Reaktion auf Covid-19-RedeOpposition bemängelt Kommunikation der Regierung 

Reaktion auf Covid-19-Rede / Opposition bemängelt Kommunikation der Regierung 
 Foto: Editpress/Isabella Finzi

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Die Regierungsparteien und die Opposition haben am Donnerstag auf die Rede von Premierminister Xavier Bettel reagiert. Die CSV kritisiert weniger den Inhalt der Rede als das, was nicht gesagt wurde. Auch die Opposition ist nicht durchgehend mit der Art und Weise der Kommunikation der Regierung einverstanden. 

Nachdem Premierminister Xavier Bettel (DP) und Gesundheitsministerin Paulette Lenert (LSAP) am Mittwoch der Abgeordnetenkammer die aktuelle Lage der Corona-Pandemie vorgestellt hatten, durften am Donnerstag die Parlamentarier im Rahmen einer Debatte Stellung beziehen. Dabei wurde deutlich, dass die Positionen von Mehrheit und Opposition in vielen Fragen gar nicht so weit auseinanderliegen. Einig war man sich vor allem darin, dass ein zweiter Lockdown nicht mehr infrage kommt. 

Die CSV-Fraktionsvorsitzende Martine Hansen lobte die Regierung für die Bewältigung der ersten Krisenphase, mit der Lockerung der Ausgangssperre sei aber dann teilweise „Chaos“ entstanden. Die beiden Covid-19-Gesetze, die das Parlament am 22. Juni verabschiedet hat, seien schlecht, und auch beim neuen Gesetz, das am kommenden Donnerstag in der Kammer diskutiert und votiert werden soll, blieben noch viele Fragen offen. Die Kommunikation der Regierung sei nicht immer kohärent gewesen, mit widersprüchlichen Aussagen habe sie die Menschen verwirrt, sodass viele nicht mehr wüssten, woran sie sich halten sollen. Besonders deutlich sei dies in den vergangenen Wochen in den Schulen geworden, so Hansen. Auch die Kommunikation der Regierung mit den Medien und den Abgeordneten sei streckenweise intransparent gewesen, Modellierungen seien lange Zeit nicht verfügbar gewesen. Die Tripartite, die Bettel am Donnerstag besonders hervorgehoben hatte, sei nicht auf Initiative der Regierung, sondern nur auf Druck der Gewerkschaften zustande gekommen, bedauerte die CSV-Fraktionsvorsitzende.

Eine Austeritätspolitik lehnt die CSV, genau wie die Regierungsparteien, trotz steigender Staatsschuld ab. Als besorgniserregend bezeichnete Martine Hansen die steigende Arbeitslosigkeit, insbesondere bei Jugendlichen. Um die Gefahr einer sozialen Krise abzuwenden, müsse die Regierung die zweite Runde der Tripartite im Herbst schon jetzt vorbereiten.

„Mir packe keen zweete Lockdown“, sagte die CSV-Abgeordnete und forderte, dass die medizinische Versorgung aller Kranken gewährleistet werden müsse. Das Gesundheitswesen in Luxemburg sei zu sehr auf die Krankenhäuser fixiert, künftig müsse mehr auf Gemeinschaftspraxen gesetzt werden. Dieser Forderung nach einer Liberalisierung des Gesundheitswesens schloss sich der DP-Fraktionsvorsitzende Gilles Baum in seiner Ansprache an. Laut Baum könnten damit regionale Unterschiede bei der Gesundheitsversorgung verringert werden. Gleichzeitig könnten die Kliniken entlastet werden. Der LSAP-Fraktionsvorsitzende Georges Engel, der am Donnerstag ein klares Bekenntnis zu einem starken Sozialstaat ablegte, betonte seinerseits die Wichtigkeit des öffentlichen Gesundheits- und Sozialsystems.

Um den Personalmangel im Medizin- und Pflegebereich zu bekämpfen, müssten die Gesundheitsberufe attraktiver werden, forderte Martine Hansen, auch der psychologische Bereich müsse gestärkt werden. Die grüne Fraktionschefin Josée Lorsché wünschte sich diesbezüglich eine Erweiterung des psychiatrischen und psychotherapeutischen Angebots und verlangte, dass das großherzogliche Reglement, das die Kostenübernahme psychotherapeutischer Behandlungen durch die Gesundheitskasse CNS vorsieht, endlich umgesetzt werden muss.

Einig waren sich die vier großen Parteien darin, dass der Neustart nach der Corona-Krise nachhaltig und umweltgerecht sein muss. Die CSV forderte eine ökologische Agenda, in der das Wohlbefinden und die Lebensqualität oberste Priorität haben müssten. Gilles Baum wünschte sich und der Bevölkerung auch nach der Krise mehr Zeit, um die wichtigen Dinge des Lebens wieder wertschätzen zu können. Erreicht werden könne dies mit einer flexibleren Arbeitszeitgestaltung für alle Arbeitnehmer, so der DP-Fraktionschef. Der LSAP-Fraktionsvorsitzende Georges Engel begrüßte seinerseits das Gesetzesprojekt des Wirtschaftsministers Franz Fayot (LSAP), das vorsieht, nachhaltige Unternehmen zu fördern und zu unterstützen. Engel mahnte aber, die soziale Komponente müsse auch in den Bereichen Klima und Energie weiter Priorität haben. Hinsichtlich des nationalen Energie- und Klimaplans schlug er vor, manche Maßnahmen schneller umzusetzen, ohne jedoch die sozialen Ungleichheiten zu verschärfen.

