BaubrancheNoch keine Endzeitstimmung: Wie der Sektor die Situation nach dem Kollektivurlaub einschätzt

Baubranche / Noch keine Endzeitstimmung: Wie der Sektor die Situation nach dem Kollektivurlaub einschätzt
Betriebe, die öffentliche Aufträge annehmen, können sich nicht über zu wenig Arbeit beschweren Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

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Ab heute stehen die meisten Baustellen im Land still. Arbeitgeber warnen vor schweren Zeiten nach dem Kollektivurlaub, während Gewerkschaften noch keine Anzeichen für eine tiefe Krise des gesamten Sektors erkennen und auf eine Einigung bei den Verhandlungen um den neuen Kollektivvertrag aus sind. 

Normalerweise bekommt Jean-Luc De Matteis Ende Juli einige Anrufe von Journalisten. „Ich habe mittlerweile zwei Reden vorbereitet und frage die Journalisten, ob sie die lange oder die kurze Version hören wollen.“ Ende Juli ist der Zentralsekretär des Syndikats Bau, Bauhandwerk und Metallkonstruktionen des OGBL ein beliebter Gesprächspartner zum Thema Kollektivurlaub. Dieses Jahr war das Interesse allerdings gering, jedenfalls was das Thema Kollektivurlaub angeht, der heute beginnt.

In den vergangenen Tagen dominierten andere Themen um die Baubranche. Der Konkurs der Firma Cardoso, die sektorielle Studie der Wettbewerbsbehörde, steigende Zinsen, Inflation sowie die Wohnungsnot im Allgemeinen: Es waren nicht unbedingt immer positive Nachrichten aus der Baubranche. Von Endzeitstimmung dennoch keine Spur – zumindest nicht bei der Gewerkschaft.

Fachkräftemangel

Artur Horto arbeitet für ein großes Bauunternehmen. Er freut sich eigentlich wie jedes Jahr auf seinen wohlverdienten Urlaub. Über mangelnde Arbeit kann er sich nicht beklagen. „Wir haben allein diese Woche noch acht Arbeiter eingestellt. Uns fehlt es an Fachkräften, das ist momentan unser größtes Problem.“

Das konnte man Anfang dieser Woche bereits im Fall der Insolvenz des Bauunternehmens Manuel Cardoso beobachten. „Nach der Bekanntgabe des Konkurses von Cardoso haben sich allein bei mir zwölf Betriebe gemeldet, die daran interessiert sind, Leute einzustellen“, so De Matteis, der nicht das Gefühl hatte, dass die Arbeiter um ihre Existenz bangen. „Natürlich waren sie geschockt und fragen sich, wie sie die kommenden Monate finanziell überstehen. Es ist definitiv keine einfache Situation, dennoch weiß ein großer Teil der Belegschaft, dass er im Herbst wieder einen neuen Arbeitgeber haben wird“, bestätigt De Matteis die Einschätzung von Horto.

Im Moment können wir nicht auf die Forderungen der Gewerkschaften eingehen

Patrick Koehnen, stellvertretender Generalsekretär der „Fédération des artisans“

Patrick Koehnen warnt vor einer schwierigen Wiederaufnahme nach dem Kollektivurlaub
Patrick Koehnen warnt vor einer schwierigen Wiederaufnahme nach dem Kollektivurlaub Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

Beim Handwerkerverband schätzt man die Lage kritischer ein und warnt vor der ausbleibenden Arbeit. „Bis Ende des Jahres werden die meisten Betriebe noch Arbeit haben. Allerdings muss man im September bereits die Aufträge für 2024 bekommen“, sagt Patrick Koehnen, der stellvertretende Generalsekretär der „Fédération des artisans“. Bleiben die Auftragsbücher im September leer, werde es kritisch. „Dann werden die Betriebe eine Zeit lang nicht bauen können, da man ja einige Zeit einrechnen muss, bis man die nötigen Genehmigungen beisammen hat.“

Von Endzeitstimmung will Koehnen zwar ebenfalls nicht sprechen, allerdings sei die Lage „sehr ernst“ und es müsse gehandelt werden. Ihm bereitet vor allem eine Entwicklung Kopfzerbrechen. Im Jahr 2022 ist die Zahl der ausgestellten Baugenehmigungen um 23 Prozent gesunken. „Deshalb gilt unser Appell ja nicht nur dem Staat, sondern auch den Gemeinden. Wenn nur irgendwie möglich, müssen Projekte vorgezogen werden, damit wir bauen können“, sagt Koehnen und verweist auf die 102 Insolvenzen, die der Bausektor bereits in diesem Jahr zu verzeichnen hat.

