GeschichteHitlers Botschaft vom 24. Februar 1942: Die „Ausrottung des Juden“ als Endziel des Krieges

Geschichte / Hitlers Botschaft vom 24. Februar 1942: Die „Ausrottung des Juden“ als Endziel des Krieges
Der braune Führer schaut auf seine aufgegangene braune Saat (Foto: Heinrich Hoffmann, 1933) © United States Holocaust Memorial Museum

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Dieser Beitrag soll zeigen, dass Hitler und später der nationalsozialistische deutsche Staat (NS-Staat) „den Juden“ zum Erzfeind nicht nur des deutschen Volkes, sondern der gesamten Menschheit konstruierte, den es zu bekämpfen und „unverrückbar“ zu entfernen galt. „Entfernung“ bekam nach Kriegsbeginn zunehmend die Bedeutung „Massenmord“ und ab 1942 „Ausrottung“ oder Genozid.

Am 24. Februar 1942 sandte Hitler von der Ostfront eine Botschaft an die Organisatoren des 22. Jahrestages der Gründung der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP). Hitler bedauerte, dass er seit vielen Jahren zum ersten Mal wegen des Russlandfeldzugs nicht persönlich an der Feier im Münchner Hofbräuhaus teilnehmen konnte. In dieser Botschaft gebrauchte Hitler zum ersten Mal für die „Vernichtung“ der Juden das schärfere Wort „ausrotten“.1

In den Tagen danach wurde Hitlers Botschaft massiv über die deutschsprachige Presse im Deutschen Reich und in den eroberten Gebieten in Umlauf gebracht und wurde auch in Luxemburg in den zensierten Zeitungen Luxemburger Wort (LW) und Escher Tageblatt (ET) am 25. Februar 1942 auf der Titelseite und der Seite 2 vollständig abgedruckt.2

Auch in der französischen Presse wurde die Botschaft massiv verbreitet. Der französische Holocaust-Forscher Gilles Karmasyn hat mehr als 30 französische Zeitungen ausfindig gemacht, die entweder den integralen Text oder Teile daraus reproduzierten. Karmasyn stellt fest, dass ab Ende Februar 1942, noch vor der Abfahrt des ersten Deportationstransportes von Juden aus Frankreich3, niemand in Frankreich in Unwissenheit darüber sein konnte, dass den an Hitler ausgelieferten Juden, die nach Osten transportiert wurden, der Tod bevorstand.4

Nach der streng geheim gehaltenen Wannsee-Konferenz5, auf der hohe Staats- und SS-Vertreter um den Chef der Sicherheitspolizei und des SD, Reinhard Heydrich, die „Endlösung der europäischen Judenfrage“ formalisiert hatten, posaunte Hitler einen Monat später in die ganze Welt hinaus, dass „der Jude ausgerottet werden wird“.6 Deutsche Pressagenturen sorgten dafür, dass die Botschaft auch ihren Eingang in die englischsprachige Presse fand.7

Der die Juden betreffende Teil der Botschaft wurde von zahlreichen Presseorganen aufgegriffen und besonders hervorgehoben. So titelte beispielsweise die erste Tageszeitung Frankreichs während der Besatzungszeit, der Paris-soir, am 26. Februar 1942: „Cette guerre n’anéantira pas l’humanité aryenne mais l’élément juif“, Untertitel: „Des préparatifs sont en cours en vue du règlement de compte définitif“. (s. Abb.)

Auf der Titelseite des Paris-soir wird Hitlers Botschaft vom 24.2.1942 angekündigt und auf S. 8 reproduziert. Die Betonung liegt auf der „Ausrottung“ der Juden.
Auf der Titelseite des Paris-soir wird Hitlers Botschaft vom 24.2.1942 angekündigt und auf S. 8 reproduziert. Die Betonung liegt auf der „Ausrottung“ der Juden. Foto: Bibliothèque nationale de France

