Menschen im KriegVeteran Rostislaw, 46, erzählt von seinen drei Monaten Kriegsdienst

Menschen im Krieg / Veteran Rostislaw, 46, erzählt von seinen drei Monaten Kriegsdienst
Rostislaw D. kämpfte gegen die Russen, kann Präsident Selenskyj aber nicht ausstehen Foto: Georg van der Weyden

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Rostislaw D. ist 46 und Kriegsveteran. Rostislaw stammt aus Browary bei Kiew und hat unserem Korrespondenten Paul Flückiger von seinen drei Monaten Kriegsdienst erzählt – und weshalb er Präsident Selenskyj nicht mag.

Ich bin gerade im ruhigen Südwesten der Ukraine, weil ich nicht mehr kämpfen kann. Ich war drei Monate in der Armee, doch wurde ich sehr schwer verletzt. Das war vor acht Monaten in der Nähe von Izjum, dem nördlichen Tor zum Donbass, das damals noch russisch besetzt war. Ich weiß nicht genau, was geschehen ist, es gab eine Explosion, ich erwachte erst zwei Tage später in einem Spital wieder. Ich hatte mehrere Brüche in der Rippengegend und starke innere Verletzungen. Damit ist wohl meine Armeekarriere zu Ende. Jetzt helfe ich meinem Land beim Getreide-Export und sammle Geld für meine ehemalige Einheit, die weiterhin im Donbass kämpft.

Am 24. Februar hatte ich mich sofort freiwillig gemeldet. Dieser Tag ist mein Geburtstag. Ich wollte just am 24. Februar mit meiner Frau in All-Inclusive-Ferien nach Ägypten fliegen. Der Flughafen von Kiew ist ganz nah an Browary, meiner Heimatstadt. Doch Putin hatte bekanntlich in der Nacht die Ukraine angegriffen, und der Luftraum wurde gesperrt. Ich bin ein passionierter Jäger und hatte mehrere gute Gewehre zu Hause. Damit habe ich mich sofort bei der lokalen Armeestelle gemeldet. Zuerst haben wir Browary verteidigt. Die Russen waren bis zu zwei Kilometer an die Stadt herangerückt. So schlecht sah es aus, zu Beginn des Krieges. Aber dann konnten wir sie zurückschlagen. Hier ist ein Handy-Video, das ich damals gemacht habe. Das ganze Feld ist von Russen übersät, so viele Leichen! Und hier die Schlagzeilen und Fotos ukrainischer Medien damals aus Browary: große russische Leichenberge auf einem Lastwagen!

Nur ein toter Russe ist ein guter Russe. So ist es. Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal so reden würde.

Rostislaw D., Kriegsveteran

Nur ein toter Russe ist ein guter Russe. So ist es. Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal so reden würde. Aber mittlerweile weigere ich mich, selbst Russisch zu sprechen. Meine Frau geht noch weiter: Jeder humpelnde Hund tut ihr leid, aber für einen verletzten Russen hat sie überhaupt keine Empathie. Er ist für sie weniger wert als ein Tier. Ich verstehe diesen Krieg einfach nicht. Was wollen die Russen von uns? Keiner der von meiner Einheit gefangen genommenen russischen Soldaten konnte es mir erklären. Auch sie wissen nicht, weshalb sie diesen Krieg gegen uns führen!

Aber eines wurde bei Befragungen der Kriegsgefangenen wieder einmal klar: Die Russen sind ein sehr autoritätshöriges Volk. Früher folgten sie dem Zaren, später den Sowjetführern, und nun folgen sie Putin. Für sie ist das keine Frage, die allermeisten Russen tun, was ihr Präsident von ihnen verlangt. Und so ziehen sie auch gegen uns in den Krieg und wissen gar nicht, warum. Aber sie gehen eben, kämpfen gegen uns, denn ihre Obrigkeit hat gesagt, dass sie es tun müssten.

Da sind wir Ukrainer schon ganz anders gestrickt. Wir waren ja immer schon aufmüpfig, selbst die eigenen Anführer und Politiker gelten uns wenig. Wolodymyr Selenskyj zum Beispiel: Natürlich stehen wir nun alle hinter ihm. Aber sobald die russische Gefahr gebannt ist, wird in der Ukraine abgerechnet. Ob sich dann der Herr Präsident mit seinen einst anti-ukrainischen Sprüchen als TV-Showmaster von „Kwartal-95“ halten kann, wage ich nicht zu prophezeien.

Ich jedenfalls kann Selenski nicht ausstehen. Nicht nur wegen der Korruption in seiner Regierungsmannschaft und besonders bei der Armee, wo Essen und Munition zu massiv überteuerten Preisen gekauft wurden, nur damit sich Minister und Beamte bereichern können. Leute wie ich sammeln Geld für die Armee, damit die Soldaten Handschuhe und ähnliches bekommen, weil dafür das zuvor von Korrupten gestohlene Geld fehlt. Korruption gibt es in jedem Land. Nur dass sie eben in der Ukraine besonders sichtbar und ausgeprägt ist. Selenskyj hat den Ukrainern zwar das Blaue von Himmel versprochen, das Ausmerzen der Korruption eingeschlossen, doch nach seinem Wahlsieg 2019 hat er wenig dagegen unternommen.

Eines aber muss man Wolodymyr Selenskyj lassen: Seine Reden schreiben natürlich andere, aber seine Rolle als Präsident spielt er gut. In dieser Rolle trifft er nun die wichtigsten Politiker der ganzen demokratischen Welt, und die sind begeistert von ihm. Im Moment ist das für uns das Wichtigste. Denn dem Westen reicht das. Und ohne westliche Hilfe hätten wir es sehr viel schwerer gegen die Russen.