ForumÜberzogenes Gejammer um die Biodiversität

Forum / Überzogenes Gejammer um die Biodiversität
 Foto: dpa/Julian Stratenschulte

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Laut einer vorherrschenden Meinung war in der „guten alten Zeit“ alles besser. Das Problem ist bloß, dass die Erinnerung trübt.

In einem Tageblatt-Interview meinte Jean-Paul Lickes, Direktor des Wasserwirtschaftsamtes, die in der Nationalhymne besungene Alzette sei vor 50 Jahren noch eine stinkende Kloake gewesen. Zwar seien ihre Gewässer noch nicht perfekt. Doch je näher sie der Sauer komme, desto besser sei ihr Zustand: „Insgesamt sind heute mehr Vögel da als früher. Auch mehr Fische und mehr unterschiedliche Arten. Die Vielfalt nimmt zu.“

Das widerspricht der offiziellen Leseart des Umweltministeriums. Aus dem nur Jeremiaden zu hören sind. Die Artenvielfalt sei bedroht. Das Waldsterben nehme zu. Kurz, in Luxemburg stehe die Natur vor dem Kollaps. Umwelt- und Naturschutz sind berechtigterweise zu einer gesellschaftlichen Priorität geworden.

Doch zirkulieren viele falsche Ideen über den wahren Zustand und die reellen Schutzmöglichkeiten für Fauna und Flora. Hört man auf politisierende Naturschützer, geht es nur um den „Erhalt“ des Bestehenden, gewissermaßen um das „Einfrieren“ aller Biotope.

Doch die Natur funktioniert anders. Es gibt einen ständigen Wettstreit, eine Evolution, wo nicht der Stärkste, sondern der Anpassungsfähigste gewinnt. Natur kann nicht definitiv fixiert werden. Wandel ist die natürliche Norm.

Wälder wachsen, gedeihen, leiden unter zu viel Regen oder zu großer Trockenheit, werden damit anfällig für Krankheiten. Irgendwann stirbt jeder Baum, wie alle lebendigen Organismen. Jüngere Wälder sind weniger anfällig als überalterte Baumformationen. Die Stürme der 90er-Jahre erlaubten manchen einheimischen Wäldern eine willkommene Erneuerung. Dennoch bleibt die globale Waldstruktur recht alt. Ist von falschen Aufforstungen geprägt. Zu viele Fichten, Anpflanzung von Buchen auf lehmigem Untergrund. Mit negativen Auswirkungen auf den nationalen Waldbestand.

In Europa gibt es keine „Urwälder“. Unsere Umwelt besteht aus von Menschenhand geprägten Kulturlandschaften. Würde man die Natur sich selbst überlassen, nähme das Gestrüpp überhand. Deshalb werden periodisch Schafe durch Naturschutzgebiete getrieben, um Lebensraum für Orchideen und andere seltene Pflanzen zu schaffen. Die vom Umweltministerium mit viel Geld gehegten Magerwiesen würden ohne menschliche Eingriffe schnell verwuchern.

Würden keine Kühe die Wiesen abgrasen, wären unsere schönen Landschaften bald von Versteppung geprägt. Dennoch wollen die obersten Umweltschützer Dieschbourg und Turmes den Viehbestand drastisch beschränken. Mit negativen Konsequenzen für die Bauern sowie die „natürliche“ Natur.

Verkannte Fortschritte

Ein Blick in „Säugetiere Luxemburgs“ von Laurent Schley und Jean Herr belegt, dass trotz einiger Probleme der Artenschutz in Luxemburg seit der europäischen Habitat-Richtlinie von 1992 große Fortschritte erlebte. Immerhin ist über ein Viertel des Landes Schutzgebiet. Über 60% aller in Luxemburg vorkommenden Säugetier-Arten sind integral geschützt. Für viele gibt es gezielte Förderprogramme.

Allein der Umstand, dass ehemals ausgerottete Tiere wie der Biber sich wieder ausbreiteten, oder nie in Luxemburg beheimatete Tiere wie der Sikahirsch, das Mufflon oder der Waschbär häufiger vorkommen, zeugt nicht von Artenschwund. Neozoen mögen Probleme bereiten. Dennoch können manche Naturfreunde die Rückkehr des Wolfes kaum erwarten. Oder des Goldschakals. Oder des Marderhundes, dessen Präsenz nunmehr dokumentiert ist.

