FinanzplatzNGOs fordern „echte“ nachhaltige Finanzwirtschaft statt Greenwashing

Finanzplatz / NGOs fordern „echte“ nachhaltige Finanzwirtschaft statt Greenwashing
Der Finanzaufsicht würde auch im Zuge der nachhaltigen Finanzwirtschaft eine wichtige Aufgabe zukommen Foto: Editpress-Archiv/Didier Sylvestre

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Eine Gruppe aus sechs Organisationen der luxemburgischen Zivilgesellschaft fordert im Vorfeld der Parlamentswahlen vom 8. Oktober von den Parteien und der künftigen Regierung, den Finanzsektor mehr in die Pflicht zu nehmen, was Nachhaltigkeit sowie die Verpflichtung gegenüber der Menschen- und Umweltrechte und die Ausrichtung an den Zielen des Pariser Klimaschutzabkommens betrifft.

In den Wörterbüchern soll er schon seit mehr als hundert Jahren sein, in ökologisch orientierten Kreisen ist er seit einigen Jahrzehnten im Umlauf, im allgemeinen Sprachgebrauch wird er etwa seit der Jahrtausendwende verwendet. Die Rede ist vom inflationär gebrauchten Begriff der Nachhaltigkeit – ein Modewort, das fast alle schon gehört haben, aber von dem viele noch immer nicht richtig wissen, was es überhaupt bedeutet, und das immer häufiger benutzt wird, wenn sich jemand „das Mäntelchen des Zeitgeistes umzuhängen will“, wie es der deutsche Journalist und Buchautor Florian Rötzer bereits vor mehr als zehn Jahren formuliert hat.

Ausgehöhlter Begriff?

Als ein „ausgehöhlter Begriff“, so Rötzer, erscheint die Nachhaltigkeit, wenn sie im Bereich der Finanzwirtschaft benutzt wird, die hierzulande eine dominante Rolle spielt und von der Politik häufig als „heilige Kuh“ behandelt wird, wenn es um die Sorgfaltspflicht von Unternehmen des Sektors bezüglich der Menschenrechte geht, wie aus einem dieses Jahr veröffentlichten Bericht einer Delegation der Vereinten Nationen hervorgeht. Schließlich ist der Finanzplatz nach wie vor die Cashcow des Landes und macht etwa 25 Prozent des luxemburgischen Bruttoinlandsproduktes (BIP) aus. Sage und schreibe etwa 158.000 mit Finanzdienstleistungen verbundene Unternehmen sind im Großherzogtum registriert, darunter auch sogenannte Briefkastenfirmen.

Eine Ilres-Umfrage im Auftrag der „Commission de surveillance du secteur financier“ (CSSF), der „Fondation ABBL pour l’Education financière“ und der „Luxembourg Sustainable Finance Initiative“ (LSFI) hatte vergangenes Jahr ergeben, dass 47 Prozent der Befragten nicht oder kaum wussten, um was es sich bei der nachhaltigen Finanzwirtschaft überhaupt handelt. Dabei wird seitens der Regierung kaum eine Gelegenheit ausgelassen, wie grün und nachhaltig der hiesige Finanzplatz sei, um dessen Ruf aufzupolieren. Kritiker sehen in der „Green Finance“ nur eine Marketingstrategie. Dass dies dem Klima nichts bringe, will Greenpeace vergangenes Jahr zusammen mit der Nachhaltigkeitsratings-Agentur Inrate 51 herausgefunden haben.

Antoniya Argirova (ASTM), Jean-Louis Zeien („Commission Justice et Paix“), Martina Holbach (Greenpeace Luxemburg) und Julian Bernstein (Etika)
Antoniya Argirova (ASTM), Jean-Louis Zeien („Commission Justice et Paix“), Martina Holbach (Greenpeace Luxemburg) und Julian Bernstein (Etika) Foto : Editpress/Fabrizio Pizzolante

Anlässlich der anstehenden Chamberwahlen stellte eine Gruppe von sechs Nichtregierungsorganisationen am Mittwoch ihre zehn wichtigsten Forderungen für einen nachhaltigeren Finanzsektor vor: Dazu gehören die „Action solidarité tiers monde“ (ASTM), der „Cercle de coopération“, Etika, die „Commission luxembourgeoise Justice et Paix“, Greenpeace und SOS Faim. Sie verlangen von den politischen Entscheidungsträgern „Regulierungsmaßnahmen, um die Finanzströme in die Unternehmen zu lenken, die zu einer globalen, nachhaltigen Wirtschaftstransformation beitragen“. Bisher sei in dieser Hinsicht wenig geschehen: „Der luxemburgische Finanzsektor ist weit davon entfernt, nachhaltig zu sein.“ Die sechs NGOs sind sich einig darin, dass unverbindliche Absichtserklärungen nicht dazu führen, an den Praktiken der Finanzakteure etwas grundlegend zu ändern.

Zwar sei der europäische Rechtsrahmen im Bereich der nachhaltigen Finanzwirtschaft weiterentwickelt worden, Regelungen wie die Taxonomie oder die „Sustainable Finance Disclosure Regulation“ wiesen jedoch „entscheidende Lücken und Mängel“ auf. „Die Regierung muss sich auf europäischer Ebene für einen ehrgeizigen Rechtsrahmen für nachhaltige Finanzen einsetzen“, fordert Jean-Louis Zeien, Generalsekretär der „Commission Justice et Paix“. „Der Vorschlag für eine Richtlinie über die Sorgfaltspflicht im Bereich der Nachhaltigkeit ist eine hervorragende Gelegenheit für die Regierung, ihr Engagement für eine wirksame und an internationale Standards angepasste Gesetzgebung, in die der Finanzsektor voll integriert ist, zu beweisen.“ Und Letzterer ist alles andere als nachhaltig.

