Schwarz-weiß statt bunt – Wie eine Organisation in Luxemburg dem Extremismus vorbeugen will

Schwarz-weiß statt bunt – Wie eine Organisation in Luxemburg dem Extremismus vorbeugen will

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Zwei Tote, ein Hirntoter und zig Verletzte. Erneut wurde Frankreich von einem Terroranschlag erschüttert. Die Spur des Attentäters führt auch über Luxemburg. Wie kann man Radikalisierung erkennen? Die Vereinigung respect.lu ist nicht nur im Bereich Sensibilisierung und Prävention aktiv, sondern die Anlaufstelle schlechthin.

Von Anke Eisfeld

Extremismus ist vielfältig. Er hat viele Gesichter, auch wenn dies den eher schwarz-weißen Ansichten seiner Anhänger widersprechen mag. Radikalisierung, die heute infolge von 9/11 oft nur mit islamistischem Terror gleichgesetzt und damit negativ bewertet wird, kann sogar Gutes für eine Gesellschaft hervorbringen – sofern sie sich an das Strafgesetzbuch hält. Durch rigorosen Willen zur Gleichberechtigung setzten beispielsweise (radikale) Frauenrechtlerinnen das Wahlrecht für beide Geschlechter Anfang des 20. Jahrhunderts durch.

Info

Wer sich Gedanken über das Verhalten einer Person aus seinem Umfeld macht oder sogar einen konkreten Radikalisierungsverdacht hat, kann sich an das Team von respect.lu wenden. Der Service ist anonym und kostenlos. Beratungen können auf Luxemburgisch, Deutsch, Französisch, Englisch, Portugiesisch und Niederländisch durchgeführt werden.
Telefon: +352 20 60 62
E-Mail: respect@respect.lu
Internet: www.respect.lu

Doch was passiert, wenn Engagement, Überzeugung und Glaube über das „normale“ Maß hinausgehen? Wer kümmert sich um Menschen, die eine „Al-Kaida für Tierrechte“ (PETA-Aktivist Edmund Haferbeck) gründen wollen oder einem IS-Video mehr Glauben schenken als dem Schulunterricht?

Anlaufstelle in Luxemburg 

Seit 2017 gibt es dafür eine Anlaufstelle in Luxemburg, deren Ziel ist, Bedrohungen der Gesellschaft durch gewaltsame Radikalisierung mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln entgegenzuwirken. Die Organisation „respect.lu – Centre contre la radicalisation“ organisiert einerseits Sensibilisierungs- und Präventionsmaßnahmen wie Vorträge oder Workshops für Schulen, Institutionen und beispielsweise auch Gefängnisse. Andererseits geht es um die Unterstützung von Menschen, die befürchten, dass in ihrem unmittelbaren Umfeld ein potenzieller „Extremist“ sein könnte. Auch „Aussteiger“ können mit respect.lu Auswege aus der gedanklichen Einbahnstraße finden.

Doch wie kann man Radikalisierung erkennen? Karin Weyer, Psychologin und Leiterin von respect.lu, und ihre Kollegin Monique Luja, Trainerin für gewaltfreie Kommunikation, sind Expertinnen: „Radikalisierung ist ein Prozess, denn niemand geht abends ins Bett, um morgens als Extremist aufzustehen. Zunächst ist da meist eine Überzeugung oder auch ein Aktivismus, der jedoch nicht problematisch sein muss, solange dies nicht gegen unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung verstößt und/oder mit Gewalt verbunden ist.“ Unterschieden werden auch Radikalisierungsformen, die eben nicht nur politisch oder religiös sein können, sondern auch thematisch, wenn etwa militante Veganer eine Metzgerei angreifen.

Diskriminierung als Nährboden für Hass

Gerade Menschen in Lebenskrisen, so auch Jugendliche in der Pubertät, aber auch Personen, die sich nicht wahrgenommen, sich ungerecht behandelt oder an den Rand der Gesellschaft gedrängt fühlen, seien empfänglich für radikale Thesen, die ihnen Zugehörigkeit, Akzeptanz und Perspektiven versprechen würden. Auch erlebte Diskriminierung und Krisensituationen könnten ein Nährboden für Hass und Extremismus sein. Dass aber in multikulturellen Gesellschaften wie Luxemburg eine potenziell höhere Gefahr für die Radikalisierung von Menschen bestehen könnte, gerade in Anbetracht, dass bekannte Islamisten aus Migrantenfamilien stammen, davon wollen Karin Weyer und Monique Luja nichts wissen: „Für uns steht das friedliche Miteinander vieler Nationen eher positiv im Vordergrund.“

Die Rolle der sozialen Medien

Entwarnung geben auch Polizei und Staatsanwaltschaft: „Obschon es in Luxemburg genauso wie in unseren Nachbarländern und darüber hinaus extremistisch denkende Menschen gibt, ist die Sicherheitslage Luxemburgs (…) zurzeit nicht bedroht“, heißt es in einer offiziellen Stellungnahme auf Tageblatt-Anfrage. Beobachtet werden würden dennoch alle Formen des Extremismus. Aber: Auch die Justiz hat mit „einigen wenigen radikalisierten Personen“ zu tun, die von einem „Deradikalisierungs-Programm“ profitieren könnten. Soziale Medien wie Facebook und Co. spielten eine wesentliche Rolle bei der „Rekrutierung“ für radikales Gedankengut, da sie schnell und (fast) grenzenlos Informationen anbieten würden. Pathetische IS-Videos und ihre gewaltverherrlichenden Bilder und Thesen gelangen so auf die Smartphones und in die Köpfe von (oftmals) jungen Menschen, deren Welt immer kleiner wird, wenn der sogenannte Echo-Effekt im Netz regiert. Um das zu erklären, genügt ein harmloses Beispiel: Wer einmal Golden-Retriever-Filme „likt“, kann sich fortan vor niedlichen Hunde-Videos nicht mehr retten. Im Fall von immer professioneller werdenden Inhalten radikaler Rekrutierer und gleichzeitig geringer Medienkompetenz ist klar, welche Auswirkungen dies auf entsprechende Personen haben kann.

