InterviewUnicef-Sprecher zum Ukraine-Krieg: „Wir haben Angst um das Überleben der Kinder“

Interview / Unicef-Sprecher zum Ukraine-Krieg: „Wir haben Angst um das Überleben der Kinder“
Mütter geben ihren Kindern in einem Zelt nahe der ukrainischen Stadt Lwiw zu essen Foto: AFP/Yuriy Dyachyshyn

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Unicef Luxemburg macht sich große Sorgen um die Kinder in der Ukraine. Die 130 Mitarbeiter vor Ort helfen an unterschiedlichen Fronten. Im Tageblatt-Interview gewährt Unicef-Pressesprecher Paul Heber Einblicke in die Arbeit der Teams.

Tageblatt: Kinder in der Ukraine sind nicht erst seit einer Woche Opfer von Auseinandersetzungen. Im Osten des Landes dauern die Konflikte ja bereits seit acht Jahren an.

Paul Heber: Unsere größte Sorge gilt im Moment dem Schutz der Kinder. Jene, die im Osten sind, brauchen jetzt einfach nur Frieden und Ruhe. Wir machen uns Gedanken über alle Kinder in der Ukraine. Das sind 7,5 Millionen. Die Kinder haben Angst. Und wir haben Angst um das Überleben der Kinder. In der Tat sind die Kleinen nicht erst seit einer Woche mit den Konflikten in der Ukraine konfrontiert, sondern in bestimmten Regionen des Ostens bereits seit 2014.

Laut einer rezenten Pressemitteilung war Unicef bislang an den vier Standorten Kramatorsk, Mariupol, Luhansk und Donezk präsent. Diese Büros liegen ja alle im Osten des Landes.

Unicef ist eigentlich überall präsent. Es ist nicht so, dass wir nur da sind, wenn etwas Schlimmes passiert. Zurzeit sind 130 Unicef-Mitarbeiter in der Ukraine. Luxemburger Mitarbeiter sind meines Wissens keine vor Ort. Der Konflikt war bislang auf den Osten limitiert. Seit 2014 hatten wir dort über eine halbe Million Kinder, um die wir uns gekümmert haben. Es gab zum Beispiel Probleme mit der Wasserversorgung, weil die Infrastruktur zerstört wurde. Wenn es kein sauberes Wasser gibt, trinken die Menschen aus anderen Quellen. Das führt dann zu einem sanitären Problem. Auch haben wir in dieser Region den Fokus auf die Bildung gelegt. Das mag verwundern, aber es ist ein wichtiges Element, da es den Kindern erlaubt, ein Stück Alltag zurückzugewinnen. Andernfalls hätten sie acht Jahre lang keine Bildung bekommen.

Es kommt vor, dass Kinder auf der Flucht nicht warm genug angezogen sind und kein Wasser dabeihaben

Paul Heber, Pressesprecher Unicef Luxemburg

Was hat sich seit dem 24. Februar verändert?

Mit der aktuellen Situation hat sich alles verschoben. Alles, was bislang im Osten ein Problem war, ist nun im ganzen Land ein Problem. Was dazukommt, sind die Flüchtlinge, die vor dem Chaos weglaufen müssen. Das macht es umso schwieriger für uns, zu erfahren, wo sich die Kinder befinden, die unsere Hilfe brauchen. In einem ersten Schritt versuchen wir uns einen Überblick zu verschaffen. Wir können uns nicht darauf verlassen, was andere sagen. Wir arbeiten in zwei Richtungen. Einerseits versuchen wir, bei den Menschen vor Ort zu sein. Das ist zurzeit schwierig, weil viele sich verstecken. Andererseits stellen wir uns vermehrt an den Korridoren auf, wo die Menschen in Richtung Nachbarländer flüchten. Es kommt vor, dass Kinder auf der Flucht nicht warm genug angezogen sind und kein Wasser dabeihaben. Im Unterschied zu den Flüchtlingsströmen aus Syrien ist es für flüchtende Ukrainer einfacher, die Grenze zu überqueren, denn die EU hat diese weiter geöffnet. Dennoch bleiben die Herausforderungen auf dem Weg bis zur Grenze die gleichen.

