InterviewSteuern, Gier und Hinterzimmerpolitik: Experte kritisiert Luxemburger Wohnungsbaupolitik

Interview / Steuern, Gier und Hinterzimmerpolitik: Experte kritisiert Luxemburger Wohnungsbaupolitik
 Foto: Editpress/Julien Garroy

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Der „Pacte Logement 2.0“ soll Luxemburgs Wohnungskrise lösen. Wie eigentlich auch schon dessen Vorgängerversion. Seitdem Jean-Claude Juncker (CSV) Luxemburgs Wohnungsmarkt zur Chefsache erklärt hat, um dann doch nichts gegen das Problem zu unternehmen, mangelt es nicht an Lösungsvorschlägen, um die explodierenden Preise in den Griff zu bekommen. Forscher des „Luxembourg Institute of Socio-Economic Research“ (Liser) und der Universität Luxemburg haben sich dem Problemkind der Luxemburger Politik in einer Studie gewidmet. Das Tageblatt hat sich mit Co-Autor Markus Hesse von der Universität Luxemburg über das Grundproblem der Luxemburger Wohnungsbaupolitik unterhalten.

Tageblatt: Können Sie den Inhalt Ihrer Studie kurz erklären?

Markus Hesse: In Luxemburg gibt es eine Wohnungskrise, die vor allem den bezahlbaren Wohnraum betrifft. Jeder ist sich bewusst, dass etwas gegen diese Wohnungsnot unternommen werden muss, jedoch zeigen die Zahlen, dass das nicht so richtig funktioniert. Erklärungsversuche bedienen sich der Argumente, dass es zu wenig Bauland gibt, dass zu wenig ausgewiesen wird und dass die Prozeduren zu lange dauern. Das ist ein herrschendes Narrativ, das sich festgesetzt hat und dem wir jetzt nachgegangen sind.

Wie konnte es denn so weit kommen?

Das Liser und die Universität Luxemburg forschen schon länger zum Problem der Wohnungsproblematik, von der man meinen könnte, es sei wie schlechtes Wetter über das Land hereingebrochen. Tatsächlich müssen wir jedoch feststellen, dass der Großteil des Problems hausgemacht ist. Sowohl die Rahmenbedingungen Luxemburgs als auch die Reaktionen der Entscheidungsträger, also der Regierenden und der Gemeinden, haben das Problem aber wohl eher verschärft. 

Markus Hesse studierte Geografie und legte anschließend eine Promotion in Raumplanung ab. Seit 2008 ist er Professor für Stadtforschung an der Universität Luxemburg.
Markus Hesse studierte Geografie und legte anschließend eine Promotion in Raumplanung ab. Seit 2008 ist er Professor für Stadtforschung an der Universität Luxemburg.

Was sind das denn für Rahmenbedingungen, die in Luxemburg eine so große Rolle spielen?

Einerseits haben wir den Standort Luxemburg, der mit anderen Kleinstaaten oder auch Städten, wenn wir von der Hauptstadt Luxemburgs sprechen, zu vergleichen ist. Dann haben wir die Frage: Wie reagieren die Institutionen auf die Wohnungskrise? In dem Fall landet man sehr schnell bei der Wohnungsbaupolitik und der Verteilung von Grund und Boden. Nicht zuletzt ist die Wohnungsbaupolitik eine Konsequenz des wirtschaftlichen Erfolges. Die Transition vom Stahl- zum Dienstleistungsstandort und Finanzplatz ist ein großer wirtschaftlicher Erfolg – mit der jetzigen Wohnungskrise besteht aber ein elementarer Zusammenhang, den man sich quasi eingekauft hat. Diese beiden Bereiche müssen also näher untersucht werden. Unsere Arbeit hat dazu jetzt den ersten Aufschlag geliefert.

Wie hat die Politik denn auf die Wohnungskrise reagiert?

Man kann sagen, dass die verschiedenen Akteure und Institutionen eher zu dem Problem beitragen, als es zu lösen. Ich würde sogar behaupten, dass sie es sogar noch verschärfen.

Die Forderung, mehr Bauland auszuweisen, ist also nicht unbedingt eine Lösung?