„Ausrottung“ angekündigt

Wenn in den Untertiteln nicht direkt die Vernichtung der Juden erwähnt wurde, dann war die Rede von „endgültiger Abrechnung“, wie beispielsweise in der in Wien erscheinenden Zeitung Neues Wiener Tageblatt8. Dort hieß es im Untertitel: „Die Vorbereitungen zur endgültigen Abrechnung werden getroffen.“ Um diese Wortwahl „endgültige Abrechnung“ besser zu verstehen, muss man sich den genauen Wortlaut des betreffenden Abschnitts der Botschaft anschauen. Hitler schrieb:

„So wie im Inneren unseres Landes vor, während und nach dem ersten Weltkriege, so sind auch heute nur Juden und immer wieder Juden, die für die Völkerentzweiung verantwortlich gemacht werden müssen. Ein Unterschied besteht aber, wenn wir den heutigen Weltkampf mit dem Ende des Krieges der Jahre 1914-18 vergleichen. 1919 waren wir Nationalsozialisten ein kleines Häufchen Bekenner, die den internationalen Feind der Menschheit nicht nur sahen, sondern auch bekämpften. Heute haben die Gedanken unserer nationalsozialistischen und der faschistischen Revolution große und gewaltige Staaten erobert und meine Prophezeiung wird ihre Erfüllung finden, dass durch diesen Krieg nicht die arische Menschheit vernichtet, sondern der Jude ausgerottet werden wird. Was immer auch der Kampf mit sich bringen oder wie lange er dauern mag, dies wird sein endgültiges Ergebnis sein. Und dann erst, nach der Beseitigung dieser Parasiten, wird über die leidende Welt eine lange Zeit der Völkerverständigung und damit des wahren Friedens kommen.“9

Dieses unverblümte öffentliche Bekenntnis zu dem seit Kriegsanfang angekündigten und nun in der Vollziehung begriffenen Völkermord an den Juden Europas, bis dato mit Tarnbegriffen wie „Endlösung der Judenfrage“ oder „Entfernung der Juden“ oder „Evakuierung der Juden nach dem Osten“ bezeichnet, führte offensichtlich weder in den besetzten Ländern, noch in der freien Welt zu Empörung und Aufständen in der Bevölkerung. Nachdem beispielsweise die New York Times bereits am 25. Februar 1942 Hitlers Botschaft integral abgedruckt hatte, kam die Zeitung am nächsten Tag noch einmal in einer kurzen Spalte auf Seite 18 darauf zurück. Hier war nun die Rede von Hitlers „Obsessionen“, die ihn immer noch verfolgen würden und von denen ein guter Psychiater ihn vielleicht befreien könnte.10

Allerdings konnten die Leser der New York Times bereits vier Monate später in Erfahrung bringen, dass Hitlers „Obsessionen“ tatkräftig umgesetzt wurden. In der Ausgabe vom 30. Juni 1942 war auf Seite 7 eine Spalte übertitelt: „1,000,000 Jews slain by Nazis“. Im Untertitel erfahren die Leser, dass Hitlers „Schlachthaus“ Europa in London beschrieben worden sei. Die Deutschen hätten seit Kriegsbeginn in Ausführung der von „Adolf Hitler proklamierten Politik, die Menschen auszurotten“ (engl.: „exterminating the people“), bereits mehr als eine Million Juden ermordet.11

„Rassentuberkulose der Völker“

Dass auch vor Februar 1942 Hitler in mehreren öffentlichen Auftritten die Vernichtung der Juden angekündigt hatte, ist historisch belegt. Die „Prophezeiung“, die er in seiner Botschaft vom 24. Februar 1942 erwähnte, sprach er anlässlich einer Jubiläumsrede zur Machtergreifung am 30. Januar 1939 aus. Er prophezeite:

„Wenn es dem internationalen Finanzjudentum in und außerhalb Europas gelingen sollte, die Völker noch einmal in einen Weltkrieg zu stürzen, dann wird das Ergebnis nicht die Bolschewisierung der Erde und damit der Sieg des Judentums sein, sondern die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa.“

Das war nachweislich das erste Mal, dass Hitler in einer öffentlichen Rede von „Vernichtung“ sprach. Ging es nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten zunächst darum, die Juden aus dem Deutschen Reich durch forcierte Emigration „aus dem Lebensraum des deutschen Volkes“ zurückzudrängen, wie es im Wannsee-Protokoll hieß12, so nahm mit Kriegsanfang der ursprüngliche Begriff „Entfernung“ immer mehr die Bedeutung „Vernichtung“ an. Nach der Wannsee-Konferenz ging es dann um „Ausrottung“.

