Kontrollierter Wahnsinn – Die vergangene Congés-Annulés-Festivalwoche in der Übersicht

Kontrollierter Wahnsinn – Die vergangene Congés-Annulés-Festivalwoche in der Übersicht

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Alle Jahre wieder gehen auch die Organisatoren der „abgeblasenen Ferien“ in den wohlverdienten Späturlaub. Zeit, am Ende dieses einmonatigen Konzertmarathons eine kurze Bilanz zu ziehen, in der wir den Schwerpunkt auf die verstrichene Woche legen.

Als ich las, dass Mutiny on the Bounty mit Jean Jean im Rahmen der Congés annulés spielen sollten, ärgerte ich mich kurz über meine anstehende Reise und dachte (nur kurz) daran, meinen Urlaub tatsächlich abzusagen.

Denn eines muss man den Rotondes und ihren Congés annulés lassen: Die Verantwortlichen des Programmes verstehen es stets, eine erstaunlich große Auswahl eklektischer und angesagter Bands ins kleine Luxemburg zu bringen und dem kulturell sonst so verschlafenen, unaufgeregten Monat August Leben einzuhauchen.
Dass sich an einigen Abenden die Zuschauer dann relativ mühelos zählen ließen und man oft dieselben Gesichter herumlaufen sah, liegt vielleicht an einer entdeckungsscheuen Bevölkerung („wat de Bauer net kennt“ …), an der großen Anzahl der Verreisten oder daran, dass die Rotondes vielleicht mehr von diesen preiswerten Festivalpässen anbieten könnten, um verstärkt die Neugier für unbekanntere Acts zu entfachen.

Fakt bleibt aber, dass auch dieses Jahr wieder musikalisch Hochkarätiges für relativ dezente Preise angeboten wurde – so konnte man u.a. den wütenden Post-Punk von Protomartyr sowie den beeindruckenden Math-Rock von Jean Jean entdecken.
Im Laufe der letzten Festivalwoche trumpften die Congés annulés dann gleich noch einmal, trotz der bedauernswerten Absage von Japanese Breakfast, mit einem satten Programm: Vom schrägen Synthesizer-Wahnsinn (Ariel Pink) über melancholische Klavierklänge (Gregario) und grungigen, eingängigen IndieRock (Snail Mail) bis hin zum heimlichen Headliner, dem New Yorker Kulttrio mit dem täuschenden Oxymoron im Bandnamen (Blonde Redhead), gab’s eigentlich wenig auszusetzen.

DIY-Ethik und Rhythmusschwächen

Ariel Pink gilt als eine Ikone des DIY – seine Songs vermischen Elemente des Glamrocks und des Post-Punk, über die er schichtenweise Synthies anhäuft und die er manchmal mit einer Spur dadaistischer Exzentrik verziert. Dass der Eindruck einer zusammengeflickten Musik, die zu Hause oder im Tourbus aufgenommen wurde, auf den letzten paar Alben einem klareren Sound gewichen ist, merkt man auch auf der Bühne – hier wird Ariel von einer präzise agierenden Band begleitet.

Bunt zusammengewürfelt sind die Musiker trotzdem – allen voran Don Bolles, der so wirkt, als hätten die zahlreichen bewusstseinserweiternden Substanzen, von denen sein Körper die Spuren trägt, ihn zu einem unermüdlichen Energiebündel gemacht. Nach dem Konzert verkündet Bolles, der wie Ariel Pinks älterer, dekadenter Sidekick aussieht, die Band würde noch bis 2 Uhr in der Nacht in Luxemburg bleiben und beginnt spontan ein DJ-Set.
Dass er sich dieses nachher aber bezahlen lassen wollte, zeugt von mehr Raffinesse, als man dem abgewrackten Keith-Richards-Verschnitt zugetraut hätte. Musikalisch gesehen spielen Pink und Konsorten vor allem Auszüge aus dem rezenten „Dedicated to Bobby Jameson“: Synthiepophymnen treffen auf stoischen Post-Punk und sperrige Exzentrik, manchmal sogar im Laufe eines einzigen Songs.

Gregario ist das neue Projekt von David André, den man noch von den tollen Mount Stealth kennt – neben Mutiny on the Bounty die andere ausgezeichnete Math-Rock-Band aus Luxemburg. Gregario taucht uns in eine Welt melancholischer, effektgetränkter Klavierklänge. Seine Kompositionen wirken wahlweise wie die eines experimentelleren Yann Thiersen oder eines weniger komplexeren Nils Frahm, sie erinnern auch teilweise an die klavierlastigeren Momente des Soloprojekts von Paul Wolinski (Gitarrist und Pianist bei 65daysofstatic).

