Missbrauch von Kindern im NetzIn Luxemburg hat sich die Zahl der Meldungen vervierfacht

Missbrauch von Kindern im Netz / In Luxemburg hat sich die Zahl der Meldungen vervierfacht
Die Direktorin des Kanner-Jugendtelefon, Barbara Gorges-Wagner, zeigt sich im Tageblatt-Interview überrascht über die Zunahme von Meldungen sexuellen Missbrauchs an Kindern und Jugendlichen im Internet Foto: Editpress/Tania Feller

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Innerhalb von zwei Jahren hat sich die Zahl der Meldungen beim Kanner-Jugendtelefon (KJT) über Darstellungen von sexuellem Missbrauch an Kindern im Internet vervierfacht. Das KJT operiert die Bee Secure Stopline. Werden Bilder oder Videos als illegal eingestuft, dann werden sie in der Regel innerhalb von 24 Stunden gelöscht, sagt die Direktorin des KJT, Barbara Gorges-Wagner, gegenüber dem Tageblatt. Das KJT und Bee Secure setzen zum Opferschutz in Luxemburg nun verstärkt auf Täterprophylaxe. Im Rahmen des Safer Internet Day im Februar haben sie eine Tagung organisiert, die unter anderem dieser Frage nachgehen soll.

Tageblatt: Wie viele Meldungen bekommen Sie pro Jahr über Darstellungen von sexuellem Missbrauch an Kindern und Jugendlichen im Internet?

Barbara Gorges-Wagner: Das finde ich schon interessant, wenn ich Ihnen die Zahlen von 2019 im Vergleich zu 2017 zeige. Im vergangenen Jahr hatten wir 3.039 Meldungen, die wir allerdings nicht alle weitergegeben haben. Aber den überwiegenden Teil haben wir an die Polizei weitergeleitet. 2018 hatten wir 2.047 Meldungen und 2017 waren es 750. Das ist schon ein rasanter Anstieg in diesem Bereich. Wir hatten eigentlich gehofft, dass in diesem Jahr die Zahlen wieder runtergehen, aber das ist nicht absehbar. Diese Zahlen beziehen sich nur auf den sexuellen Missbrauch an Kindern und Jugendlichen.

Wie sind diese Zunahmen zu erklären?

Bee Secure ist mittlerweile etabliert. Auch die Stopline ist vielen ein Begriff. Wir kriegen ja Meldungen direkt hier aus Luxemburg auf die Bee Secure Stopline. Wir sind aber auch international verbunden mit anderen Stoplines. Wenn diese sehen, dass hier in Luxemburg bei irgendeinem Provider verdächtiges Material gehostet ist, kriegen wir eine Meldung. Wir schauen uns das an.

Was passiert dann?

Wir geben das Material an die Polizei weiter und setzen es in die internationale Datenbank, sodass das auch bei Interpol ankommt. Nicht alles, was wir gemeldet bekommen, ist auch illegal. Das ist eigentlich unsere Hauptaufgabe. Wir prüfen, ob es nach nationalem Recht legal oder illegal ist. In den europäischen Ländern gilt unterschiedliches Recht. Es gibt verschiedene Altersgrenzen, die festlegen, ob wir uns noch in der Legalität befinden oder nicht.

Wir sind der Meinung, dass sich der Missbrauch am Jugendlichen mit jeder Stunde und jedem Tag, an dem das Bild weiter im Netz ist, fortsetzt

Barbara Gorges-Wagner, Direktorin des Kanner-Jugendtelefon

Werden die Bilder und Videos gelöscht? Wie lange dauert das?

Als Bee Secure Stopline sind wir sehr daran interessiert und das motiviert uns auch, dass die Bilder oder Videos möglichst schnell vom Netz kommen. Wir sind der Meinung, dass sich der Missbrauch am Jugendlichen mit jeder Stunde und jedem Tag, an dem das Bild weiter im Netz ist, fortsetzt. Und wir schaffen das in der Regel, dass wir spätestens innerhalb von drei Tagen auch die Bilder vom Netz haben. Normalerweise befinden wir uns in einem Schnitt von 24 Stunden.

Welche Hindernisse gibt es?

Manchmal ist es ein wenig schwierig. Die Polizei muss sich diese Bilder ganz anders anschauen. Wir sehen uns immer nur den ersten Link an. Meist folgen viele weitere Links. Die Polizei muss sich alle Bilder anschauen. Das braucht natürlich schon unglaubliche personelle Ressourcen. Wenn viele Meldungen gleichzeitig ankommen, dann gerät die zuständige Abteilung an ihre Grenzen.

