Wo ist unser Geld?Opfer senden Hilferuf an die Luxemburger Politik

Wo ist unser Geld? / Opfer senden Hilferuf an die Luxemburger Politik
Ehemalige Kunden von CYBERservices wollen wissen, wo ihre Gelder geblieben sind. V.l.n.r.: Fabian Schaaf-Mehta, Beate Zwermann und Anwältin Françoise Nsan-Nwet.  Foto: Editpress/Hervé Montaigu

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Eine Reihe Unternehmer waren am Donnerstag nach Luxemburg gekommen. Sie zählen zu einer unbekannten Zahl an Opfern, die einem Zahlungsdienstleister vertraut hatten, der von der Luxemburger Finanzaufsicht überwacht wurde. Doch seit zwei Jahren kommen sie nicht mehr an ihr Geld. Seit zwei Jahren will niemand mit ihnen reden. Sie fragen sich, ob das Geld überhaupt noch existiert. Gemeinsam richteten sie nun einen Hilferuf an die Luxemburger Politik.

Der nachverfolgbare Teil der Geschichte begann am 25. Juli 2019. Damals teilte die Luxemburger Finanzaufsicht CSSF in einer kurzen Meldung mit, dass sie das Zahlungsinstitut CYBERservices Europe S.A. „aufgefordert habe, das Erbringen von Dienstleistungen vorübergehend auszusetzen“. Die Entscheidung basiere „auf der Tatsache, dass das Unternehmen bestimmte gesetzliche Anforderungen des Zahlungsdienstgesetzes nicht erfüllt“.

Mit seinen zwei Plattformen Klik&Pay und Paymill bot CYBERservices seinen Kunden – zumeist Geschäfte, die übers Internet verkaufen – fertige Bezahlsysteme an. Mit anderen Worten: Sie kümmern sich darum, dass die Einkäufer bei den Internetgeschäften mit unterschiedlichen Bezahlmethoden (Währungen, Kreditkarten usw.) ihre Rechnungen bezahlen können – und dass das Geld dann auch beim Verkäufer ankommt.

„Wenn das Gesetz nicht eingehalten wird, dann stoppen wir die Aktivitäten“, hieß es erklärend vonseiten der CSSF. „Im öffentlichen Interesse. Wir sind da, um die Menschen zu schützen. Wir sind da, um die Notbremse zu ziehen. Als Vorsichtsmaßnahme.“

Weitere Informationen über diese „aufsichtsrechtliche Maßnahme“ würden folgen, versprach die CSSF damals, im Juli, weiter. Zwei Monate vergehen. Eine zweite Pressemitteilung wird veröffentlicht. Die Luxemburger Finanzaufsicht teilt nun mit, dass sich bei dem Unternehmen nichts geändert habe und die Maßnahmen gegen CYBERservices Europe S.A. demnach immer noch in Kraft sind. Da jedoch „zahlreiche Informationsanfragen“ bei ihr eingegangen seien, würde man auf ein paar Punkte hinweisen: Nicht eingehalten wurden demnach die Artikel des Gesetzes, bei denen es um die Sicherung der Gelder der Kunden, die die Zahlungsdienstleistung nutzen, betreffen. Die Gelder würden weder auf einem separaten Konto bei einem Finanzinstitut liegen, noch seien sie durch eine Versicherungspolice abgedeckt, so die CSSF.

Alle Informationsanfragen bleiben erfolglos

Bei den Betroffenen – um wie viele es geht, ist nicht bekannt; möglicherweise etwa 3.000 – machen sich mehr und mehr Sorgen breit. Manche fürchten um den Fortbestand ihrer Unternehmen. Alle Informationsanfragen der Geschädigten bei der CSSF bleiben jedoch erfolglos. Die Opfer organisieren sich. Eine private Gruppe auf Facebook mit dem Namen „Affected by Investigation of CYBERservices Europe S.A.“ entsteht. Sie zählt etwas mehr als 250 Mitglieder. Das Tageblatt berichtete Anfang Dezember 2019 darüber. Um wie viel Geld es geht, bleibt auch unbekannt. Die Geschädigten vermuten einen hohen dreistelligen Millionenbetrag.

Besonders Angst hatten die Opfer derweil, dass das Unternehmen in Insolvenz gehen müsse „und wir dann kein Geld mehr bekommen“. Im November 2020 war es dann so weit. Die Gläubiger erfuhren auf Umwegen, dass CYBERservices Europe seit Ende Oktober 2020 insolvent ist. Das sei eine Katastrophe für viele Betroffene, sagte die Anwältin Françoise Nsan-Nwet damals gegenüber dem Tageblatt. „Die CSSF hat viel Zeit verstreichen lassen. Sie hat niemanden informiert, auf Anfragen (auch ihrerseits) nicht geantwortet.“ Und nun gelten plötzlich einfach die Regeln von Konkursen, so die Anwältin aus Esch. Die Händler, die seit Monaten um ihr Geld kämpfen, werden wohl leer ausgehen. Sie werden kaum zu den bevorzugten Schuldnern zählen. Eingereicht wurde der Insolvenzantrag durch die Steuerbehörden, wegen nicht bezahlter Abgaben.