Ungarische Juden nach der Ankunft im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. SS-Lagerärzte nahmen die Selektion vor. Wenn der Zeigefinger des Arztes nach links zeigte, bedeutete es die sofortige Ermordung in einer Gaskammer, nach rechts, die Einweisung ins Lager für Zwangsarbeit (Foto: Bernhard Walter/Ernst Hofmann, Mai 1944).
Ungarische Juden nach der Ankunft im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. SS-Lagerärzte nahmen die Selektion vor. Wenn der Zeigefinger des Arztes nach links zeigte, bedeutete es die sofortige Ermordung in einer Gaskammer, nach rechts, die Einweisung ins Lager für Zwangsarbeit (Foto: Bernhard Walter/Ernst Hofmann, Mai 1944). Foto: United States Holocaust Memorial Museum, Courtesy of Yad Vashem

Der Wortlaut von Hitlers Rede vom 30. Januar 1939 war auch damals vom Propagandaministerium nicht nur an die deutsche, sondern auch an die internationale Presse als „große Rede Hitlers“ verteilt worden. So berichtete das Luxemburger Wort am 31. Januar 1939 sogar auf drei Seiten ausführlich über die Rede. Die oben erwähnte Prophezeiung wurde unter dem Zwischentitel „Judenfrage“ extra hervorgehoben.13 Im Escher Tageblatt hingegen erschien unter dem Titel „Er hat gesprochen“ am 31. Januar 1939 nur ein kurzer Artikel über die Rede. Auf die Judenpassage war verzichtet worden. Allerdings kam die Redaktion noch einmal am 1. Februar 1939 in einer Spalte mit dem Titel „Kleine Arabesken zur Führerrede“ zurück. Die Prophezeiung wurde auch diesmal nicht aufgegriffen, sondern Hitlers Satz über die Juden, „Sie besaßen nichts als ansteckende politische und sanitäre Krankheiten“, ins Absurde geführt. Es wird nämlich auf sechs jüdische Wissenschaftler verwiesen, denen zwischen 1908 und 1931 der Nobelpreis für Medizin verliehen wurde und angemerkt: […] „man müsste diese ganze Seite vollschreiben, wollte man die Leistungen von Juden gerade auf dem medizinischen Gebiete festhalten“.14

Wie ein roter Faden zieht sich Hitlers Besessenheit mit der sogenannten „Judenfrage“ und der Idee, es könne erst Frieden unter den Völkern geben, wenn alle Völker diese „gefährliche“ Minderheit aus ihrem „Volkskörper“ entfernt hätten, durch seine ganze politische Laufbahn. Bereits bevor er überhaupt irgendeine politische Rolle spielte, war er von diesem irrsinnigen Gedanken erfüllt. So betitelte er in einem privaten Brief vom 16. September 1919, der erhalten geblieben ist, die Juden als „Rassentuberkulose der Völker“.15 Bereits zu diesem Zeitpunkt, also vor der Gründung der Nazi-Partei NSDAP, schrieb Hitler, das letzte Ziel des Antisemitismus müsse „unverrückbar die Entfernung der Juden überhaupt sein“.16 In seinem politischen Testament, das er einen Tag vor seinem Suizid, am 29. April 1945, seiner Sekretärin Traudl Junge im „Führerbunker“ in Berlin diktierte und um 4.00 Uhr unterzeichnete, bekräftigte Hitler nochmals im letzten Satz seine Besessenheit mit den Juden, indem er schreibt: „Vor allem verpflichte ich die Führung der Nation und die Gefolgschaft zur peinlichen Einhaltung der Rassegesetze und zum unbarmherzigen Widerstand gegen den Weltvergifter aller Völker, das internationale Judentum.“ Das letzte Wort in der letzten Quelle, die er hinterließ: „Judentum“.17

