Zur GrippesaisonMythos nasse Haare: „Du holst dir noch eine Erkältung!“

Zur Grippesaison / Mythos nasse Haare: „Du holst dir noch eine Erkältung!“
Wer im Winter mit nassen Haaren nach draußen geht, verliert über den Kopf reichlich Wärme. Wer also morgens kaum Zeit zum Föhnen hat, sollte sich die Haare abends waschen und in der Wärme lufttrocknen lassen. Foto: Shutterstock/Semachkovsky

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Haare föhnen ist lästig. Doch wird Föhnen unterschätzt? Vor allem im Winter kann es schnell gefährlich werden, wenn man sich nach dem Duschen nicht die Haare trocknet, so die landläufige Meinung. „Geh nicht mit nassen Haaren vor die Tür. Du holst dir noch eine Erkältung“, hat auch Mutti schon behauptet. Ganz so einfach ist es dann doch wieder nicht.

Im Winter mit nassen Haaren vor die Tür zu gehen oder beim Spaziergang durch die verschneite Winterlandschaft mit kalten Füßen herumzulaufen, galt lange Zeit als sicheres Mittel, eine Erkältung einzufangen. Was zunächst auch durchaus einleuchtet, ist auf den zweiten Blick doch nicht so simpel. Muttis Ratschlag hin oder her: „Krank wird man nicht durch die Feuchtigkeit oder Kälte, sondern durch Viren oder Bakterien“, sagt ein junger Allgemeinarzt aus dem Raum Clerf.

Einen direkten Zusammenhang gebe es zwar nicht, so der 35-Jährige, doch so richtig falsch sei der Erkältungsmythos auch wieder nicht. Vielmehr sei es so, dass der Körper sich permanent gegen Bakterien zur Wehr setzt. „Unser Körper ist eine regelrechte Bastion, die uns vor Krankheiten schützt. Sollte ein Schutzwall aus irgendeinem Grund bröckeln, wird es für den Körper schwerer, Bakterien abzuwehren“, erklärt der Mediziner. „Ist das Abwehrsystem allerdings stark genug, haben die Bakterien auch bei nassen Haaren keine Chance.“

„Ob man sich mit nassen Haaren eine Erkältung holt? Eine Frage mit einer typischen Jein-Antwort“, meint auch eine Allgemeinärztin aus der Hauptstadt. Einen direkten Zusammenhang zwischen Feuchtigkeit oder Erkrankung gebe es nämlich nicht. „Das Problem aber ist: Bei nassen Haaren oder nassen Füßen wird einem schneller kalt“, so die Ärztin. Und Kälte schwäche unsere Immunabwehr. „Krankheitserreger, die Erkältungen hervorrufen, haben dann leichteres Spiel.“ Demnach spiele vielmehr die Temperatur eine Rolle als die Feuchtigkeit der Haare.

„Im Sommer kann man ja auch mit nassen Haaren vor die Tür“, meint die Medizinerin schulterzuckend. Daran störe sich niemand. Im Winter aber werde es Menschen mit nassen Haaren schneller kälter, was wiederum das Risiko einer Infektion erhöht: „Bei Kälte oder trockener Luft vibrieren die Flimmerhärchen in der Nase nicht mehr. Diese aber brauchen wir, um Viren oder Bakterien zu filtern“, so die Ärztin. „Bleiben die Flimmerhärchen starr, werden die Erreger quasi widerstandslos zum Hals-Nasen-Ohrensystem oder zu den Bronchien durchgelassen.“

Nasse Haare sind kein Auslöser

Prinzipiell also werden Erkältungen oder Grippen durch Viren ausgelöst, die ein geschwächtes Immunsystem nicht mehr abzuwehren vermochte. Diese werden durch engen Kontakt mit Menschen und Gegenständen übertragen oder durch eine Tröpfcheninfektion, zum Beispiel in überhitzten und schlecht gelüfteten Räumen.

Nasse Haare sind demnach nicht der Auslöser einer Erkältung oder eines grippalen Infekts. „Es braucht immer einen Erreger, wie Viren oder Bakterien“, meint auch der Allgemeinarzt aus dem Norden, der wie seine Kollegin aus ethischen Gründen nicht namentlich genannt werden möchte. Dennoch steige bei nassen Haaren das Risiko für eine Erkrankung. Denn: Durch Nässe kühlt der Kopf schneller aus. Infolgedessen werden die Schleimhäute nicht optimal durchblutet.

Für gewöhnlich bieten die Schleimhäute in den Atemwegen mit den Millionen Flimmerhärchen einen guten Schutz vor Krankheitserregern. Bei schlechter Durchblutung aber nimmt der geschwächte Mechanismus Erreger auf. Diese haben fortan freie Bahn und können sich im Körper ausbreiten. Und mit der Erkältungsgefahr steckt auch die Ansteckungsgefahr.