Der Großteil dieser gemeldeten Bilder ist ja laut ihrem Jahresbericht 2018 auch tatsächlich illegal …

Ja, das gilt auch für 2019. Letztes Jahr haben wir ja 3.039 Meldungen erhalten. Und davon haben wir 2.521 als illegal eingestuft. Einen Teil haben wir weiter zu Inhope (International Association Of Internet Hotlines, Anm. der Red.), einen weiteren Teil an die Polizei geleitet.

Wer stellt denn eigentlich solche Bilder ins Netz?

Wir bieten im Rahmen des Safer Internet Day im Februar eine Tagung für Professionelle an, bei der wir uns diesem Thema annehmen. Dort wird auch die Frage nach dem Täter aufgegriffen. Was sind das für Personen? Es ist ja ein Verbrechen, das da passiert. Ein wichtiges Ziel dieser Tagung ist es, dass ein differenzierter Blick hineinkommt. Es gibt Pädophile, die sagen, ich liebe Kinder und das macht den Kindern nichts. Es gibt Pädosexuelle, die haben noch mal eine andere Motivation. Es gibt auch Pädokriminelle, die ihr Geld mit sexuellem Missbrauch und dem Verkauf von Kindern machen.

In Deutschland gab es in letzter Zeit vermehrt Fälle, wo Väter und Mütter ihre Kinder im Netz angeboten haben. Das ist etwas, das man sich nicht vorstellen mag und kann, aber trotzdem passiert es. Kinder gehen davon aus, dass sie in ihrer Familie geschützt sind. Und gerade dort passiert dann, dass sie auf dem Markt angeboten und verkauft werden.

Im Titel Ihrer Tagung steht folgendes Zitat: „Täterprophylaxe ist Opferschutz“. Was heißt das genau?

Wir haben uns die Frage gestellt, was es hier in Luxemburg eigentlich an Tätertherapien gibt. Was ist, wenn jemand hier auffällig geworden ist und verurteilt wird? Welchen Weg muss er dann gehen? Wie wird kontrolliert, ob er sich verändert hat und ob er nicht nochmal auffällig wird?

Das andere ist, dass es interessante Projekte gibt, wie beispielsweise in Berlin, wo Menschen, die das Gefühl haben, dass sie pädophile Neigungen haben, vorbeugend Hilfe in Anspruch nehmen können. Wenn der therapeutische Bereich gut funktioniert und Kontrolle gegeben ist, dann ist dies natürlich auch ein guter Schutz für die Opfer. Bei Tätern im Bereich der Pädophilie gibt es allerdings keine sehr großen Erfolge. Deshalb muss ein besonderes Kontrollsystem entwickelt werden.

Meines Wissens wird hier nicht viel kontrolliert. Jemand, der wegen Pädophilie im Gefängnis sitzt und Therapieauflagen hat, wird nicht kontrolliert, ob er in den Sitzungen über Weinberge oder über seine pädophilen Neigungen spricht.

Barbara Gorges-Wagner, Direktorin Kanner-Jugendtelefon

Wie sieht es in diesem Bereich in Luxemburg aus?

Da bin ich gespannt drauf. Wir haben zum Safer Internet Day verschiedene Stellen, die in diesem Kontext arbeiten, eingeladen, Vorträge zu halten. Zum Beispiel Simone Flammang. Sie ist Erste Generalanwältin in Luxemburg und wird einen Blick auf die Gesetzeslage hierzulande werfen. Meines Wissens wird hier nicht viel kontrolliert. Jemand, der wegen Pädophilie im Gefängnis sitzt und Therapieauflagen hat, wird nicht kontrolliert, ob er in den Sitzungen über Weinberge oder über seine pädophilen Neigungen spricht.

Irgendwann hat es angefangen, dass wir bei der Stopline sehr viele Meldungen bekommen haben. Da waren auch Bilder dabei, die wir so noch nicht gesehen hatten. Bilder, wo Säuglinge und Kinder missbraucht wurden. Das kann man gar nicht beschreiben. Ein wichtiges Ziel der Fachtagung wird sein, diese Taten zu ächten und zu schauen, wie kann man aber respektvoll mit dem Täter umgehen kann. Das heißt, dass er wirklich auch die Hilfe bekommen soll, die ihn zu einer anderen Haltung bewegt. Dadurch sollen Straftaten verhindert werden.

Sie meinen, dass man mit dem Täter sozusagen kooperiert, damit er einsieht und einlenkt?

Ich denke, da ist es wichtig, genau zu differenzieren, welche Tätertypen es gibt. Die Grundhaltung des KJT ist es, dass man nicht den ganzen Menschen diskreditiert, sondern nur seine Tat. Natürlich ist es kein Kavaliersdelikt, sich an einem Kind zu vergreifen. In den Köpfen von Pädophilen kann das anders sein. Sie sagen „wir lieben Kinder“ oder „das tut den Kindern nichts“. Aber genau da müssen wir „Stopp“ sagen. Dieses Weltbild geht gar nicht.