Erfundener Erzfeind

In seiner in den Jahren 1925 und 1926 in zwei Bänden erschienenen Hassschrift „Mein Kampf“, die zur „Bibel“ der Nationalsozialisten werden sollte, untermauerte Hitler auf unzähligen Seiten seine These vom „Juden als Feind der Menschheit“, wie z.B. im folgenden Abschnitt:

„Er (der Jude, Anm. d. V.) geht seinen Weg, den Weg des Einschleichens in die Völker und des inneren Aushöhlens derselben, und er kämpft mit seinen Waffen, mit Lüge und Verleumdung, Vergiftung und Zersetzung, den Kampf steigernd bis zur blutigen Ausrottung der ihm verhassten Gegner. Im russischen Bolschewismus haben wir den im zwanzigsten Jahrhundert unternommenen Versuch des Judentums zu erblicken, sich die Weltherrschaft anzueignen.“18

Dass dieser erfundene Erzfeind letztlich nur mit Gewalt beseitigt werden könne, schien Hitler auch in den 1920er-Jahren bereits gedacht zu haben. So schrieb er in Band 2 von „Mein Kampf“:

Ein deutsches Mordkommando erschießt sowjetische Zivilisten, Sommer 1941. Fotograf unbekannt.
Ein deutsches Mordkommando erschießt sowjetische Zivilisten, Sommer 1941. Fotograf unbekannt. Foto: United States Holocaust Memorial Museum

„Nicht Fürsten und fürstliche Mätressen schachern und feilschen um Staatsgrenzen, sondern der unerbittliche Weltjude kämpft für seine Herrschaft über die Völker. Kein Volk entfernt diese Faust anders von seiner Gurgel als durch das Schwert. Nur die gesammelte, konzentrierte Stärke einer kraftvoll sich aufbäumenden nationalen Leidenschaft vermag der internationalen Völkerversklavung zu trotzen. Ein solcher Vorgang ist und bleibt aber ein blutiger.“19

Der von vielen Intellektuellen, und wie wir oben gesehen haben, von der freien Auslandspresse noch bis Anfang 1942 als Spinnereien oder Obsessionen heruntergespielte Judenhass Hitlers hatte allerdings in Deutschland selbst sofort nach seiner Machtergreifung konkrete Formen angenommen. Für ihn war unveränderlich klar, dass der Feind, den es in erster Linie zu beseitigen galt, „der Jude“ war. Darunter wurden allerdings lange der völlige Ausschluss der Juden aus der Mehrheitsgesellschaft, die graduelle Entrechtung und Enteignung sowie der Druck zur Emigration verstanden. Nach Kriegsbeginn entwickelte sich allmählich in der Staatspropaganda die Behauptung, der Hauptkriegsfeind sei „der Jude“.

Der Historiker Peter Longerich schreibt dazu: „Das NS-Regime war […] seit Sommer 1941 immer mehr dazu entschlossen, den Krieg als ‘Krieg gegen die Juden‘ zu führen“. Und weiter: „Die deutschen und europäischen Juden sollten als Feinde, als Hintermänner und Agenten der Feindkoalition behandelt werden, die es zu beseitigen galt. Dieses absurde Szenario war das Ergebnis der verqueren nationalsozialistischen Wahrnehmung einer von den Juden beherrschten Welt.“20

Am 31.7.1941 beauftragte Reichsmarschall Göring den Chef der Sicherheitspolizei und des SD, Heydrich, mit der Aufgabe, eine „Gesamtlösung der Judenfrage im deutschen Einflussgebiet in Europa“ zu finden, also die Shoah zu planen. Der in Nürnberg zum Tode verurteilte Massenmörder Göring schaffte es, sich zwei Stunden vor seiner Hinrichtung am 16.10.1946 das Leben zu nehmen. Fotograf unbekannt.
Am 31.7.1941 beauftragte Reichsmarschall Göring den Chef der Sicherheitspolizei und des SD, Heydrich, mit der Aufgabe, eine „Gesamtlösung der Judenfrage im deutschen Einflussgebiet in Europa“ zu finden, also die Shoah zu planen. Der in Nürnberg zum Tode verurteilte Massenmörder Göring schaffte es, sich zwei Stunden vor seiner Hinrichtung am 16.10.1946 das Leben zu nehmen. Fotograf unbekannt. Foto: © United States Holocaust Memorial Museum