Eine gerichtlich verordnete Durchsuchung

Françoise Nsan-Nwet, Anwältin der Opfer
Françoise Nsan-Nwet, Anwältin der Opfer Foto: Editpress/Hervé Montaigu

Etwa drei Wochen nach dem Sprechen der Insolvenz haben sich dann CSSF und Staatsanwaltschaft in einer gemeinsamen Pressemitteilung zu Wort gemeldet. In dem Schreiben erinnert die Finanzaufsicht, dass nicht alle Kundengelder, wie vom Gesetz vorgeschrieben, auf einem separaten Konto bei einem Kreditinstitut hinterlegt wurden. Die Staatsanwaltschaft fügte weiter hinzu, dass CYBERservices Mitte dieses Jahres Gegenstand von Durchsuchungen im Zusammenhang mit „einer gerichtlichen Untersuchung, die unter anderem wegen betrügerischen Konkurses und Veruntreuung von Unternehmensvermögen eingeleitet wurde“ gewesen sei. Die Analyse des beschlagnahmten Materials dauere noch an.

Am Donnerstag, wieder ein halbes Jahr später, haben nun acht geschädigte Unternehmer in Luxemburg eine Pressekonferenz organisiert. Sie beklagen, dass es „in der Corona-Zeit nicht möglich war, nach Luxemburg zu reisen und uns persönlich um die Informationen zu bemühen sowie die Herausgabe unserer Kundengelder zu fordern“. Und Anrufe und E-Mails beantwortet weder die CSSF noch der Insolvenzverwalter Christian Steinmetz, so die Betroffenen. „Es ist an der Zeit, diesen beispiellosen Finanzskandal in die Öffentlichkeit zu bringen“, sagt Beate Zwermann im Namen der Unternehmen. „Wir brauchen Hilfe. Wir wissen nichts und erhalten keine Informationen. Niemand redet mit uns.“

Wir brauchen Hilfe. Wir wissen nichts und erhalten keine Informationen. Niemand redet mit uns.

Beate Zwermann, eines der Opfer

Man stehe hier als einige wenige von Tausenden Opfern aus der ganzen Welt, so die Geschädigten. Es stelle sich die Frage, wie es möglich ist, dass, falls kein Geld auf den Treuhandkonten liege, ein Unternehmen, das sich nicht an die Regeln hält, überhaupt eine Geschäftserlaubnis erhalten hat. „Die Antworten liegen in Luxemburg“, unterstreichen sie. „Doch gibt es bei der Luxemburger Regierung überhaupt ein Interesse an den Sorgen der Kunden des Finanzsektors?“

Der Anwalt der Aktionäre von CYBERservices, Philippe Onimus
Der Anwalt der Aktionäre von CYBERservices, Philippe Onimus Foto: Editpress/Hervé Montaigu

Die Geschädigten fragen um Hilfe und fordern Aufklärung über den Verbleib ihrer Kundengelder. Sie wollen die Rückgabe der Gelder, die auf Treuhandkonten liegen müssten, sowie die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses, der die Hintergründe der Suspendierung aufklären soll und überprüfen soll, inwieweit die CSSF ihrer Kontrollaufsicht bei CYBERservices Europe im Vorfeld der Suspendierung nachgekommen ist. „Wir gehen davon aus, dass die CSSF eigenes Versagen im Fall der CYBERservices Europe verschleiern will und deshalb das Verfahren maximal verschleppt“, so Beate Zwermann. Das Finanzministerium fordern sie auf, „die Federführung für eine lückenlose Aufklärung des Vorgangs zu übernehmen.“ Man habe nun lange genug gewartet.

Am Dienstag wurde derweil ein Urteil gesprochen. Die Aktionäre von CYBERservices hatten Klage gegen das Sprechen der Insolvenz eingereicht. Die Klage hatte Erfolg. Ein Formfehler in den Prozeduren wurde gefunden. Für die Betroffenen dürfte das Urteil bedeuten, dass sich die Wartezeit wohl noch weiter verlängert.