Was bedeutet es für ein Kind, wenn intime Bilder über es im Netz zirkulieren?

Hinter jedem Bild, hinter jedem Video stehen ja konkrete Kinder, die missbraucht wurden. Ein Missbrauch in der frühen Kindheit – natürlich auch später – hat gravierende traumatische Folgen. Je früher der Missbrauch ist, desto gravierender sind die traumatischen Folgen. Die Betroffenen leiden dann ein ganzes Leben darunter. Das sind Vertrauensbrüche, die da passieren. Es ist ein Bruch zu der Erwachsenenwelt.

KJT und Bee Secure

Das Kanner-Jugendtelefon (KJT) ist eine nationale Helpline für Kinder und Jugendliche. Wenn es Schwierigkeiten gibt, können Kinder und Jugendliche das KJT kontaktieren: telefonisch über die 11 61 11 oder online auf kjt.lu. Die Themen, mit denen sich das KJT befasst, sind sehr vielfältig: Konflikte mit den Eltern, Freunden oder Geschwistern; Mobbing und Cybermobbing; Sexting; psychischer Druck; Einsamkeit; Depression; suizidale Gedanken; selbstverletzendes Verhalten; mangelndes Selbstvertrauen oder Selbstwertgefühl; Sucht; Missbrauch oder Gewalt. Die Anonymität wird stets gewährleistet.
Daneben gibt es auch ein Elterntelefon, wo Erziehungsberechtigte eine Beratung erhalten können. Das KJT wird getragen von Caritas, Croix-Rouge, Kannerschlass und Ligue médico-sociale und hat eine Konvention mit dem Bildungsministerium. In Zusammenarbeit mit Bee Secure betreibt das KJT sowohl die Bee Secure Stopline unter der Nummer 8002 1234 (Beratung und Orientierung zur sicheren Nutzung der neuen Medien) als auch die Bee Secure Stopline auf stopline.bee-secure.lu (Meldung illegaler Inhalte im Internet).

Fachtag am Safer Internet Day

Im Rahmen des Safer Internet Day hat das KJT am 11. Februar 2020 einen Fachtag, der sich ausschließlich an Professionelle richtet, organisiert: „Sexueller Missbrauch an Kindern: Täterprophylaxe ist Opferschutz – Wie sieht es in diesem Bereich in Luxemburg aus?“ Folgende Themen werden dort vorgetragen: „Therapie mit sexuell grenzüberschreitenden Jugendlichen“ (Referent: Jan Kossack von der „Erzéiungs- a Familljeberodung“), „Gewalt in Beziehungen“ (Laurence Bouquet von „Riicht eraus“), „Sexueller Missbrauch an Kindern und Jugendlichen im Internet“ (Sally Stephany von Bee Secure Stopline), „Gesetzeslage in Luxemburg: Welche Straftaten gibt es im Bereich des sexuellen Missbrauchs, wie sieht die Strafverfolgung (Ermittlung, Prozess, Strafe) aus? (Simone Flammang, Erste Generalanwältin am „Parquet général de Luxembourg“), „Taten, Tabus, Tacheles: Dynamik und Struktur der Täter“ und „Prophylaxe als Opferschutz: Austausch“ (Dr. Ulrich Kobbé, Rechtspsychologe und Psychotherapeut). Ein weiterer Referent ist René Schlechter, Ombudsmann für die Rechte der Kinder.

Barbara Gorges-Wagner, Direktorin vom KJT
Barbara Gorges-Wagner, Direktorin vom KJT Foto: Editpress/Tania Feller

J.Scholer
11. Januar 2020 - 8.23

Interessant zu wissen , wie das von Modernität ,gepredigter Toleranz und Offenheit geprägte Luxemburg, solche Fakten gerne verschweigt. Dass solche heiße Eisen der Öffentlichkeit gerne vorenthalten werden , andere schlagkräftige , der Politik nützliche Themen gerne instrumentalisiert werden, müsste dem letzten Hinterwäldler auch in unserem Ländchen bekannt sein. Nun müsste die verantwortliche Politik, religiöse Instutitionen, die Wissenschaft und Wirtschaft langsam dem Gedankenfluss hingeben, warum unsere Gesellschaft soviel kranke Hirne erschafft die mit ihren abartigen, sadistischen, masochistischen Ideen immer mehr zum Tagesgeschehen in den Medien werden, schon zur Normalität unserer modernen Welt gehören. Das humanistische Gedankengut wird in unseren Breiten immer wieder gerne hervorgehoben, leider ist dies nur Makulatur und Selbstbetrug einer Gesellschaft , die Luxus, Konsum, Wirtschaftswachstum und Eigeninteressen auf ihre Fahnen geschrieben hat.