Maßgeblich für die Verbreitung dieser Verschwörungstheorie zuständig war Hitlers treu ergebener Propagandaminister, Joseph Goebbels. So griff dieser beispielsweise am 16. November 1941 in der Wochenzeitung Das Reich in einem „an blindwütigem Hass nicht mehr zu überbietenden Aufsatz“ unter dem Titel „Die Juden sind schuld“ die These auf und schrieb: „Wir erleben gerade den Vollzug dieser Prophezeiung (also, „die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa“, Anm. d. V.) und es erfüllt sich am Judentum ein Schicksal, das zwar hart, aber mehr als verdient ist. Mitleid oder gar Bedauern ist da gänzlich unangebracht.“21

Der gewählte Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels ist in mehrerer Hinsicht interessant. Zum einen erfolgte sie vor dem Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg22, was bedeutet, dass für das NS-Regime Hitlers Prophezeiung zur Judenvernichtung bereits als vollzogen galt, bevor der Krieg zu einem Weltkrieg wurde. Zum anderen erschien Goebbels’ Artikel zu einem Zeitpunkt, als bereits die Deportationen von Westen nach Osten begonnen hatten und kurz nachdem der sogenannte Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei, Heinrich Himmler, die Emigration von Juden formell untersagt hatte.23 Die Juden saßen nun in der Falle und das Schicksal, von dem Goebbels schrieb, war, wie wir heute wissen, tatsächlich die systematische Vernichtung durch den NS-Staat.

Genau genommen war also die Wannsee-Konferenz nur noch eine reine Formalität, was die sogenannte „Endlösung der europäischen Judenfrage“ anbelangte. Heute weiß man allerdings, dass Heydrich durch diese Konferenz seine „Federführung“ bei der „Endlösung der Judenfrage“ gegenüber den Reichsministerien und sonstigen Reichsstellen herausstreichen und ihre Implikation bei diesem Verbrechen auch schriftlich festhalten wollte.

Rassenkrieg

Während im rückwärtigen Heeresgebiet im besetzten Teil der Sowjetunion seit Beginn des Russlandfeldzugs am 22. Juni 1941 bereits Hunderttausende unbewaffnete jüdische Zivilisten auf grausame Weise planmäßig von polizeilichen Einsatzgruppen (Waffen-SS, Sicherheitspolizei und SD, Ordnungspolizei, ausländische Hilfspolizei) und Wehrmachtverbänden erschossen worden waren, arbeiteten deutsche Ingenieure und Ärzte im Auftrag des NS-Staates eifrig an Lösungen, die es erlauben sollten, die enormen Massen an Menschen, die es aus ganz Europa „nach Osten zu evakuieren“ galt, so effizient wie möglich in extra für diesen Zweck errichteten Todeslagern im besetzten Polen zu ermorden.

Auch darüber schrieb Goebbels in seinem Tagebuch. Am 27. März 1942 notierte er, im als Generalgouvernement bezeichneten Teil des besetzten Polens würde „ein ziemlich barbarisches und nicht näher zu beschreibendes Verfahren angewandt, und von den Juden bleibt nicht mehr viel übrig“. Und weiter: „Die in den Städten des Generalgouvernements freiwerdenden Ghettos werden jetzt mit den aus dem Reich abgeschobenen Juden gefüllt, und hier soll sich dann nach einer gewissen Zeit der Prozess erneuern.“24

Hitler beauftragte den Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei, Himmler, mit der praktischen Umsetzung der Shoah. Der Massenmörder Himmler bevorzugte es, wie sein Mentor Hitler und sein Kommilitone Göring, sich am 23.5.1945 das Leben zu nehmen. Fotograf unbekannt.
Hitler beauftragte den Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei, Himmler, mit der praktischen Umsetzung der Shoah. Der Massenmörder Himmler bevorzugte es, wie sein Mentor Hitler und sein Kommilitone Göring, sich am 23.5.1945 das Leben zu nehmen. Fotograf unbekannt. Foto: United States Holocaust Memorial Museum

