InterviewGeneral Tom Middendorp warnt in Luxemburg vor dem Klimawandel als Sicherheitsrisiko

Interview / General Tom Middendorp warnt in Luxemburg vor dem Klimawandel als Sicherheitsrisiko
General Tom Middendorp war von 2012 bis 2017 Oberbefehlshaber der niederländischen Streitkräfte. Davor leitete der pensionierte Offizier gleich mehrere NATO-Missionen in Afghanistan sowie Friedens- und Hilfsmissionen in anderen Teilen der Welt.  Foto: Julien Garroy

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Vom Klimawandel gehen große Gefahren für die Weltsicherheit aus. Sagt General Tom Middendorp, der die Folgen als ehemaliger Befehlshaber der niederländischen Streitkräfte aus erster Hand erlebt hat. Der Vorsitzende des „International Military Council on Climate and Security“ (IMCCS) hat am Wochenende auf der Münchener Sicherheitskonferenz vor den Auswirkungen des Klimawandels gewarnt. Zuvor aber stand er dem Tageblatt Rede und Antwort.

Tageblatt: General Middendorp, in ihrem jüngsten Bericht nennt die IMCCS den Klimawandel ein hohes Sicherheitsrisiko. Die Warnung geht aber nicht von Umweltaktivisten oder Politikern aus, sondern von Militärangehörigen. Wann haben Sie den Klimawandel erstmals als Herausforderung empfunden?

General Tom Middendorp: Offiziere können auch Alarmglocken läuten. Das ist nicht nur Greta vorbehalten. Aber im Ernst: Meine persönlichen Erfahrungen als Oberbefehlshaber der niederländischen Streitkräfte und Leiter von NATO-Missionen im Ausland haben mich dazu bewogen, das Thema vor drei Jahren bei der „Planetary Security Conference“ in Den Haag erstmals anzusprechen. Die ersten Reaktionen fielen ernüchternd aus: „Ein General, der in Klimafragen mitmischen will? Der soll gefälligst bei seinen Themen bleiben“, hieß es zunächst. Entsprechend reißerisch waren auch die Schlagzeilen in den Niederlanden. Binnen einer Woche aber verstummten die Kritiker. Immer mehr Experten erkannten die Zusammenhänge. Fast gleichzeitig wurde der Klimawandel im Vorfeld der Parlamentswahlen 2017 als Wahlkampfthema aufgegriffen.

Sie sprechen von persönlichen Erfahrungen. Können Sie uns Beispiele nennen?

In Afghanistan fiel mir vor zehn Jahren erstmals auf, welche enormen Ressourcen die NATO-Stützpunkte verschlangen – etwa Wasser. Die daraus resultierende Wasserknappheit nutzten lokale Milizen, um Druck auf die Lokalbevölkerung auszuüben. In Somalia führten ähnliche Zustände zum Erstarken der Al-Shabaab-Milizen. Versteppung und Dürre vertrieben die Menschen aus ihren Dörfern in die Hände der Extremisten. In der Karibik habe ich die Folgen des Klimawandels auch mit eigenen Augen erlebt. Niederländische Truppen waren 2017 nach Sankt Martin beordert worden, nachdem Hurrikan Irma weite Teile der Insel zerstört hatte. All diese Erfahrungen haben mir die Augen geöffnet.

Militär und Umweltschutz sind eigentlich ganz verschiedene Welten. Prallen hier nicht zwei Gegensätze aufeinander?

Meine erste Stellungnahme vor drei Jahren hat hohe Wellen in der Öffentlichkeit geschlagen. Aber nicht im Verteidigungsmilieu. Militärangehörige erleben die Auswirkungen mit eigenen Augen vor Ort, sie kennen die Gefahren aus erster Hand. Mit Argumenten, dass eine nachhaltige Herangehensweise auch in Verteidigungsfragen fruchtet, rennen wir bei Sicherheitsexperten inzwischen offene Türen ein. Es liegt doch auf der Hand: Wenn man bei der Planung eines Stützpunktes nachhaltige Kriterien berücksichtigt, ist man weniger von externen Ressourcen wie etwa Treibstoff oder Wasser abhängig. So werden gleich mehrere Risikofaktoren eliminiert: Man ist nicht mehr auf externe Hilfe angewiesen und lokale Konflikte werden vermieden. Truppen können sich auf die eigene Mission konzentrieren und Stabilität in die Region bringen.

Oft reagiert die Öffentlichkeit erst, wenn es zu spät ist. Wie unmittelbar ist eigentlich die Bedrohung?

Am Donnerstag wurden in der Arktis 20 Grad Celsius gemessen. Die Folgen erleben wir heute schon jeden Tag. Leider sehen es viele Menschen immer noch nicht ein. Trotz aller Anzeichen fehlt es immer noch an einem Dringlichkeitsbewusstsein. Dank modernster Wissenschaft wissen wir, was in zehn, zwanzig Jahren auf uns zukommt. Diese Gelegenheit gilt es nun zu nutzen, um die Auswirkungen des Klimawandels noch in Grenzen zu halten. Noch haben wir die Möglichkeit dazu. Ziel des IMCCS ist es deshalb, den Handlungsdruck zu erhöhen und die Gesellschaft zum Umdenken zu bewegen.