Zu den invasiven Arten gehören die Nilgänse. Ein Problem sind die zu viele Kormorane. Die ohne natürliche Feinde dem Fischbestand arg zusetzen. Unsere Gewässer, die nur durch Beisatz von gezüchteten Jungfischen fischreich bleiben, leiden unter exotischen Invasionen. Der aus Übersee stammende Signal-Krebs hat praktisch alle einheimischen Krebse verdrängt. Seit einigen Jahren macht die über Donau, Rhein und Mosel eingedrungene Schwarzmeer-Grundel den heimischen Fischarten die Nahrung streitig. In der Natur gibt es immer wieder Sieger und Verlierer. Fressen und gefressen werden ist Natur pur. Wer den Fuchs unter Schutz stellt, muss akzeptieren, dass dieser opportunistische Allesfresser auch die Boden-Nester der Vögel ausraubt. Der Waschbär kommt sogar an Nester in Bäumen.

Anstatt die Biodiversitätslage realistisch einzuschätzen, gefallen sich viele Umweltschützer, angefangen bei der zuständigen Ministerin, nur in Hiobsbotschaften.

In „Vögel in Luxemburg“ stellen Patrick Lorgé und Ed Melchior über 300 Vogelarten vor, die hierzulande nisten oder als Durchzügler vorkommen. Manche sind selten. Einige gefährdet. Dennoch geht es aufwärts mit dem Uhu, dem Steinkauz, dem Wanderfalken, dem Schwarzstorch oder dem Weißstorch. Wobei sich die Schaffung von staatlichen wie privaten Schutzgebieten (etwa die von „natur&ëmwelt“ betreuten 1.500 Hektar) positiv auswirkt.

Alarmismus bringt Spenden

Viele Naturfreunde lassen sich beeindrucken durch spendenmotivierte Aufrufe von Organisationen wie dem „World Wildlife Fund“. Der kürzlich meldete, die Population der Wirbeltiere sei seit 1968 weltweit um 68% gefallen. Der Planet, so wird geklagt, stehe kurz vor dem sechsten Massensterben der Arten. Immerhin starben anscheinend 99% aller Arten aus, die je unsere Erde bevölkerten. Eigentlich ein Beweis für die gewaltige Vielfalt des Lebens, das sich immer wieder durchsetzt.

Ein Beitrag in der renommierten Zeitschrift Nature warf dem WWF eine Manipulation der belegbaren Zahlen vor. Für ihre grimmige Botschaft hätten sich die WWF-Propagandisten nur auf jene Wirbeltiere basiert, die auf den „roten Listen“ der gefährdeten Arten stehen. Weltweit sind über 70.000 Arten bekannt. Doch bloß 14.700 stehen unter Observation. Einige 2,4% der schutzwürdigen Arten seien vom Aussterben bedroht. Bei 97,6% der studierten Arten sei keine globale Tendenz festzustellen.

Eine Studie von Forschern der Universität Edinburgh untersuchte die Evolution der Wirbeltiere zwischen 1970 und 2014. Ihre Feststellungen: Bei 15% der Arten gebe es einen Schwund. 18% hätten in ihren Populationen zugelegt. Bei 67% sei keine erkennbare Veränderung festzustellen.

Die Gattung der Wirbeltiere umfasst neben den Säugetieren die Fische, Amphibien, Reptilien und Vögel. Ständig werden neue Arten entdeckt. Vor kurzem sogar eine bislang unbekannte Wal-Art. Allein in den letzten 40 Jahren wurden über 1.200 vorher unbekannte Säugetiere identifiziert. Viel mehr neue Arten, als laut offiziellen Feststellungen in den letzten vier Jahrhunderten ausstarben. Den „roten Listen“ zufolge sind seit dem 16. Jahrhundert 77 Arten von Säugetieren, 130 Vogel-Arten, 22 Reptilien und 24 Amphibien ausgestorben. Die meisten waren Inselbewohner und verschwanden vornehmlich vor Ende des 19. Jahrhunderts.

Nichts Positives, nur bestrafen?

Der Mensch sollte schon Anstrengungen unternehmen zum Schutz von Natur und Umwelt. Viel Positives erfolgte auf internationaler Ebene, etwa durch die Cites-Konvention von 1973 über den Schutz aller bedrohten Arten. Oder die schon zitierte Habitat-Direktive der EU. Die einander nachfolgenden Regierungen Luxemburgs haben in den letzten drei Jahrzehnten viel geleistet. Der allgemeine Zustand unserer Natur ist besser denn je, gerade was Wasserqualität, Luftqualität, Biodiversität und Naturrefugien anbelangt. Es bleiben Altlasten zu beheben, es gibt neue Herausforderungen. Doch sind die Dieschbourg und Turmes falsch beraten mit ihrer Endzeit-Philosophie, ihrem bürokratischen Hintertreiben jeder menschlichen Initiative und ihrem ausschließlich punitiven „Ökologismus“. Etwa die von unseren „Öko-Päpsten“ erfundenen „Kompensations-Ablässe“, genannt „Ökopunkte“, die allen unter Generalverdacht stehenden Bauern, Bauunternehmern oder Gewerbetreibenden bei jeder Investition aufgebrummt werden.

