Kayl-Tetingen„Ich war völlig überrascht“: Ein Gespräch mit Noch-Bürgermeister John Lorent über den Verlust der Mehrheit

Kayl-Tetingen / „Ich war völlig überrascht“: Ein Gespräch mit Noch-Bürgermeister John Lorent über den Verlust der Mehrheit
 Foto: Lucien Montebrusco

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Vor einem Jahr hatte der langjährige Schöffe Marcel Humbert (LSAP) seinen Rücktritt als Schöffe der Gemeinde Kayl angekündigt. Auf Druck seiner Partei, wie er stets betont. Seitdem ist er Gemeinderatsmitglied. Zusammen mit der CSV- und DP-Opposition verweigerte er am 16. Dezember dem LSAP-„déi gréng“-Schöffenrat seine Zustimmung zum rektifizierten Budget und zum Haushaltsentwurf 2022 und unterstützte einen Misstrauensantrag, der wohl am 5. Januar 2022 zur Abstimmung vorliegen wird. Damit kippten die Mehrheitsverhältnisse. Ebenfalls am 16. Dezember erklärte Bürgermeister John Lorent seinen seit längerem angekündigten Rücktritt. Der Gemeinde steht ein Machtwechsel bevor. Ein Gespräch mit John Lorent, Noch-Bürgermeister bis zur Vereidigung seines Nachfolgers.

Tageblatt: Ihre Rücktrittserklärung am vergangenen Donnerstag wurde vom Misstrauensantrag gegen den Schöffenrat überschattet. Hatten Sie mit derlei Entwicklung gerechnet?

John Lorent: Ganz und gar nicht. Marcel Humbert war krank. Wir haben ihn monatelang mit durchgenommen. Ich und danach Astrid Belleville (LSAP) hatten seine Vollmacht für Abstimmungen. Weil er krank war, konnte er auch nicht an den Fraktionssitzungen teilnehmen. Und dann muss ich davon ausgehen, dass einer, der nicht anwesend ist, damit sagt, er habe keine Einwände. Und zweitens kann man erwarten, dass jemand, der gegen die Haushaltsvorlage stimmen will, zuerst das Wort ergreift, um seine Entscheidung zu erklären. Das geschah nicht. Daher war ich völlig überrascht, dass es zum Bruch gekommen ist.

Dabei hatte der Betroffene nach seiner Demission vor einem Jahr seine Revanche angekündigt …

Welche Revanche? Indem er sein ganzes Lebenswerk, sein ganzes politisches Engagement über Jahrzehnte auf der Linken in Frage stellt? Abgesehen davon, ist Revanchenehmen kein guter Charakterzug. Die Vorgeschichte ist, dass ich vor den letzten Wahlen gesagt habe, ich würde nicht mehr mitgehen, und dass meine Partei mich bekniet hat, um nochmals anzutreten. Was ich auch tat, mit der erklärten Absicht, die Partei zu regenerieren, um jungen Menschen Platz zu machen, damit man sich neu aufstellen, neue Gesichter bringen könne, um den Fortbestand der Partei zu gewährleisten. Und Marcel war ein Teil davon. Ich befand mich nicht in der Logik, dass ich mit 63 Jahren meinen Rücktritt einreiche, um Marcel mit seinen 73 Jahren Platz zu machen. Selbstverständlich war es auch, wenn ich sagte, Marcel werde als Erster gehen. X-mal haben wir in der Fraktion darüber geredet, damit das Ganze in geordneten Bahnen ablaufen würde. Es war auch mit ihm abgemacht, dass er zurücktreten würde. Es gibt Parteiberichte dazu. Und Unterschriften. Bis zu seiner Demission aus dem Schöffenrat vor einem Jahr verlief auch alles in geordneten Bahnen. Eigentlich wollte ich bereits im Sommer aufhören, dann aber wurde Marcel krank. Und im Herbst dann sagte man, mach noch das nächste Budget … (lacht).

Seit 2005 Bürgermeister, seit 1988 Gemeinderat – eine lange Zeit. Höhepunkte dieses langen kommunalpolitischen Engagements?

Als ich 1988 dazustieß, hatten wir eine ganz andere Zeit. Da hatten wir noch Parteisektionen in Tetingen und in Kayl. Um beide auf eine Linie zu bekommen, hatten wir einen Delegiertenrat bestehend aus Mitgliedern beider Sektionen. Ich bin eigentlich der Autor der Fusion beider Sektionen. Die Tetinger Sektion war 1903 gegründet worden, die Kayler 1918. Kayl war immer ein schwierigeres Terrain für die Sozialisten. Damals saßen wir noch mit den Kommunisten im Schöffenrat. 1989 fiel die Mauer. Das hatte auch hier Folgen: Die KP verlor 1993 ihren Sitz und wir landeten in der Opposition.