„Im Normalfall ist unser Organismus ständig in Alarmbereitschaft und wappnet sich mit Schutzmechanismen, wie Schleimhäuten in der Nase, gegen Bakterien und Viren. Wer jedoch auf das Föhnen verzichtet und in der Erkältungssaison mit feuchten Haaren rausgeht, setzt das starke Abwehrsystem zusätzlichem Stress aus“, betont der Allgemeinarzt. „Die Energie des Körpers wird anstatt für eine gute Durchblutung der Schleimhäute für das Warmhalten des Kopfes aufgewendet. Tritt dieser Fall ein, ist das Risiko einer Erkrankung mit Grippe oder einer Erkältung deutlich erhöht.“

„Es ist also durchaus komplexer als zunächst angenommen“, meint auch die Kollegin. Den Ärger mancher Eltern, die gerade jetzt Probleme damit haben, dass ihre Kinder wegen der Pandemie nach dem Schulsport nicht zum Föhn greifen dürfen, kann sie dennoch nachvollziehen. Tatsächlich werden Aerosole – also auch die Covid-Erreger – den Experten zufolge beim Föhnen optimal im ganzen Raum verteilt. „Damit steigt also auch das Risiko einer Verbreitung des Virus“, erklärt die Sprecherin des Gesundheitsministeriums.

Das Föhnverbot – und das damit einhergehende Risiko, in der winterlichen Kälte die Verbreitung von Viren und Bakterien im eigenen Körper zu fördern – umgehen Betroffene am besten, indem sie sich „gut einpacken“. „Mütze auf, Schal um und eine gute, warme Jacke“, empfiehlt die Luxemburger Allgemeinärztin. „Und schon kann man auch schnell mal unter freiem Himmel von einem Raum zum nächsten, ohne gleich eine Erkältung zu riskieren.“

Hühnersuppe hui, Sauna pfui

In die Mottenkiste gehört Muttis Ratschlag also nicht. Das gilt aber für andere Erkältungsmythen, wie etwa den Ratschlag, eine Erkältung in einer Sauna herauszuschwitzen oder die Influenza mit Antibiotika im Nu zum Teufel zu schicken. „Alles falsch“, urteilt der junge Mediziner. „Wenn man krank ist, sollte man der Sauna besser fernbleiben. Der Körper ist während einer Erkältung ohnehin geschwächt. Den Schock des Temperaturanstiegs würde er nur schwer verkraften.“

Generell raten Mediziner bei einer Erkältung dringend davon ab, Sport zu treiben. „Der Erkältung sportlich davonlaufen“ sei keine Option: Bei einem grippalen Infekt ist das Immunsystem deutlich geschwächt. Im schlimmsten Fall drohe sogar eine Herzmuskelentzündung.

Auch sollte man eine Erkältung nicht mit einer „echten Grippe“ verwechseln: Letztere, auch Influenza genannt, ist eine durch Viren ausgelöste Infektionskrankheit. Bei einer Erkältung handelt es sich hingegen „nur“ um einen grippalen Infekt, der in der Regel deutlich harmloser verläuft. „Von daher stimmt auch die Aussage nicht, dass eine nicht behandelte Erkältung rasch zu einer richtigen Grippe führen kann“, so der Arzt. „Beide werden durch unterschiedliche Erreger verursacht.“

Falsch ist auch die Annahme, dass man in dem Fall mit Antibiotika im Nu wieder fit wird: Antibiotika wirken nur gegen Bakterien. Erkältungen werden jedoch in der Regel von Viren verursacht. Bis eine Erkältung wieder abgeklungen ist, dauert es mit oder ohne Arzneimittel ungefähr 14 Tage. Nasenspray und Halstabletten lindern die Beschwerden, „heilen“ können auch sie die Erkältung nicht. Es gibt aber auch „Erkältungsmythen“, die durchaus funktionieren, wie trinken: Zwar verschwindet die Erkältung nicht unbedingt schneller, doch werden die Symptome zumindest gelindert. Ob Tee, Hühnersuppe oder heiße Milch mit Honig: Vor allem warme Getränke tun Rachen und Körper gut.

Apropos Hühnersuppe: Sie ist nicht nur ein richtiger Seelentröster, sondern tatsächlich auch ein Gesundmacher: Forschungen belegen, dass Hühnerfleisch und gekochtes Gemüse Inhaltsstoffe enthalten, die eine entzündungshemmende Wirkung haben. Außerdem befeuchte der heiße Dampf die Schleimhäute, sodass das Sekret in Hals und Nase besser abfließt.

Heiße Zitrone hingegen hilft nur noch bedingt: Wenn man erst mal krank ist, kann auch das darin enthaltene Vitamin C kaum noch etwas ausrichten. Dieses hilft vor allem als vorbeugende Maßnahme. Anders als – und das wird nun viele Leser sicherlich freuen – die Wunderwaffe „warmes Bier“: Tatsächlich soll dieser Mythos nicht hundertprozentig falsch sein. Im Gegenteil: Die ätherischen Öle und Bitterstoffe im Hopfen sollen antibakteriell wirken und den Schlaf fördern. Wer sich aber wirklich etwas Gutes tun will, sollte zur alkoholfreien Variante greifen. Das Immunsystem wird’s danken.

Trierweiler
30. Oktober 2020 - 13.50

Ohne Viren oder Bakterien gibt's keine Erkältung, auch nicht klitschnass und splitterfasernackt bei -10 Grad. Auf dem Nord- und Südpol haben sie auch keine Erkältungen, weil nie jemand die Viren mitgebracht hat.