Der österreichische Pädagoge und Islamismus-Experte Moussa Al-Hassan Diaw, kürzlich zu Gast bei einer Konferenz in Luxemburg, spricht auch von der Gefahr durch „legalistische Islamisten“, die zwar Gewalt zum Erreichen ihrer verfassungsfeindlichen Ziele ablehnen, aber dennoch die Umformung des Rechtsstaats in einen Scharia-Staat forcieren. Diaw fordert mehr interkulturelle und interreligiöse Kompetenz von Schulpädagogen, die sich für ihn in der „Präventionsstelle Nummer eins“ befinden, da Schule noch immer der Ort sei, „wo alle hin müssen“. „Politische Bildung findet heute oft im Internet statt“, kritisiert Diaw, der für mehr Geschichtsunterricht und Medienkompetenz für Heranwachsende plädiert.
Das Interesse an der Arbeit von respect.lu ist groß, besonders Schulen, aber auch Polizei oder Gefängnismitarbeiter profitieren vom Wissen der Experten durch Vorträge und Weiterbildungen.

20 konkrete Anfragen in anderthalb Jahren

In anderthalb Jahren gab es 20 konkreten Anfragen, in denen das Umfeld einer Person befürchtete, dass es zu einer Radikalisierung gekommen sein könnte. Im Jahr 2017 waren in sechs von neun Beratungen tatsächlich Radikalisierungs-Tendenzen nachweisbar, davon waren vier dem politisch-religiösen Bereich zuzuordnen. Ein weiterer Fall betraf eine Sektenradikalisierung, und einmal ging es um Gewaltbereitschaft ohne Ideologie, heißt es im Jahresbericht der Organisation. Konkrete Einblicke in die Arbeit der Psychologen seien nicht möglich, da die Beratungen individuell, vertraulich und ggf. auch anonym geführt werden würden.

„Radikalisierung ist ein Prozess über einen Zeitraum. Jeder von uns hat Verantwortung für unsere Mitmenschen. Wir sollten mit ihnen in Kontakt kommen, mit ihnen sprechen und sie fragen, wie es ihnen geht und was ihre Bedürfnisse sind“, so die Expertinnen von respect.lu. Im Fall eines Verdachts einer (anfänglichen) Radikalisierung eines Mitmenschen sei ein vorurteilsfreies Gespräch zunächst eine gute Maßnahme. Sollte es allerdings einen akuten Attentatsverdacht geben, gibt es nur eine Möglichkeit: die Polizei umgehend informieren.

Steve Duarte und Co.

Der Fall von Steve Duarte aus Meispelt ging durch die Presse: Der Rapper war 2010 in Algerien zum Islam übergetreten und hatte sich anschließend binnen weniger Jahre in Luxemburg radikalisiert. Vier Jahre später soll der Sohn portugiesischer Einwanderer mit einem Freund nach Syrien ausgereist sein, wo er angeblich zum inneren Kreis des Islamischen Staates (IS) gehört haben soll. Im selben Jahr nahm eine luxemburgische Anti-Terror-Einheit den Belgier Davide de Angelis alias Abou Nouh fest, der durch einen europäischen Haftbefehl wegen Terrorverdachts gesucht wurde. Er soll auch Kontakte zu radikal-islamischen Kreisen in Esch/Alzette gehabt haben, wie das Luxemburger Wort damals berichtete. Zuletzt wurde im Juni dieses Jahres ein Luxemburger verhaftet, der Botschaften und Propagandamaterial für den IS verbreitet haben soll.

Drei Fragen an Moussa Al-Hassan Diaw

Islamismus-Experte und Pädagoge

Warum radikalisieren sich junge Menschen, um schließlich als Dschihadisten in ein Kriegsgebiet zu reisen?

Menschen radikalisieren sich in der westlichen Hemisphäre, weil sie Push- und Pull-Faktoren ausgesetzt sind. Die Push-Faktoren sind häufig Formen von Marginalisierung, das heißt, das Gefühl, nicht gewünscht und ausgegrenzt zu sein und am Rande zu stehen, um dann als Ausgleich etwas zu suchen, wo man dazugehört und was sinnstiftend ist. Das führt dann dazu, dass man von Menschen abgeholt wird, die vorgeben, dass diese Bedürfnisse erfüllt werden können. Das sind die Pull-Faktoren. Es gibt aber immer auch einen individuellen Faktor, der zu Radikalisierung führen kann.

Welche Rolle spielen die sozialen Medien bei einer Radikalisierung?

Bei jungen Menschen spielen sie eine große Rolle. In aktuellen Studien haben wir in Interviews mit wegen Terrorismus verurteilten Personen festgestellt, dass gerade bei Jüngeren wichtige Informationen über die sozialen Medien bezogen werden. Die Propaganda des IS hat sich dementsprechend auf den Westen eingestellt und die Inhalte so dargestellt, dass sie auch im westlichen Raum attraktiv wirken und im popkulturellen Gewand daherkommen. Die Kerninhalte werden in westliche Sujets verpackt.

Wie kann man der Radikalisierung junger Menschen am besten vorbeugen?

Anfangs kann man eine Widerstandsfähigkeit gegen die Propaganda entwickeln und diese hinterfragen. Bei fortgeschrittener Radikalisierung hilft es, mit Alternativen und Dekonstruktion zu kontern.