In der Zwischenzeit war allerdings in der NS-Propaganda die Verschwörungstheorie über den „Erzfeind“ noch um eine Dimension erweitert worden. Nun hieß es, wenn die Deutschen und die Europäer insgesamt nicht die Juden ausrotten, dann würden die Juden sie ausrotten. Bereits am 6. März 1942 hatte Goebbels in seinem Tagebuch vermerkt: „Man darf hier keine falsche Sentimentalität obwalten lassen. Die Juden sind das europäische Unglück; sie müssen auf irgendeine Weise beseitigt werden, da wir sonst Gefahr laufen, von ihnen beseitigt zu werden.“25

Diese „These“ gewann Longerich zufolge in der zweiten Jahreshälfte 1942 an Zugkraft. In seinem Werk „Davon haben wir nichts gewusst“ schreibt er: „Der Krieg wurde zum Kampf um Sein oder Nichtsein zwischen Deutschen und Juden stilisiert; implizit oder explizit galt die Vernichtung der Juden damit als Notwehr angesichts der gegen das eigene Volk gerichteten (imaginierten, Anm. d. V.) Vernichtungsabsicht des Erzfeindes.“ In der Propaganda der Täter erschienen die Opfer nicht als Opfer, „sondern als potenzielle Täter, vor denen man sich legitimerweise schützen musste“.26

An einem Beispiel soll nun gezeigt werden, mit welcher Perfidie der NS-Staat seine Bevölkerung mit solchen Lügen zu manipulieren versuchte. Am 5. Oktober 1942 hielt Reichsmarschall Göring, offiziell der zweite Mann im NS-Staat nach Hitler, im Berliner Sportpalast eine vielbeachtete und weltweit propagierte Rede. Sie wurde integral am 6. Oktober 1942 in den zensierten Luxemburger Tageszeitungen LW und ET auf drei Seiten abgedruckt. In beiden Zeitungen konnte man auf Seite 5 lesen:

„Und noch eines möchte ich dem deutschen Volk sagen und in ihre Herzen einbrennen: Was würde denn das Los des deutschen Volkes sein, wenn wir diesen Kampf nicht gewinnen würden? […] Sie haben ja gelesen, was man mit unseren Kindern vorhat, was mit unseren Männern gemacht würde. Unsere Frauen würden dann eine Beute der wollüstigen, hasserfüllten Juden werden. Deutsches Volk, du musst wissen: Wird der Krieg verloren, dann bist du vernichtet. Der Jude steht mit seinem nie versiegenden Hass hinter diesem Vernichtungsgedanken […] Dieser Krieg ist nicht der zweite Weltkrieg, dieser Krieg ist der große Rassenkrieg. Ob hier der Germane und Arier steht oder ob der Jude die Welt beherrscht, darum geht es letzten Endes, und darum kämpfen wir draußen. […] Der Jude ist hinter allem, und er ist es, der uns den Kampf auf Tod und Verderben angesagt hat.“27 Eine völlige Umkehr der Realität!

Schluss

Die Kriegssituation wurde dazu genutzt, um Hitlers „Prophezeiung“ zur Vernichtung der Juden zur Implementierung zu bringen. Für die NS-Ideologen führte kein Weg daran vorbei, dieses einmalige Menschheitsverbrechen naturgesetzmäßig zu vollziehen. Es musste sein! In einem Europa unter deutsch-arischer Führung, wie das NS-Regime es sich vorstellte, war kein Platz für Juden.

Das deutsche Volk wurde über Jahrzehnte mit antisemitischen Verschwörungstheorien und Judenhass indoktriniert, und dies bereits lange bevor es den Nationalsozialismus gab. Insbesondere in den national-konservativen und monarchistischen Teilen der deutschen Gesellschaft war der völkisch-rassistische Antisemitismus seit der Gründung des Kaiserreiches (1871) und der einhergehenden Emanzipation der Juden tief verankert und weit verbreitet. Der rassistische Antisemitismus war nicht nur ein deutsches, sondern ein weltweites Phänomen.