Die Gemeinde Kayl hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert …

Die Dörfer Kayl und Tetingen sahen 1988 ganz anders aus. In der Großstraße und in der Handelsstraße etwa gab es noch Misthaufen vor der Tür. Wir haben uns in den vergangenen 33 Jahren zu einer richtigen modernen Gemeinde entwickelt, mit allen Dienstleistungen. Das ist nicht mein Verdienst allein, sondern all jener Menschen, die mitgewirkt haben.

Während meiner Mandatsperiode entstand der Park Wilhelm in Tetingen. Das Zentrum Tetingen ist sehr schön geworden. Dann der Park „Ouerbett“ in Kayl. Dass man heute vom Park „Ouerbett“ zu Fuß bis nach Tetingen gehen kann, ist großartig. Jeder städteplanerisches Büro sagt, wir hätten eine einmalige Chance, dass man außerhalb der Straßenachse N33 und der CR 166 durch eine grüne Oase den Kaylbach entlang durch die ganze Ortschaft gehen kann. Weitere große Projekte sind das Datazentrum der Post an der Nörtzinger Straße, die Instandsetzung der „Schungfabrik“ und schließlich das neue Museum Ferrum mitsamt Galerie. Daneben haben wir SEA und Schule gebaut und renoviert, was aber mittlerweile zum A und O einer jeden Gemeinde gehört. Wenn ich gedanklich von der Industriebrache in Tetingen bis zum Ende der Nörtzinger Straße gehe, stelle ich fest, dass es eigentlich keinen Platz gibt, der in den letzten fünfzehn Jahren unberührt blieb. Natürlich kann man uns den Bau großer Appartmentshäuser vorwerfen. Aber dabei handelt es sich um Nachverdichtung. Zumal die Regierung uns Wachstum nahelegt. Nicht immer wurde die alte Bausubstanz erhalten, aber diese Flächen waren im PAG als bebaubar ausgewiesen. Einerseits kann man sich über Neubauten beklagen, andererseits aber müssen Wohnungen für die Menschen geschaffen werden, die zu uns kommen und bei uns arbeiten wollen.

Wie hat sich die Gemeinde in Ihren Augen zum Guten, aber auch zum Schlechten entwickelt?

Das Gute ist, dass wir alle Dienste anbieten können. Wir haben zum Beispiel eine „Maison médicale“. Wir leben in einem Ballungsgebiet. Die Menschen sind aber noch immer der Ansicht, ihnen stünde eine Lebensqualität zu wie im Dorf. Gleichzeitig haben wir ein schönes Hinterland.

Mit den Jahren sind auch die Anforderungen an die Gemeindepolitiker gestiegen. Über welche Fähigkeiten muss ein guter Lokalpolitiker heute verfügen?

Es ist schon extrem viel verlangt, wenn man nicht bloß Hampelmann einer Verwaltung sein will. Als ich begann, hatten wir 107 Mitarbeiter, heute sind es 251. Wir sind ein mittelständisches Unternehmen mit vielen administrativen und technischen Kompetenzen. Wir haben in der Zwischenzeit eine Personalabteilung mit vier Personen. Die Anforderungen sind gewachsen. Und es kann keiner hier sitzen, der kein Französisch kann. Man muss wissen, was im „Journal officiel“ steht, andernfalls kann man nicht mitdiskutieren. Man muss zumindest wissen, wo was steht und wo man es suchen kann.

Bedarf es denn heute mindestens eines höheren Sekundarschulabschlusses oder sogar einer Hochschulbildung, um Kommunalpolitiker zu werden? Früher schafften es beispielsweise Arbeiter und kleine Beamte in kommunalpolitische Ämter.

Man muss intelligent sein und Engagement haben. Das kann auch ein Mitarbeiter eines Industriebetriebes sein. Die Gemeinde ist ein Apparat geworden, und um diesen zu lenken, bedarf es einiger Kompetenzen.

Es reicht also nicht mehr, nur auf Generalversammlungen und Wiesenfeste zu gehen?

Auch das ist wichtig. Aber das reicht heute nicht mehr.

Ratschläge an Ihren Nachfolger?

Der neue Bürgermeister bekommt es einfacher, wenn er Leute um sich hat, die für die Sache einstehen, insbesondere von politischer Seite.