Das Argument kennt man aus anderen Ländern und darüber kann man im Einzelfall sicherlich nachdenken. Auch die Prozeduren stellen ohne Frage ein Problem dar. Aber es gibt einen Grundstock an ausgewiesenem und bebaubarem Land, das man bebauen kann, ohne den Bauperimeter gleich erweitern zu müssen. In Luxemburg gibt es jedoch eine gewisse Grundbesitzkonzentration. Das bedeutet, dass einige wenige Baufirmen eine hohe Kontrolle über das Land und somit auch die Bauprozesse haben. Die wollen natürlich auch nicht so viel wie möglich Land zur Unzeit auf den Markt bringen, sondern verfahren strikt nach ihren Verwertungsstrategien. Das ist absolut legitim, aber in der Form, wie es praktiziert wird, ein großes Problem.

Ein Wohnungsbaukartell also?

Das ist ein toxisches Wort. Es ist aber unstrittig – und wurde vom Liser quantitativ mit Zahlen belegt –, dass es eine sehr hohe Eigentumskonzentration in Luxemburg gibt. Wenn Sie denn Landeigentümer sind, müssen Sie noch einen finden, der es Ihnen bebaut. Die großen Baufirmen sind ja auch Landentwickler – diese Leistungen können sie dann auch nicht mehr unabhängig voneinander verhandeln. Bei den hohen Preisen und den entsprechenden Renditeerwartungen ist es ein sehr lukratives Geschäft, diese Kontrolle in der Hand zu behalten und weiter auszubauen. Erst in jüngster Zeit hat die Perspektive Einzug gefunden, dass das eigentlich eine öffentliche Angelegenheit ist.

Dazu muss man auch sagen, dass das Vermieten oder das Wohnen zur Miete ein großes Problem darstellt. Seit zehn Jahren liegen wir beim Wohnungsbau 50 Prozent unter dem, was man als eigentlichen Bedarf  errechnet hat. Auch das ist ein strukturelles Problem. Das heißt, dass man derzeit nicht so viel Wohnraum schaffen kann, wie eigentlich gebraucht wird. Also muss man sich vielleicht auch einmal die Bestände ansehen. Wie viele Wohnhäuser gibt es, die man auf den Mietmarkt bringen könnte, wo aber mutmaßlich weder die Notwendigkeit noch das Interesse dafür besteht. Es gibt in Luxemburg keine Kultur des Vermietens. Denken Sie doch einmal an die Diskussionen zu den Cafézimmern und den Wohnungsgemeinschaften. Das ist teilweise so überreguliert, dass man sich nicht wundern darf, wenn man irgendwann Probleme hat.

In Ihrer Studie prangern Sie an, dass es in Luxemburg keine Erbschaftssteuer und eine sehr geringe Grundsteuer gebe. Beide Themen gelten hierzulande als politisch hochexplosiv – gibt es sonst noch Ansätze, wie dem Problem beizukommen ist?

Das ist eine gute Frage. Wenn ich aber lese, dass Claude Wiseler (CSV) behauptet, eine Erbschaftssteuer würde die Ungleichheiten weiter verstärken, dann sind wir meilenweit, wenn nicht sogar Lichtjahre davon entfernt, dass in dem Bereich Bewegung in die Sache kommt. Grundbesitzer haben – das wissen alle, sagt aber keiner – parteipolitische Präferenzen. Diese Interessen nähren eine Partei und auf diese Stimmen will man dann auch nicht verzichten. Das ist eine Frage der Politik und dazu wird die Wissenschaft wenig sagen können. Mit Blick auf die hohen Immobilienpreise kann lediglich festgehalten werden, dass die Bewertung und Besteuerung des Grundbesitzes relativ unterentwickelt ist. Kurzfristig sehe ich aber keine Möglichkeiten, dem Problem beizukommen, das muss man also langfristig angehen. Die Frage der Steuern muss aber schlussendlich das Luxemburger Parlament regeln.