Einen Tag vor seinem Suizid diktierte der Massenmörder Adolf Hitler seiner Sekretärin sein politisches Testament, das er am 29.4.1945 um 4.00 Uhr unterzeichnete. Der letzte Satz des zehnseitigen Dokuments war dem sogenannten „Weltvergifter aller Völker“, dem internationalen Judentum, gewidmet.
Einen Tag vor seinem Suizid diktierte der Massenmörder Adolf Hitler seiner Sekretärin sein politisches Testament, das er am 29.4.1945 um 4.00 Uhr unterzeichnete. Der letzte Satz des zehnseitigen Dokuments war dem sogenannten „Weltvergifter aller Völker“, dem internationalen Judentum, gewidmet. Quelle: Public Domain

Es waren aber die Nationalsozialisten, die diese judenfeindliche Ideologie sofort nach ihrer Machtergreifung im Jahre 1933 zur Staatsdoktrin machten. Sie erklärten „den Juden“ zu ihrem Erzfeind, zum Erzfeind der imaginierten arischen Rasse, den es mit allen Mitteln zu beseitigen galt. „Den gewaltigsten Gegensatz zum Arier bildet der Jude“28, hatte Hitler in „Mein Kampf“ behauptet.

Hitlers völlig irrsinnige Gedankengänge, bar jeder historischen, wissenschaftlichen oder faktuellen Bedeutung, führten zu einem genauso irrsinnigen Vernichtungskampf gegen einen imaginierten Erzfeind und kostete in relativ kurzer Zeit fast sechs Millionen unschuldige Menschen das Leben. Die mit eiserner Härte und fanatischer Entschlossenheit durchgeführte industrielle Ermordung der Juden Europas durch Nazi-Deutschland steht bis heute als beispielloses, einmaliges Verbrechen in der Menschheitsgeschichte.

Wenn sich heute wiederum Judenhass breitmacht und wenn wieder einmal die Juden für die großen Übel der Welt verantwortlich gemacht werden, dann ist die Zeit gekommen, aufzuhorchen und konsequent gegenzusteuern. Mit Lügen, falschen Fakten und Verschwörungstheorien fing es auch damals an.

Quellen:

1 Peter Longerich, „Davon haben wir nichts gewusst“, München 2007, S. 201.

2 https://eluxemburgensia.lu/

3 Am 27.3.1942 verließ der erste Konvoi mit 1.112 jüdischen Frauen, Männern und Kindern Paris in Richtung Auschwitz-Birkenau. Bereits fünf Monate vorher sind die ersten Juden aus Luxemburg ins besetzte Polen deportiert worden.

4 Gilles Karmasyn, 24 février 1942: Hitler annonce l’extermination des Juifs au monde et à la France, https://phdn.org/histgen/vichy/hitler-24-fevrier-1942.html (zuletzt aufgerufen am 23.1.2022).

5 Am 20.1.1942 planten und formalisierten 15 hohe Staats- und SS-Vertreter am Berliner Wannsee die Ermordung von elf Millionen europäischen Juden. Zu dem Zeitpunkt waren bereits Hunderttausende jüdische Männer, Frauen und Kinder im eroberten Polen und Sowjetgebiet erschossen worden. Die Wannsee-Konferenz war die Wende vom Massenmord zum systematischen Völkermord.

6 LW und ET, 25.2.1942, S. 2.

7 Karmasyn schreibt, die New York Times (NYT) habe die Botschaft integral in der Ausgabe vom 25.2.1942 auf S. 8 abgedruckt. Der Artikel konnte im NYT-Archiv gefunden werden.

8 Botschaft des Führers, Die Vorbereitungen zur endgültigen Abrechnung werden getroffen, Wien, 25.2.1942, S. 1, gek. Link: https://bit.ly/3njjNMk (zuletzt aufgerufen am 13.1.2022).

9 Auszug aus Hitlers Botschaft, abgedruckt im Escher Tageblatt am 25.2.1942, S. 1-2. https://eluxemburgensia.lu/

10 Munich via Smolensk, NYT-Archives. https://nyti.ms/3zWkP5S (zuletzt aufgerufen am 13.1.2022). Bemerkung: Eines der vielen Kriegsquartiere befand sich in der Nähe von Smolensk in Russland und trug den Namen „Bärenhöhle“.