Inwiefern spielt der Klimawandel Extremisten in die Hände?

Nehmen wir trockene Regionen mit Wasserknappheit: In der Sahel-Zone ist der Extremismus wieder auf dem Vormarsch. Die Extremisten mischen sich unters Volk, infiltrieren Stämme, heiraten in große Familien ein, um ihre Hassbotschaften zu verbreiten. In ihrer Verzweiflung hören immer mehr Menschen auf Extremisten. Das gleiche passiert in Somalia mit den Al-Shabaab-Milizen. Und auch im Irak nutzten die Schergen des Islamischen Staats den Zugang zum Wasser, um die Bevölkerung gefügig zu machen. Ressourcen werden als Waffen eingesetzt. Der Klimawandel ist zwar nicht der Auslöser, aber ein Katalysator.

Welche Möglichkeiten haben wir, um diesen Gefahren vorzubeugen?

Zuerst müssen wir endlich aufwachen! Das gilt vor allem für die globale Sicherheitsgemeinschaft. Die Verantwortung liegt nicht mehr allein bei Naturschützern und Umweltministern. Sämtliche Regierungsinstanzen und Sicherheitsbehörden müssen an einem Strang ziehen. Vor allem das Militär ist gefragt, sind es doch die Truppen, die bei Friedensmissionen mit ihrem Einsatz in gefährdeten Regionen für Stabilität sorgen können. Dort bietet sich etwa die einmalige Chance, neue Technologien einzusetzen. In den Niederlanden wird derzeit an einem Verfahren gearbeitet, um Wasser aus Wüstenluft zu gewinnen. Mit nur einem Solarpanel können an einem Tag bis zu 30 Liter Wasser erzeugt werden. Erschwingliche Technologien wie diese können ganze Regionen nachhaltig verändern. Die Lösungen liegen auf der Hand, nur müssen wir die Köpfe zusammenstecken. Auch deshalb bedarf es eines gewissen Handlungsdrucks!

Ihre Lösungen setzen aber einen gewissen Mentalitätswechsel in Verteidigungsfragen voraus …

Natürlich. Aber wir sehen heute ja schon eine gestiegene Nachfrage für Friedensmissionen. Immer mehr Länder setzen ihre Truppen für humanitäre Hilfe oder Katastrophenhilfe ein. Das ist auch schon in den Köpfen der Militärstäbe angekommen. Es gilt nun, militärische und zivile Anstrengungen zu bündeln. Nach Hurrikan Irma waren die unterschiedlichsten Staaten in der Karibik aktiv: die Niederlande, Frankreich, Großbritannien, die Vereinigten Staaten oder Kanada. Jeder so in seiner eigenen Region. Diese Kräfte hätte man 2017 bereits bündeln können, um mit dem gleichen oder gar weniger Aufwand weitaus mehr zu erwirken.

Also hat der Mentalitätswechsel bereits stattgefunden?

Er findet gerade statt. Vor einem Jahr stand der Klimawechsel bei den niederländischen Streitkräften noch nicht auf der Agenda. Zwölf Monate später gewinnen sie Wasser in der Wüste. Ähnliche Bemühungen bemerken wir in unseren Nachbarländern, wie etwa in Luxemburg oder auch auf europäischer Ebene. Nur die NATO hinkt noch etwas hinterher.

Und die Vereinigten Staaten … Präsident Trump glaubt bekanntlich nicht an den Klimawandel …

Ob Sie es glauben oder nicht: Das Pentagon (US-Verteidigungsministerium, Anm. d. Red.) hat bereits vor zehn Jahren auf die Gefahren des Klimawandels aufmerksam gemacht. Inzwischen passiert ganz viel auf militärischer Ebene. Aber auch die Bundesstaaten reagieren. Ob nun wegen der Überschwemmungen entlang der Ostküste oder der Waldbrände in Kalifornien: Die Lokalbevölkerung bekommt die Folgen des Klimawandels fast täglich zu spüren.