Ein schwieriges Thema, über das auch schon so mancher Parteipräsident gestolpert ist …

Da muss man aber noch einmal zwischen der Sach- und der Diskursebene unterschieden werden. Damit wurden schlussendlich ja noch ganz andere Differenzen ausgetragen. Aber es ist angesichts des Problems doch sehr bedenklich, dass sie alle über einen herfallen, wenn jemand einen solchen Vorstoß wagt. Es gibt dann halt auch so etwas wie Gier: die Verlockung des großen Geldes, das man mit einem Grundstück machen kann. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um einen Unternehmer oder eine Privatperson handelt. Das ist immer präsent, ohne dass es jemand thematisiert. Es ist der weiße Elefant, der in jedem Verhandlungsraum sitzt, in der Realität aber beiseite gedrückt wird. Das führt dazu, dass keine offene Diskussion darüber geführt wird. Was ist das Problem? Was sind die Ursachen? Können wir das Problem überhaupt lösen? Deswegen sollte die Politik und vielleicht auch die Medien nicht Lösungen einfordern, die nicht realisiert werden können. Das ist für meine Begriffe eines der Grundprobleme der Diskussion.

Was zeigen sich denn langfristig für Perspektiven auf?

Die öffentliche Hand und die Kommunen müssen eine eigene Baulandstrategie und -politik betreiben und dürfen das nicht per se den privaten Entwicklern überlassen. Die Frage nach den planerischen Prozeduren muss ebenfalls gestellt werden: Dürfen Promoteure ihre eigenen „plans d’aménagement particuliers“ (PAPs) entwickeln oder ist das nicht eher die Domäne der öffentlichen Hand?

Auch spielt der Gegensatz Büroraum vs. Wohnraum eine zentrale Rolle. Das sind zwar zwei unterschiedliche Märkte, aber die können sie nicht beide adäquat bedienen. Der hohe Anteil an Büroräumen bei großen Projekten hat natürlich dazu beigetragen, dass man relativ wenig Wohnraum schaffen wollte und konnte. Sie müssen dann Luxemburg als Bürostandort und Luxemburg als Wohnstandort neu gewichten – das geht nicht ohne Konflikte und ist nicht unbedingt populär. In Hollerich sollen noch einmal halb so viele Büroräume geschaffen werden wie auf Kirchberg – unabhängig von der Frage, ob es das in der Form noch braucht, bleibt die Frage, wie viel bezahlbarer Wohnraum dann noch übrig bleibt. Das wird wohl nicht so viel sein.

Sie klagen in der Studie eine unklare Gesetzeslage auf Gemeindeniveau an. Im „Pacte Logement 2.0“ wird ein Wohnungsbauberater geschaffen, der auf kommunaler Ebene für das nötige Fachwissen sorgen soll. 

Das ist sicherlich ein vernünftiger Ansatz, weil wir auch festgestellt haben, dass Regierungsstrategien im Bereich Urbanismus und Wohnungsbau in der kommunalen Praxis bisher kaum zur Geltung kommen. Ein Wohnungsbauberater, der das nötige Wissen in die Diskussion reinbringt, ist sicherlich eine gute Sache. Wenn die aber keinen kommunalen Flächebestand haben, stellt sich die Frage: Was macht dieser Berater dann? Wie kommen sie an das Land, an das Baurecht oder auch an die Wohneinheiten während der Erstellung und wer ist dafür dann verantwortlich?

Wir haben aber leider auch festgestellt, dass es in diesem Bereich einen sehr hohen Grad an Informalität gibt. Den Fall, den jeder kennt, ist der Entwickler, der zur Gemeinde geht und während der Verhandlungen dann hier und da immer noch ein bisschen Land zugesprochen bekommt. Je mehr Nutzfläche schlussendlich für das Projekt veranschlagt werden kann, desto profitabler natürlich das Geschäft. Diese Diskussionen entziehen sich wahrscheinlich auch den Debatten in den Gemeinderäten, weil das dann sehr diskret verhandelt wird. Den hohen Grad an Informalität in einem System, in dem man sich untereinander kennt, sollte man nicht unterschätzen.

Liser-Studie

Die Studie des Liser trägt den Titel „Land and the housing affordability crisis: landowner and developer strategies in Luxembourg’s facilitative planning context“ und untersucht die Ursachen für die hohen Immobilienpreise in Luxemburg. Eine Analyse von 71 Großbauprojekten seit 2007 sowie zahlreiche Experteninterviews haben ergeben, dass die hohen Preise sich dadurch erklären lassen, dass Bauträger Bauland bewusst zurückhalten, um so die Preise in die Höhe zu treiben.

