemisch deshalb, weil es nicht gelungen ist, ein schlagkräftiges Team zu formen, das mit System ein gemeinsames Ziel erreichen sollte. Esch hat es fertig gebracht, das europäische Projekt „Kulturhauptstadt“ zu entwerten, teils gar lächerlich zu machen. Zur Erinnerung: „Die Benennung (zur Kulturhauptstadt) soll dazu beitragen, den Reichtum, die Vielfalt und die Gemeinsamkeiten des kulturellen Erbes in Europa herauszustellen und ein besseres Verständnis der Bürger Europas füreinander zu ermöglichen.” Objektiv betrachtet und sehr zurückhaltend artikuliert: Von Esch2022 bleibt diesbezüglich kaum was hängen. Aus „Nichts“ soll nun jedoch, sozusagen als Nachschlag, etwas Nachhaltiges entstehen? Damit dies auch nur ansatzweise Früchte tragen kann, müsste die Mannschaft ausgewechselt werden. Und es müsste schonungslos analysiert und aufgeklärt werden, und zwar von unabhängigen Stellen resp. Personen. Damit könnte man dann eruieren, ob kulturelle Nachhaltigkeitsprojekte (was immer sich der oder die Einzelne darunter vorstellt) eine Chance auf Verwirklichung haben. Oder ob man gänzlich neue Kulturprojekte entwickelt und sich eventuell vom ramponierten Esch2022-Ruf distanzieren sollte.