11 NYT-Archives. https://nyti.ms/3Fp1eMT (zuletzt aufgerufen am 13.1.2022).

12 In: Léon Poliakov, Josef Wulf, Das Dritte Reich und die Juden, Berlin 1955, S. 120.

13 LW, 31.1.1939, S. 2-4; https://eluxemburgensia.lu/

14 ET, 1.2.1939, S. 3; https://eluxemburgensia.lu/

15 Die erste bedeutende Äußerung Hitlers über den Antisemitismus: Antwort an Adolf Gremlich (16. September 1919) kann man auf der Internetseite „Deutsche Geschichte in Dokumenten und Bildern“ hier lesen: https://ghdi.ghi-dc.org/docpage.cfm?docpage_id=4809 (zuletzt am 24.1.2022 aufgerufen).

16 Ebd.

17 1000dokumente.de, gek. Link: https://bit.ly/3H1p5UC (zuletzt am 25.1.2022 aufgerufen)

18 Hitler, Mein Kampf. Eine kritische Edition, Band 2, München 2016, S. 1675.

19 Ebd., S. 1649.

20 Peter Longerich, Antisemitismus: Eine deutsche Geschichte, München 2021, S. 358.

21 Ralf Georg Reuth (Hrsg.), Joseph Goebbels’ Tagebücher, Band 4: 1940-1942, München 1999, S. 1710, Anm. 209.

22 Der von Hitler entfachte Krieg wurde mit dem Eintritt der USA zum Weltkrieg. Dieser erfolgte am 11.12.1941 mit der Kriegserklärung Deutschlands und Italiens an die USA.

23 Am 18.10.1941 ordnete Himmler an, die Ausreise von Juden mit sofortiger Wirkung zu verhindern.

24 Reuth op. cit., S. 1776-1777.

25 Ebd., S. 1762.

26 Longerich op. cit., S. 203.

27 LW und ET, 6.10.1942, S. 5.

28 Hitler, Mein Kampf. Eine kritische Edition, Band 1, München 2016, S. 777.

Robert Hottua
11. Februar 2022 - 2.23

Diese Hinweise sind mir erst im Nachhinein eingefallen: General George Smith PATTON, Juden und Tiere : https://www.juedische-allgemeine.de/politik/befreit-aber-nicht-frei/ General George Smith PATTON, Eugeniker: https://www.juedische-allgemeine.de/allgemein/blutspuren/ Die Mentalitäten und Aktivitäten der amerikanischen Eugeniker werden von der US-Autorin Jodi PICOULT in ihrem Roman "Zeit der Gespenster" beschrieben. Die Autorin zeigt auch die Übergänge zur NS-Eugenik auf. MfG Robert Hottua

Robert Hottua
10. Februar 2022 - 18.58

Guten Tag Herr Lorang, der US-Automobilhersteller Henri Ford war ein massiver, mächtiger, weltweit agierender Judenfeind. Für das Nazi-Gesetz zur zwangsweisen Verhütung "erbkranken Nachwuchses" standen die amerikanischen eugenischen Sterilisationsgesetze, die ab den dreißiger Jahren in über 30 Bundesstaaten angewandt wurden, Pate. Das Konzept der "Rassereinheit" kommt aus dem Sozialdarwinismus von Herrn Galton aus England. Die erste internationale Konferenz der Eugeniker fand, glaube ich, 1901 in New York statt. Laut den Eugenikern wird der "Untergang der weißen Rasse" durch die "genetisch Minderwertigen" dieser Rasse vollzogen. Zu diesen von den Eugenikern ungewollten, ausmerzungsbedürftigen "Minderwertigen" gehörten auch die Juden wegen ihrer angeblich minderwertigen, Krankheiten erzeugenden, von Generation zu Generation übertragenen Gene. Die Rassen-Eugeniker waren hochangesehene Wissenschaftler, Ärzte, Rechtsanwälte, Lehrer ... Ihre dekadenten pseudowissenschaftlichen eugenischen Überzeugungen wurden von den Nazis ab 1920 radikalisiert. MfG Robert Hottua