Paul Heber, Pressesprecher von Unicef Luxemburg, berichtet über die aktuelle Situation in der Ukraine
Paul Heber, Pressesprecher von Unicef Luxemburg, berichtet über die aktuelle Situation in der Ukraine Foto: Editpress/Tania Feller

Sind Sie auch an den Grenzen präsent?

Demnächst werden wir auch dort präsent sein. In diesem Fall haben wir den großen Vorteil, dass die Flüchtlingsströme direkt in EU-Länder gehen.

Ist der Einsatz in der Ukraine für die Unicef-Mitarbeiter sicher genug oder müssen sie irgendwann abgezogen werden?

Unsere Leute müssen zwar immer wieder Schutz suchen, aber solange es nicht so ist, dass auf jeden geschossen wird, nehmen wir sie nicht aus der Ukraine raus. Unicef ist eigentlich da, um zu bleiben. Die Entscheidung abzuziehen, gibt es nicht wirklich in unserer Philosophie. 

Was tut Unicef aktuell, um den Kindern vor Ort zu helfen?

Wir sind dabei, Hilfsgüter und Personal in die Ukraine zu schicken. Die Mitarbeiter, die wir reinschicken, müssen wir woanders abziehen. Wir haben für alle Fälle stets Material, das gelagert ist. In einer Konfliktregion zu arbeiten ist schwieriger als z.B. nach einer Naturkatastrophe. Hier müssen wir uns stets der Situation anpassen.

Menschen aus Luxemburg haben uns Winterkleider für Kinder angeboten. Das ist sehr toll, aber nicht das, was wir jetzt benötigen.

Paul Heber, Pressesprecher Unicef-Luxemburg

Wie können sich die Luxemburger einbringen?

Menschen aus Luxemburg haben uns Winterkleider für Kinder angeboten. Das ist sehr toll, aber nicht das, was wir jetzt benötigen. Wir brauchen Gelder, um unser eigenes Material heranzuschaffen. Unser wichtigstes Lager befindet sich in Kopenhagen, von wo aus wir innerhalb von 24 Stunden vieles ausfliegen können. Da werden auch Winterkleider für Kinder dabei sein. Wir wissen, welche Größe wir brauchen. Auf diese Weise sind wir viel schneller, als einen Container aus Luxemburg auf die Reise zu schicken. Vor dem russischen Einmarsch lag unser Budget bei 15 Millionen Dollar, inklusive Ost-Ukraine. Nach dem 24. Februar ist der Bedarf auf 66,4 Millionen Dollar gestiegen.

Und wie kriegen Sie das Material in die Ukraine?

Wegen des geschlossenen Luftraums ist das nicht so einfach. Wahrscheinlich werden wir das Material mit Flugzeugen so nahe wie möglich an die Grenze bringen und von dort aus mit Lkws in die Ukraine. Eine Herausforderung bleibt allerdings der Osten der Ukraine, weil diese Region weit von den EU-Grenzen entfernt liegt und der Luftraum geschlossen ist. Hinzu kommt, dass ein metergroßes Loch in der Straße ausreicht, um unsere Lkws an der Weiterfahrt zu hindern. Das Zerstören der Infrastruktur ist oft kein Zufall, sondern eine Art Kriegswaffe, die einen umso härter treffen soll.

Was sind Ihre Forderungen?

Wir wollen einfach durchgelassen werden, damit wir den Kindern überall helfen können. Beide Seiten, sowohl Ukrainer als auch Russen, haben internationale Verträge unterschrieben, die besagen, dass erstens keine Zivilisten zu Schaden kommen dürfen und zweitens Hilfe durchgelassen werden muss, wenn sich Menschen in Gefahr befinden. Dennoch wird das nicht immer respektiert.

Spenden

Spenden kann man online auf der Webseite unicef.lu/ukraine oder per Überweisung auf das Konto CCPL LU71 1111 2144 2050 0000 (Betreff: Ukraine).