Das Aufgeld verteuert bloß die Preise für Wiesen, Felder und Wälder. Oder fließt in esoterische Studien, etwa die neun Millionen Euro für „das Studium des Habitats der Schneeleoparden“. Eine für den Erhalt der nationalen Biodiversität schwer zu rechtfertigende Priorität. Über 200 Millionen Euro steckte das Umweltministerium in oft sinnlose Studien.

Schlimmer. Claude Turmes, Minister für Raumplanung, will die vier neuen sektoriellen Leitpläne offensichtlich für reine Naturschutz-Zwecke nutzen.

Selbst in ausgewiesenen Gewerbezonen oder bei Bauland, das in völliger Übereinstimmung mit einem genehmigten PAG erschlossen wird, gilt die einzige Sorge des Ministeriums dem Schutz seltener Pflanzen oder der Fledermaus. Dafür müssen Studien über Studien erstellt werden. Da werden Ablass-Zahlungen fällig. Da werden den Gemeinden oder den Unternehmern immer wieder die gleichen deutschen Öko-Experten aufgezwungen, die für jede Routine-Expertise zu einer Fledermaus-Population lockere 10.000 Euro kassieren. Eigentlich ein Thema für Reporter-Recherchen.

Die Umwelt-Gesetzgebung ist zu einem undurchdringlichen Dschungel geworden, in dem selbst grüne Bürgermeister sich verfangen. Leider dominieren die Ideologen. Die von einer Welt träumen, die es nie gegeben hat. Und es nie geben wird. Eine Welt, wo der Mensch nur ein Störfaktor ist.

Dingo
19. März 2021 - 9.22

@Tossen Da wäre jetzt keine Steppe sondern eine neues Dorf für Familien mit Kindern. Ergo weiterhin alles planlos zubetonnieren

Tossen
17. März 2021 - 20.35

"Würden keine Kühe die Wiesen abgrasen, wären unsere schönen Landschaften bald von Versteppung geprägt." Die Kühe würden nicht zwangsgeschwängert um Milch zu geben und die neugeborenen Stiere nicht zu Hundefutter verarbeitet. Da wäre jetzt keine Steppe sondern eine neues Dorf für Familien mit Kindern.

titi
17. März 2021 - 19.50

@Joseph: Den Här Goebbels hat nach nie eppes mat der Natur um Hutt.

Joseph
17. März 2021 - 15.53

Herr Goebbels lebt offensichtlich in einem anderen Land als ich. Ich sehe eine enorme Zersiedlung und Verbauung unserer Landschaften, den Abriss von wertvollen Ökosystemen wegen Umgehungsstraßen. Der Verlust der Biodiversität hat doch mit der aktuellen intensiven landwirtschaftliche Produktionsweise zu tun wegen dem Einsatz von Pestiziden und Kunstdünger und der Trockenlegung von Feuchtgebieten. Warum wohl schlägt jetzt die EU seine Biodiversitätsstrategie „ Vom Hof auf den Tisch“ vor indem sie die Halbierung der Pestizide bis 2030 und die Verringerung des Düngemitteleinsatz um 20% fordert? Außerdem erreichen punktuelle Projekte zudem keine Verbesserung der gesamten Biodiversität.

Jean-Paul Reuter
17. März 2021 - 14.13

Den Thurmes an d'Dieschbuerg: Si séien net, si recoltéieren net, si sammelen näischt a Scheieren, an awer soe si äis wéi mir et solle maachen...

de Schmatt
17. März 2021 - 11.59

Klar doch, das hat es alles schon mal gegeben. Nur dass es heute weitaus schlimmer und schlechter um unsere Wälder und die Umwelt insgesamt bestellt ist. Deshalb müssen auch permanent neue Gesetze her, die im Endeffekt wenig bewirken. Niemand hat mehr den Durchblick. Wenn die Verordnungen und die Verbote zu einer Inflation werden, werden sie nicht mehr ernst genommen.

Blücher
17. März 2021 - 11.25

@Goebbels:Unsere Meinungen überschneiden sich in vielen politischen Ansichten, aber hier applaudiere ich Ihnen für diesen gelungenen Artikel.