Menschen im KriegKindertheater-Direktorin Hanna, 26, erzählt von ihrer Flucht und vom Helfen aus der Ferne

Menschen im Krieg / Kindertheater-Direktorin Hanna, 26, erzählt von ihrer Flucht und vom Helfen aus der Ferne
Hanna Serebriannikowa floh nach Rumänien und bewundert die Solidarität Foto: Georg van der Weyden

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Hanna Serebriannikowa, 26, erzählt, weshalb sie aus Odessa ausgerechnet nach Rumänien geflüchtet ist und wie sie online als Kindertheater-Direktorin versucht, zu Hause Kriegsfolgen zu lindern.

Vor der russischen Invasion pendelte ich zwischen Charkiw und Odessa. In meiner ostukrainischen Theaterstudium-Stadt unterrichtete ich Schauspiel, in meiner südukrainischen Heimat war ich gerade Kindertheater-Direktorin geworden. Ich hatte also viel zu tun. Doch Putins Raketen auf Odessa bereits am ersten Kriegstag versetzten mir und meiner Familie einen Schock.

Wir packten eiligst das Wichtigste und fuhren zu Verwandten nach Norden, nach Winnitsa, in der Zentralukraine. Wir hofften, dass alles sich bald wieder normalisieren würde, aber nach drei Tagen war klar: Es kommt nur noch schlimmer, wir müssen raus. Wir wollten nach Polen, doch an den dortigen Grenzen gab es unglaublich lange Schlangen. Auch ist Polen sehr weit weg von Odessa. So fuhr ich mit meinem Onkel Vlad, meiner Mutter Natalia, meiner Großmutter Hanna und meiner Katze „Nina“ über Nord-Rumänien bis hierhin nach Galati, das nur 350 Kilometer von Odessa entfernt liegt.

Es war eine unglaublich beschwerliche Reise, vor allem für meine schwache Großmutter, die am Ende zwölf Kilometer zu Fuß gehen musste. Umso aufbauender war es für uns, wie viele Freiwillige, Ärzte, Feuerwehrmänner und einfach Leute guten Herzens halfen, sobald wir in Siret, auf der rumänischen Seite der Grenze angekommen waren. Diese Solidarität war ein derart unglaubliches Gefühl!

Man gab uns auch Bahnfahrkarten und Essenspakete, sodass wir nach einer Nacht bei einer Gastfamilie in Siret in den Süden nach Galati fahren konnten, wo wir seit langem Bekannte haben. Diese besorgten uns eine Wohnung in einem Hochhausquartier. Der Eigentümer bekommt vom Staat pro Person und Tag 50 Lei (rund zehn Euro) Miete und 20 Lei (rund vier Euro) Essensgeld. Meine Mutter ist inzwischen nach Norwegen ausgereist, mein Onkel und die Großmutter sind zurückgekehrt nach Odessa. Meine Oma hatte große Angst vor der Rückkehr, aber sie hat dort drei betagte Schwestern, die Sorge um sie war noch schlimmer. Ich bin geblieben, denn jemand muss die Stellung halten. Wenn die Zeiten wieder schlechter werden, dann wissen Onkel Vlad und meine Oma genau, wo sie hinkönnen, sie wissen, wie es hier aussieht, sie können sich zumindest ein bisschen zu Hause fühlen. Das ist sehr wichtig für Betagte.

Am Herzen liegen mir die vom Krieg traumatisierten Kinder. Das sind tiefe Wunden in der Kinderseele, die sich für lange Jahre einnisten.

Ich bin noch jung, ja, aber ich mache keine großen Pläne mehr. Denn alle meine Pläne hat Putin in der Ukraine zu Trümmern geschossen. Ich weiß jedoch vor allem eins: Ich will weiterhin der Ukraine helfen. Deshalb arbeite ich von hier in Rumänien aus mit meinem Team im Kindertheater in Odessa. Die Kinder dort vermissen mich, ich will ihnen zumindest online zur Verfügung stehen, damit sie lachen können, üben können, mir ihre Freuden und Sorgen mitteilen können, so wie vor dem Krieg.

Die 20 Lei fürs Essen reichen natürlich nicht zum Leben. Deshalb unterrichte ich gegen Bezahlung online eine gepflegte ukrainische Aussprache. Seit der russischen Invasion ist das Ukrainische sehr hoch im Kurs, aber viele Ukrainer und Ukrainerinnen russischer Muttersprache, wie eben die meisten Einwohner von Charkiw und Odessa, verstehen zwar Ukrainisch, aber sie können es nicht richtig sprechen. Dabei helfe ich ihnen. Damit verdiene ich meinen Unterhalt hier in Rumänien.

Am Herzen liegen mir aber Kinder, vor allem jene, die im Krieg ein Trauma erlitten haben, die ein Elternteil verloren haben, russische Gewalt gegen Mütter oder Schwestern mitansehen mussten, geliebte Menschen verloren haben durch Flucht oder Tod. Das sind tiefe Wunden in der Kinderseele, die sich für lange Jahre einnisten. Ich arbeite deshalb mit Freiwilligen zusammen und biete Online-Trauma-Bearbeitung für geschädigte Kinder an. Das mache ich gratis. Diese Therapien sind mir ungemein wichtig.

So kann ich auch von hier aus der Ferne, ohne große Pläne zu schmieden, nützlich sein – für die Ukraine und meine Familie.