Beim OGBL sieht man die Situation nicht so dramatisch. Dass einige Betriebe in Schwierigkeiten geraten werden, will auch der Gewerkschafter nicht abstreiten. „Das sind aber in erster Linie die Betriebe, die ausschließlich für private Bauträger arbeiten, da diese unter den steigenden Zinssätzen leiden.“ Auch Koehnen sieht vor allem diese Betriebe in Gefahr, warnt aber vor einer anderen Entwicklung. „Vor einiger Zeit hatte man vier bis fünf Betriebe, die sich auf öffentliche Ausschreibungen beworben haben. Heute sind es 15 bis 20.“ Das habe zur Konsequenz, dass sich einige größere Betriebe nach kleineren Arbeiten umschauen und dort die kleinen Betriebe dann verdrängen.

Es wird immer wieder eine sektorielle Krise heraufbeschworen, aber dafür sehen wir momentan noch keine Anzeichen

Jean-Luc De Matteis, Zentralsekretär beim OGBL

Für Jean-Luc De Matteis ist die Zeit definitiv gekommen, um für attraktivere Arbeitsbedingungen zu sorgen
Für Jean-Luc De Matteis ist die Zeit definitiv gekommen, um für attraktivere Arbeitsbedingungen zu sorgen Foto: Editpress/Hervé Montaigu

Für De Matteis sind diese Einschätzungen zu pauschal. „Es wird immer wieder eine sektorielle Krise heraufbeschworen, aber dafür sehen wir momentan noch keine Anzeichen. Es wird sicherlich weitere Insolvenzen geben, die Branche hat traditionell eine hohe Fluktuation.“ Für den Gewerkschafter muss man die Lage differenzierter betrachten. „Wir müssen über gezielte Hilfen für die Betriebe reden, die in Schwierigkeiten geraten.“ Vor allem aber müsse man endlich die Arbeitsbedingungen im Sektor attraktiver gestalten. „Es kann nicht sein, dass sich Unternehmer und Bauträger jahrelang eine goldene Nase verdienen, ohne etwas an die Arbeiter abzugeben.“

De Matteis spricht in erster Linie die stockenden Verhandlungen eines neuen Kollektivvertrages für den Sektor an. Ein Thema, das laut Horto viele Arbeitnehmer beschäftigt. Vor allem die kürzlich veröffentlichte Studie der Konkurrenzbehörde habe die Arbeitnehmer in ihren Forderungen zu besseren Arbeitsbedingungen bestätigt. „Wenn man das liest und dann hört, dass der Staat den Betrieben wieder mit 150 Millionen Euro unter die Arme greift, dann fragt man sich schon, wieso wir nichts davon sehen“, spielt Horto auf das im Juni beschlossene Maßnahmenpaket der Regierung für den Bausektor an.

Kollektivvertrag

Die Schlussfolgerung der sektoriellen Studie, dass die Löhne bewusst tief gehalten wurden, um Einstellungen weniger attraktiv zu gestalten und so die Wohnungspreise in die Höhe zu treiben, teilen weder der Handwerkerverband noch der OGBL. „Bei Gewinnspannen von 20 bis 50 Prozent will doch jeder möglichst viel bauen“, so De Matteis, für den die niedrigen Löhne nach enormen Gewinnen der vergangenen Jahre allerdings nicht mehr akzeptabel sind.

Koehnen sieht das indessen anders. Die Arbeitgeber wollen den aktuellen Kollektivvertrag um ein Jahr verlängern und erst dann neu verhandeln. „Bis dahin sehen wir eventuell, in welche Richtung sich die Baubranche entwickelt. Im Moment können wir nicht auf die Forderungen der Gewerkschaften eingehen.“ De Matteis sieht in den Forderungen allerdings nichts, was nicht finanzierbar wäre. „Es wäre jetzt endlich mal an der Zeit, für Klarheit zu sorgen und den Arbeitern entgegenzukommen.“

Die Arbeitgeber erwarten sich einen schwierigen Herbst für die Baubranche. Artur Horto geht aber auch dieses Jahr ohne Zukunftsängste in den Kollektivurlaub. Was die Zukunft letztendlich bringen wird, zeigt sich dann ab dem 20. August, wenn die Arbeiten auf den Baustellen wieder aufgenommen werden.

Miette
28. Juli 2023 - 22.47

So schlecht geht es den Chefs von Baufirmen sicher nicht, nur die Arbeiter haben die A...karte gezogen. Es geht hier nicht darum, ob reiche Unternehmer ihre Luxusautos und Privatflugzeuge weiter halten können. Es geht um Arbeitnehmer und deren Überleben, es geht um Familien.

Romain
28. Juli 2023 - 8.45

Lange Bauzeiten, lange Wartezeiten, im Sommer macht ein Betrieb zu (wegen Reichtum geschlossen), bei schlechten Wetter wird nicht gearbeitet. So schlecht kann es nicht sein