Auch Josée Lorsché betonte, dass soziale Gerechtigkeit die wichtigste Bedingung sei, damit Umweltpolitik überhaupt greifen könne. Die grüne Fraktionschefin hat schon beobachtet, dass der wirtschaftliche Neustart in eine andere Richtung als noch vor der Corona-Pandemie geht. Die Krise werde europaweit als Chance gesehen, um neue Akzente im Bereich Nachhaltigkeit und Klimaschutz zu setzen, so auch in Luxemburg. Die von der Regierung beschlossenen Investitionshilfen für nachhaltige Betriebe und Ökoprämien seien ein Schritt in die richtige Richtung. Der Wunsch nach mehr Wohlbefinden sei in der Krise größer geworden, wie eine Umfrage der Umweltorganisation „Mouvement écologique“ gezeigt habe, freute sich Lorsché, die auch auf die Verantwortung hinwies, folgende Generationen vor Pandemien zu schützen. Um dies zu erreichen, müsse man der Zerstörung natürlicher Lebensräume und der Massentierhaltung nachhaltige Alternativen wie Biolandwirtschaft gegenübersetzen.

Einig war man sich auch, dass die lokale und regionale Produktion künftig stärker ausgebaut und die Lieferketten verkürzt werden sollen. Alle Mehrheitsvertreter riefen dazu auf, die Aktion „Vakanz doheem“ des Mittelstandsministers Lex Delles (DP) zu unterstützen, um den lokalen Hotels und Gaststätten unter die Arme zu greifen. Sie hätten mit am meisten unter der Krise gelitten, sagte Lorsché.

Trotz aller Gemeinsamkeiten setzten die einzelnen Parteien auch eigene Akzente. Vor allem die LSAP gab sich sozial und sprach als einzige „große“ Partei am Donnerstag das Wohnungsproblem an, das schnellstmöglich gelöst werden müsse, so Georges Engel. Die Grünen zeigten sich indes besorgt über den hohen Anteil an Schulabbrechern, der 2016 bei rund 11% lag, und thematisierten die niedrigen Einkommen in den Sektoren Pflege, Handel und Reinigung, von denen zum größten Teil Frauen betroffen sind. Josée Lorsché forderte, dass im Parlament auch über unbezahlte Care-Arbeit diskutiert werden müsse.

Während sich die CSV laut Martine Hansen gewünscht hätte, dass der Premierminister seine Rede zur Lage des Landes wie geplant in dieser Woche gehalten hätte, begrüßten LSAP, DP und „déi gréng“, dass diese Rede auf den Herbst verschoben wurde. Einig war man sich wiederum, dass ein exponentieller Anstieg der Corona-Infektionszahlen nur mit Disziplin, Verantwortung und Solidarität verhindert werden könne.

„Ombudsman fir Kanner a Jugendlecher“

Mit großer Mehrheit hat das Parlament am Donnerstag René Schlechter zum neuen „Ombudsman fir Kanner a Jugendlecher“ ernannt. Schlechter war der einzige Kandidat für dieses Amt, das bislang „Ombudsman fir d’Rechter vum Kand“ hieß und nun von der neuen Institution abgelöst wird. Das entsprechende Gesetzesprojekt wurde am 11. Februar vom Parlament angenommen.

Der ADR-Politiker Fernand Kartheiser meinte indes, dass Luxemburg schlecht auf eine solche Krise vorbereitet gewesen sei. Er forderte Reservelager mit Öl, Lebensmitteln und Medikamenten für Luxemburg, um so künftig einer Krise besser begegnen zu können. Außerdem bemängelte er die Kommunikation zwischen den Hauptakteuren des Gesundheitssektors. Auch für ihn komme kein weiterer Lockdown infrage. Stattdessen müsse man sich ein anderes Modell der Krisenbewältigung überlegen, vielleicht ein angepasstes schwedisches Modell. Der ADR-Mann sprach anschließend von einer Gefahr der grünen Politik, die einen Wiederaufschwung der Wirtschaft in Luxemburg verhindern würde. Während der Corona-Krise sah Kartheiser zudem die Presse- und Meinungsfreiheit in Gefahr. Wie die CSV spricht sich auch die ADR gegen eine Steuererhöhung und gegen die europäischen Corona-Bonds aus.