David
15. August 2021 - 11.40

Das Problem, in seiner aktuellen Schärfe, fundiert doch einzig und allein in der expansiven Geldpolitik wie sie von der EZB forciert wird, nur damit vorherige Insolvenzländer wie Griechenland sich auf kurzfristiger Dauer zu negativen Zinsen refinanzieren können. Was erwartet man sich denn? Es ist doch klar, dass irgendjemand die Kosten tragen muss. Diese Kosten sind dementsprechend: • Hyper-Inflation auf Immobilienpreise • Sparerenteignung durch negative Zinsen Die Reaktion unserer Regierung? Ein weitere Enteignung und Bestrafung durch erhöhte Steuern. Es wäre ja auch schade drum wenn man das Problem an der Wurzel angehen würde. Höherer Zins würde ja weniger Geld bedeuten und vor allem die Grünen sind doch sehr in den Geschmack des willkürlichen Investieren gekommen. Das Leben auf Pump auf Kosten jüngerer Generationen ...

Mill
13. August 2021 - 20.30

Eng ëffentlich Stee an der Staadt. Een eelert Reienhaus um Kuelebierg gëtt vir 1.400.000.- mat Chargen versteet a vun Promoteure kaaft. Kéng 2 Wochen drop gëtt d'Haus vir 1.700.000.- um Immobilienmaart ugebueden. Daat nënnt e Präisdreiwer. Eng Sauerei.

DanV
13. August 2021 - 17.03

Ich habe mich jetzt durch die englische Studie durchgekämpft - nur um festzustellen, dass es nur um das geht, was déi Gréng schon im Februar 2019 triumphierend verkündet haben: Landbesitzer sind die Bösen, weil sie Land horten. Immerhin bekommen öffentliche Institutionen auch ein klein wenig ihr Fett ab, aber nur am Rande. Sehr enttäuschend! • Keine Analyse zu den Praktiken der einzelnen Gemeinden, nur größere Wohneinheiten zu genehmigen und keine kleineren. • Keine Einschätzung zu den restriktiven Gesetzen bei Wohngemeinschaften und dem Verbot von anderen Wohnformen. • Keine "Klatschgeschichten" zur Willkür einzelner Gemeinden (sorry, musste mal erwähnt werden). • Keine Analyse, wie die TVA-logement den Wohnungsmarkt ab 2016 befeuert hat. • Und - besonders frustrierend: Keine Informationen, wie lange es dauert, eine Baugenehmigung zu bekommen. Es wäre höchste Zeit, die Vorwürfe von Bauherren und Baufirmen zu entkräften (oder zu belegen). Es ist doch gefühlt klar, dass die unverhältnismässige Dauer der Prozeduren dazu geführt hat, dass überhaupt abgefangen wurde, Land zu horten. Seite 1-7 erzählt, was ausländische Studien festgestellt haben. Seite 8-11 geht auf die im Artikel erwähnten Interviews ein. Seite 11-15 Landbesitzer-bashing -> Skandal !!!: ihnen wird unter anderem erlaubt, ihr Land selbst zu erschliessen, statt das der öffentlichen Hand zu überlassen. Seite 15-16 zählt dann Lösungsvorschläge auf: - Grundsteuer erhöhen (auf den vorherigen Seiten wird auch die Einführung einer Erbschaftssteuer in direkter Linie suggeriert) - das Vorkaufsecht der Gemeinden stärken und -> da brauch ich Hilfe, denn ich verstehe nicht, was gemeint ist: "introducing mechanisms that enable the public capture of land value increases (such as a flat rate for residential land purchases)." Ist das ein Vorschlag, Preise zu deckeln? - mit den Politikern der Nachbarländer eine gemeinsame Wohnungsstrategie ausarbeiten ??? Seite 17-19: Quellennachweise Schade! Soviel komplizierter Text, um zur Erkenntnis zu kommen, dass die Studie eigentlich nur das aufzählt, was wir schon wussten, aber nichts dazu beiträgt, unser Wissen zu erweitern - und vor allem - konkrete Lösungen zu finden ...

Sepp
11. August 2021 - 23.51

Hier mein Lösungsvorschlag: Baut Etagenwohnungen endlich so dass man keine Flugzeuge/Autos mehr draussen hört und auch seine Nachbarn nicht mehr hört, dann könnt ihr sie auch weiterhin für 600-700.000 verhökern. Aber so wie sie jetzt gebaut werden, da hat keiner Bock drin zu wohnen.