IMCCS stellt Jahresbericht in Luxemburg vor

Pünktlich zur Münchener Sicherheitskonferenz hat das „International Military Council on Climate and Security“ am Wochenende seinen Jahresbericht vorgestellt. Darin warnen die Verfasser vor den Sicherheitsrisiken des Klimawandels und zeichnen Wege aus, wie vor allem die Verteidigungsressorts der internationalen Staatengemeinschaft auf die drohenden Auswirkungen reagieren können. Erstmals der Öffentlichkeit präsentiert wurde das brisante Dokument aber am Freitag in Luxemburg. Vor ihrem Besuch in München waren die Mitglieder des Thinktanks auf Einladung von Vizepremier und Verteidigungsminister François Bausch nach Luxemburg gekommen, um die Befunde ihrer Analyse vorzustellen. Für den Vorsitzenden des IMCCS, General Tom Middendorp, ist der Klimawandel eine der größten Herausforderungen der nächsten Jahre. Zwar sei der Klimawandel nicht unbedingt ein Auslöser für Sicherheitskrisen, jedoch könnten die Folgen bestehende Konflikte durchaus verstärken. Der langjährige Befehlshaber der niederländischen Streitkräfte spricht aus eigener Erfahrung, wenn er von den Auswirkungen von Wasserknappheit oder Dürre auf Lokalbevölkerungen spricht. Versteppung und Wasserknappheit führten zu Hungersnot, Armut und Klimakatastrophen. Die Folge: Betroffene Völker werden in die Hände von radikalen Gruppierungen getrieben oder auf die Flucht. „Von der menschlichen Tragödie mal ganz abgesehen“, sagt Middendorp, „eine erneute Flüchtlingswelle kann Europa nicht verkraften.“ Dabei droht aber genau das, wenn die Polkappen etwa weiter schmelzen und die Meeresspiegel weiter steigen. In Asien und Afrika würden ganze Metropolen unter Wasser gesetzt, was die Bevölkerung wiederum in andere Regionen treibt und den Kampf um Ressourcen zusätzlich befeuert. Auch in anderen Teilen der Erde drohten ernste Folgen, warnt der Leiter des IMCCS. Mit den Waldbränden in den USA und Australien seien bereits erste Auswirkungen zu spüren. Militärische Organisationen, aber auch politische Instanzen müssten sich ernsthaft damit auseinandersetzen, welche Auswirkungen ihre Einsätze auf die Umwelt und Ressourcen haben, so Middendorp.

J.C.Kemp
17. Februar 2020 - 20.01

@Felix: Angscht ass gudd fir d'Geschäft vum Politiker. Wann de 'Client' Angscht huet: Angscht virum Ennemi, virum Klima-Wiessel, virum Wiessel am allgemengen, da boomt dem Politiker säi Business. Da kann e verkaafe, wat e wëllt a kritt och (als Steiere) wat e wëllt.

Felix
17. Februar 2020 - 18.10

D'Militär ass secherlech gudd opgestallt fir ze artikuléieren. Irgenwéi froen ech mech awer waat hei lass ass. Ech war elo kirzlech am Ausland (net an Europa). Mee ech denken mir datt virun allem an Letzeburg, Belge, Frankreich an last but not least Deitschland eng onverantwortlech Panikmache gemaat get. Passt alt op, datt net méi Leit un enger Angschtdepression virum Klimawandel wéi durch den Klimawandel stierwen. Ech giff mir wënschen wann d'Journalisten giffen méi besonnen hei eriwer berichten...

J.C.Kemp
17. Februar 2020 - 16.37

Kulturen hun am allgemengen e begrenzten Haltbarkeetsdatum, wann en an der Geschicht opgepasst huet. A wann eng vergeht, réckelt eng aner no. Ech denken, dat mer esou lues un onsem ukomm sin. 1500 Joër ass jo net esou schlecht. Dat haten d'Réimer jo mol net am Weste gehaalen.

lucilinburhuc
17. Februar 2020 - 13.10

@Jacques Zeyen "Es wäre ja nicht das erste Mal,dass sich die Völker in Bewegung setzen" Wie sagt schon Herman van Veen vor Jahren in einer Vorstellung hier in Luxembourg: "Wenn das Wasser steigt, dann kommen noch viel mehr Holländer wie bisher nach Luxemburg" gelächter vom Publikum...um dann fortzufahren: "Ja, jetzt lachen sie noch! Aber sie kennen meine Schwiegermutter nicht! "

J.Scholer
17. Februar 2020 - 12.00

Ein Militär äußert sich besorgt zum Klimawandel, dabei setzen die Armee der Welt enorm CO2 Ausstoß mit ihrem Fuhrpark zu Land, Luft und Meer um. Hinzu kommt die Zusammensetzung der Munitionen aus umweltschädlichen , radioaktiven Stoffen, die gelagerten NBC Kampfstoffe und die Bodenschätze die in elektronischen Geräten verbaut werden. Alleine die Versorgung mit Wasser, Lebensmittel, Brennstoffen, Material der diversen militärischen Stützpunkte, der zu entsorgende Müll dieser und die diversen militärischen Interventionen, wie Missionen sind nicht umweltfördernd. Da bleibt wohl nur ein Ausweg für das Militär aus dem Dilemma :“ Schwerter zu Pflugscharen.“

Jacques Zeyen
17. Februar 2020 - 9.22

Es wäre ja nicht das erste Mal,dass sich die Völker in Bewegung setzen müssen weil die Natur nichts mehr hergibt oder dass Hochkulturen verschwinden weil Hunger und Krieg sie ausgerottet haben.