Obwohl ein Konsens darüber bestehen dürfte, dass die Treibhausgasemissionen drastisch reduziert werden müssen, damit der Klimawandel gestoppt werden kann, sei es nach wie vor schwierig, die Finanzströme in eine wirtschaftliche Entwicklung zu lenken, die mit den Zielen des Pariser Klimaschutzabkommens von 2015 vereinbar ist. Daher sei ein verbindlicher Rechtsrahmen auf europäischer Ebene dringend nötig, „damit der gesamte Finanzsektor die Ziele des Pariser Abkommens einhält“, sagt Martina Holbach, Campaignerin für nachhaltige Finanzen bei Greenpeace Luxemburg. Der Finanzsektor müsse dazu verpflichtet werden, „Investitionen in fossile Energieunternehmen und solche, deren Geschäftsmodelle nicht am Pariser Abkommen ausgerichtet sind, schrittweise zu beenden“. Martina Holbach verweist außerdem darauf, dass angesichts der unzureichenden europäischen Gesetzgebung im Bereich der nachhaltigen Finanzen die Praktiken des Green- und Social Washing zugenommen haben. Sich ein nachhaltiges Image zu verschaffen, gehört eben – wie schon erwähnt – mittlerweile zum Marketing.

Mindestkriterien

Erst einmal müssten Mindestkriterien für nachhaltige Investitionen festgelegt werden, etwa bezüglich ihrer positiven Auswirkungen auf die Realwirtschaft. Ohne diese Kriterien werde es weiter möglich sein, „dass ein Finanzprodukt als nachhaltig bezeichnet werden darf, selbst wenn es das nicht ist“, warnt Martina Holbach. Sie befürchtet, dass Green- und Social Washing zu einem Vertrauensverlust sowohl bei Anlegern als auch bei Konsumenten führen. Doch Luxemburg neige oft dazu, Lösungen auf europäischer Ebene zu bevorzugen.

Dagegen sollte die nächste Regierung bestimmte Maßnahmen umsetzen, um den Finanzplatz nachhaltiger zu gestalten – angefangen bei staatlichen Institutionen und Unternehmen des Finanzsektors, an denen der Staat beteiligt ist. „Der Staat muss sicherstellen, dass seine eigenen Unternehmen, die zum Finanzsektor gehören, die Einhaltung internationaler Klima-, Umwelt- und Menschrechtsstandards vollständig und unverzüglich gewährleisten“, fordert Antoniya Argirova. Die Advocacy-Koordinatorin der ASTM spricht dabei das per Gesetz definierte Mandat des Pensionsfonds an: „Es ist nicht hinnehmbar, dass die Sozialversicherungsbeiträge der Privatangestellten in Luxemburg weiterhin in Unternehmen investiert werden, die für den Planeten und die Menschen gefährlich sind.“

Zivilgesellschaft vor!

Nicht zuletzt müsse sich die zukünftige Regierung mit der Finanzbildung auseinandersetzen. Hier bedürfe es alternativer Angebote, „einschließlich solcher, die einen kritischen Blick auf den Finanzsektor werfen“, meint Julian Bernstein, Koordinator von Etika, eine auf alternative Finanzierung spezialisierte Vereinigung. In diesem Zusammenhang komme der CSSF eine Schlüsselrolle zu: „Diese sollte ihre nationale Strategie zur Vermittlung von Finanzwissen überarbeiten und dabei alle interessierten Interessengruppen in die Überlegungen einbeziehen.“ Damit meint er vor allem die Zivilgesellschaft. Deren Beteiligung in Entscheidungsprozessen ist bisher sehr begrenzt.

Doch wie kann ein Sektor, der alles andere als nachhaltig ist, ohne Greenwashing nachhaltig werden – also ohne sich nur ein grünes Image zu verleihen, sich ein Mäntelchen der gesellschaftlichen Verantwortung anzuziehen und sich in Wirklichkeit nicht für soziale, ökologische und menschenrechtliche Belange zu engagieren? Der Finanzplatz, einer der größten der Welt, mit der größten Fondsindustrie Europas, spielt eine Schlüsselrolle in einer Wirtschaft, die vor allem auf Wachstum ausgerichtet ist. Trotz der Behauptung, sich verstärkt nachhaltig auszurichten, habe sich in den Augen der Kritiker an den bisherigen Praktiken nichts geändert.

Probleme bei der Taxonomie

Der EU-Ministerrat billigte Ende des vergangenen Jahres die Richtlinie über die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen. Doch die meisten Finanzdienstleistungen blieben davon weiter ausgenommen. Dabei kann der Finanzsektor eine wichtige Rolle in der nachhaltigen Wirtschaft spielen. So sahen es zumindest 74 Prozent der Befragten der oben genannten Umfrage, die unter anderem von der Finanzaufsicht in Auftrag gegeben wurde. Der Sektor könne zum Beispiel einen positiven Einfluss auf die Entwicklung erneuerbarer Energien ausüben. Wenn Luxemburg Vorreiter bei den grünen Finanzen werden möchte, reicht es in den Augen der Kritiker wie Greenpeace nicht, sich auf wenigen Vorzeigeprojekten auszuruhen. Nötig sind strenge Regeln und transparente Kontrollen. Doch das Gegenteil ist der Fall: Probleme der EU-Taxonomie würden ignoriert und Fonds-Investitionen ihr zur Hälfte entsprechen, könnten ihr Greenwashing für 0,01 Prozent Abonnementsteuer anbieten. Außerdem stufe die Taxonomie industrieller Holzeinschlag und Biomassegewinnung als nachhaltig ein. Unter dem grünen Mäntelchen zeigt sich demnach vor allem das nackte Profitstreben.