Ein Auftritt, wie er sonst nie stattfindet

Die Pressekonferenz am Donnerstag hielt eine Überraschung für alle Anwesenden bereit. Auch die Organisatoren hatten nicht damit gerechnet. Während der Vorstellung der Geschichte durch die Opfer wurde plötzlich eine weitere Pressemitteilung im Saal verteilt. Philippe Onimus, Anwalt der Besitzer von CYBERservices, meldete sich zu Wort. Er unterstrich, dass es die betreffenden Treuhandkonten bei der BCEE wie auch das betreffende Geld wirklich gebe. Fehlen würden nur 4 Millionen Euro, die das deutsche Skandalunternehmen Wirecard, das ein Monopol auf Zahlungen mit Visa gehabt habe und ein Abkommen mit CYBERservices, nicht an CYBERservices überwiesen habe. Zudem hätten einige der Geschädigten zu hohe Forderungen eingereicht, wodurch es noch Jahre dauern würde, ehe das verfügbare Geld ausbezahlt werden könne.
Nachdem der Wirtschaftsprüfer EY im Mai 2019 die CSSF darauf hingewiesen habe, dass die Gelder fehlen, habe die Aufsicht schließlich CYBERservices blockiert, erzählte Philippe Onimus weiter. Zuvor sei noch versucht worden, einen neuen Investor zu finden. In der Folge sei jedoch auch die Familie hinter CYBERservices total ruiniert worden, so der Anwalt. Gegen die Verantwortlichen – EY – sei mittlerweile Klage eingereicht worden.
Der Auftritt überraschte die Organisatoren der Pressekonferenz. Zufrieden mit den Erklärungen waren sie jedoch nicht. „Unser Geld müsste – wie vom Gesetz vorgesehen – auf Treuhandkonten liegen“, sagen sie. „Warum erhalten wir es nicht zurück?“ Fabian Schaaf-Mehta, eines der Opfer, meinte mit einem Funken Optimismus: „Der Druck durch die Pressekonferenz zeigt erste Erfolge. So viel hat er uns bisher noch nie gesagt.“

Meinung

Bei dieser Affäre stellen sich überaus viele Fragen. Vor allem aber: Sind die Interessen der Nutzer von Zahlungsdienstleistern genügend geschützt? Wie sicher ist das Geld der Kunden? Bei Banken wäre wenigstens eine Mindestsumme an Spareinlagen gesichert. Bei Zahlungsdienstleistern hingegen nicht. Der europäische Binnenmarkt für Zahlungsdienstleistungen ist scheinbar noch lange nicht ausgereift.
Auch stellen sich Fragen zum Eingreifen der CSSF: Kam es zur richtigen Zeit? Hätte die Firma – und das Geld der Kunden – gerettet werden können? Warum wurden geschädigte Kunden im Regen stehen gelassen? Warum redet niemand mit den Betroffenen? Verbraucherfreundlich wäre eine Beratungsstelle, an die sich betroffene Menschen wenden können – oder wenigstens eine ausgefeiltere Informationspolitik. Es geht um den Ruf des Finanzplatzes.

DanV
10. Juli 2021 - 17.32

@ Sepp Es geht nicht darum, ob diese Handlungen gesetzeskonform sind. Ich denke nicht, dass die CSSF sich trauen würde, gegen das Gesetz zu handeln. Es geht darum, dass diese Handlungsweise unschuldige Parteien schädigt, ihnen ihr ehrlich verdientes Geld vorenthält. Eine Behörde treibt Händler mit Hilfe von Gesetzen in den Ruin. Das darf nicht sein und muss schnellstens korrigiert werden.

Sepp
10. Juli 2021 - 0.09

@DanV: Wenn es nicht gesetzeskonform ist, kann die CSSF das. Das steht auch im Artikel. Die CSSF lässt die Kunden im Dunkeln weil die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen sind, das steht auch im Artikel.

Ba
9. Juli 2021 - 20.56

Es gibt zuviele dieser fintech Zahlungsdienstleister in Luxemburg, und die CSSF ist scheinbar nicht in der Lage die ordnungsgemäß zu überwachen, ich kenne noch ein solches Unternehmen wo eigentlich keine Substanz da ist mit Ausnahme von einer IT Struktur die auch zweifelhafte Geschäfte betreibt....aber wie gesagt wenn jetzt auch noch ein Rechtsanwalt als Insolvenzverwalter da ist werden die geschädigten Leute nicht viel von den geschuldeten Gelder zurückerhalte...wie üblich in Luxemburg!!! und international wird der Finanzplatz wieder einmal im Verruf geraten......

DanV
9. Juli 2021 - 12.27

Und es stellen sich noch weitere Fragen: Ist es mit einer demokratischen Marktwirtschaft vereinbar, dass die CSSF einfach so Millionenengelder einfrieren kann? Es geht schliesslich nicht um illegales Geld, sondern um Geld für legal verkaufte Waren. Ist es mit unserer Marktwirtschaft vereinbar, dass die CSSF die Kunden des Finanzdienstleisters im Dunkeln lässt? Meines Erachtens verletzt die CSSF die viel gerühmte Luxemburger Rechtssicherheit erheblich in diesem Fall. Und - ist die CSSF überhaupt fähig, bei Regelverstößen gerechte Maßnahmen für die beteiligten Parteien zu treffen oder ist sie gezwungen, zur Hammermethode zu greifen und damit ALLE Parteien zu schädigen, wenn eine Partei aus dem Ruder läuft, wie in diesem Fall? Hat sie die nötigen Instrumente oder ist sie eine Schönwetterbehörde, die nur gerecht funktioniert, wenn alles gesetzeskonform läuft?