Der Abgeordnete Marc Baum von „déi Lénk“ wunderte sich über den Inhalt der Rede von Staatsminister Bettel am Mittwoch. Man hätte sich die Frage nach der Resilienz Luxemburgs stellen können, doch stattdessen habe Bettel nur aufgezählt, wo die Regierung gute Arbeit geleistet hat. Besonders überrascht habe den Abgeordneten der Moment, als der Premier in seiner Rede auf die Zahlen häuslicher Gewalt während des Lockdowns einging. Diese Zahlen, so Baum, hätten die Abgeordneten bereits seit geraumer Zeit angefragt – doch zu dem Zeitpunkt wurde ihnen lediglich geantwortet, dass es diese nicht gäbe. 

Es sei eine Chance, dass Luxemburg mit der Cargolux einen Akteur im Logistiksektor hat, über den die Regierung eine gewisse Kontrolle habe. Denn das Land sei im pharmazeutischen Bereich abhängig vom Ausland und brauche in Zukunft einen strukturellen Wandel in Bezug auf besagte Industrie. Baum sprach zudem ebenfalls über die psychischen Probleme der Bürger – vor allem über jene bei jungen Menschen, die bedingt durch die Corona-Krise seien. Es sei immer noch „eine Schande“, dass Konsultationen bei einem Psychologen nicht von der Krankenkasse übernommen werden.

Der Piraten-Abgeordnete Sven Clement meinte, dass der Lockdown das richtige Mittel gewesen sei, um die Krise zu bewältigen. Auch mit der Position der Regierung zur Tracing-App zeigte sich Clement einverstanden. Er vertritt die Meinung, dass Luxemburg keine Corona-App braucht. Positiv soll laut Clement sein, dass viele Menschen während des Lockdowns im Home-Office arbeiten konnten. Der Pirat forderte, dass die Wirtschaft strukturell an den Klimaschutz angepasst wird, und das gehe über die Digitalisierung.

Gilles Roth (CSV) zeigte sich indes enttäuscht über die Rede des Staatsministers. Er hätte sich eine Rede zur Lage der Nation gewünscht. Er kritisierte, dass Bettel keine Bilanz dazu gezogen habe, wie es um das Land stehe. 

Staatsfinanzen und (k)eine „chaise percée“

Als Gilles Roth die Regierung und insbesondere den Staatsminister wegen der Unklarheit bei den Staatsfinanzen kritisierte, kam es zu vielen Zwischenrufen. Der CSV-Mann bemerkte während seiner Rede, dass Bettel nicht auf seinem Platz war, und bezichtigte ihn, aus dem Saal geflüchtet zu sein. Er sprach von großer Respektlosigkeit gegenüber dem Parlament. Bettel entgegnete später, als er den Saal wieder betrat, dass dies eben keine „chaise percée“ sei, also kein Toilettenstuhl. Roth sagte daraufhin: „Hoffen wir, dass die Staatsfinanzen keine ‚chaise percée‘ sind.“

Der ADR-Abgeordnete Gast Gibéryen übte Kritik an der Regierung, weil der Staat keine Reserven mehr hat. Er forderte die Zahlen zur Luxemburger Finanzsituation. Wie die CSV sei er aber auch absolut gegen eine Steuererhöhung, besonders in Bezug auf die CO2-Steuer. Stattdessen hätte er gerne mehr darüber gewusst, wie es um den Luxemburger Finanzplatz stehe.

CSV-Mann Léon Gloden kritisierte, dass der Gesundheitssektor in Luxemburg mangelhaft ausgestattet sei. Ganz unironisch sieht der Politiker der Partei, die bis 2013 fast ununterbrochen in Luxemburg an der Macht stand, die „gefühlt 100 Jahre andauernde Politik“ der LSAP und der DP als Hauptursache für diesen Mangel.

Auch Marc Spautz (CSV) ging in seiner Rede auf den Respekt vor dem Parlament ein. Er ärgerte sich darüber, dass Dan Kersch (LSAP) eine Pressekonferenz für Donnerstag organisierte und das Treffen mit dem Parlament nachträglich auf Montag verschob. Das sei unüblich.

Kritik an Kommunikation von Finanzminister

Die CSV und die ADR kritisierten, dass Finanzminister Gramegna (DP) in einem Interview mit der deutschen Zeitung Welt bekannt gegeben haben soll, dass Luxemburg bereit sei, 20 Mal mehr Geld in den Hilfsfonds einzuzahlen, als es letztendlich aus diesem erhalten würde. Ihre Kritik bezog sich darauf, dass Gramegna gerade in der Krisensituation so eine Ansage mache und dass er das nicht dem Luxemburger Parlament kommuniziert habe. So hätten Luxemburger Abgeordneten erst am Morgen in einer ausländischen Zeitung nachlesen müssen, was der Finanzminister zu tun gedenke.

de Koschter
10. Juli 2020 - 16.10

Ein einziges Armutszeugnis der CSV. Herr Gloden scheint einen ganz besonderen Humor zu haben oder/und ein kurzes Gedächtnis. Hansen, Spautz, Roth und Konsorten täten besser daran, den Ball flach zu halten und die Zeit in der Opposition als einen Läuterungsprozess zu betrachten . Der Weg durchs Fegefeuer ist umso schmerzhafter je mehr man sich dagegen sträubt ihn zu gehen, bis ans bittere Ende.