Leider vermisst man in der Ausführung noch etwas diese Präzision, die gerade im Math-Rock doch so wichtig ist: André wirkt während seines Auftritts aufgeregt, verspielt sich zu oft und kann den selbst eingespielten Loops nicht immer folgen – hat man keine Band, deren rhythmisches Gerüst einen immer wieder auffängt, kann dies für den Song fatal werden. Schade, da die Kompositionen an sich von einem interessanten Projekt zeugen.

Keine Alterserscheinungen

Trotz des jungen Alters wirkten Snail Mail zwei Tage darauf selbstsicherer: Der leicht nölige, näselnde Gesang der gerade mal 19-jährigen Lindsey Jordan ist genauso gewöhnungsbedürftig wie er fasziniert. Letztlich passt diese Stimme – quasi das weibliche Gegenstück zu Alec Ounsworth von Clap Your Hands Say Yeah – ausgezeichnet zur Musik.
In der Live-Umsetzung lässt sich die Singer-Songwriterin, Gitarristin und Sängerin von einem zusätzlichen Gitarristen, einem Bassisten und einem Schlagzeuger begleiten – das rhythmische Grundgerüst ist ebenso solide wie unauffällig, so dass das Hauptaugenmerk Jordan gelten kann, die so auf Gitarre und Stimme fokussiert ist, dass sie kaum mit dem Publikum redet (sie dankt den Rotondes aber für die einzige saubere Dusche, die sie in ihrer bisherigen Karriere in einer Konzerthalle nehmen konnte). Und trotzdem versteht sie es, Letzteres in diese doch sehr intimen Songs um Teenage Angst, Liebe und eine Welt emotionalen Absterbens hineinzuziehen.

Snail Mails Musik zu umschreiben, gehört zu den schwierigeren Herausforderungen des Musikjournalismus: Oberflächlich gesehen ist das hier lupenreiner Indie-Rock, wie man ihn tausendfach gehört hat. Der Mehrwert liegt in Melodiebögen von Songs wie „Pristine“ und in dieser fast schon leichten Schwermut, mit der Jordan sowohl der Geschichte des Indie-Rocks huldigt als auch ihr Ennui in melancholische Klangwelten umsetzt.

Am frühen Donnerstagnachmittag fiel etwas erwartungsgemäß die Hiobsbotschaft: Das Blonde-Redhead-Konzert war ausverkauft. Unter den happy few, die sich dann das Konzert des Trios, das auf dieser Tournee über 20 Jahre Bandexistenz (und neun Alben) feiert, ansehen durften, verließen aber so einige ab der Hälfte des Konzerts den Saal. Schuld daran war glücklicherweise aber keineswegs die Qualität des Konzerts – bei ausverkauften Gigs wird es in den Rotondes schlicht unverschämt heiß.

Das Best-of-Set von Blonde Redhead bewegte sich zwischen den krachigen, feurigen Anfängen und dem späten, unterkühlteren Schaffen der Band, in dem die gesättigten Gitarren und Sonic-Youth-Vergleiche verstärkt Synthies (siehe „Dripping“) und Flaming-Lips-Reminiszenzen weichen durften. So klingt „Where Your Mind Wants To Go“, einer der gespielten Auszüge von der neuen EP „3 O’Clock“, als hätte der Song auch von Wayne Coyne stammen können.

Was sich im Laufe des sehr homogenen Konzertsets herauskristallisiert, ist, wie sehr auch die poppigeren Tracks der Spätphase, die hier intensiver als auf Platte klingen, das experimentelle stilistische Markenzeichen einer Band tragen, die stets darauf bedacht war, Krach mit tollem Songwriting zu kombinieren.

Das Set, das zwölf Tracks und ein Encore beinhaltete, war zwar kurz, trotzdem wurden mit Songs wie „Failing Man“, „Symphony of Treble“, „Violent Life“, „Dr. Strangeluv“, „Dripping“ und (während der Zugabe) „Misery is a Butterfly“ viele der Klassiker in geschliffenem Klanggewand stürmisch-elegant gespielt. Dass eine Band nach all dieser Zeit sowohl im Durchwühlen des Bandkatalogs als auch durch die paar neuen, durchwegs überzeugenden Tracks noch eine derartige Relevanz aufzeigt, ist definitiv beeindruckend.