StandpunktEuropas Hijab-Test

Standpunkt / Europas Hijab-Test
Die falsche Wahrnehmung des Hijab als Symbol einer angeblich frauenfeindlichen islamischen Kultur hat dazu geführt, dass sich Trägerinnen als gesichts- und namenlose „Opfer“ fühlen Foto: Freepik.com

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Mitte Juli entschied der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH), dass private Arbeitgeber in der EU ihren Beschäftigten das Tragen religiöser Symbole, einschließlich Kopftüchern, verbieten können, um am Arbeitsplatz ein Bild der „politischen, philosophischen und religiösen Neutralität“ zu vermitteln. Das Urteil bestätigte ein EuGH-Urteil aus dem Jahr 2017 und verdeutlicht die seit langem bestehenden Spannungen in Bezug auf den Multikulturalismus in Europa. Insbesondere wirft es die Frage auf, ob es einen Platz für sichtbar muslimische Frauen im öffentlichen Leben Europas gibt.

Ich habe in den vergangenen Monaten muslimische Frauen, viele von ihnen Bürgerinnen und Einwohnerinnen europäischer Länder, zu ihrer Darstellung in den Medien und ihrer Wahrnehmung der Zugehörigkeit in ihren Ländern befragt. Während viele von ähnlichen Erfahrungen mit Ausgrenzung oder Belästigung berichteten, sagten mir die europäischen Frauen, insbesondere diejenigen, die sich für das Tragen des Hijab (Kopfbedeckung) entschieden haben, immer wieder: „Ich habe das Gefühl, dass ich nicht existiere.“

Der Hijab ist für seine Trägerinnen mehr als ein religiöses Symbol. Muslimische Frauen bedecken ihr Haar aus Tradition, um die Verbindung zu ihrem kulturellen Erbe aufrechtzuerhalten, oder aus Gründen der Bescheidenheit. Mehrere junge Europäerinnen, mit denen ich gesprochen habe, erklärten, dass sie den Hidschab trotz der Proteste ihrer eingewanderten Familien tragen, die nicht wollen, dass sie am Arbeitsplatz übermäßig kontrolliert oder diskriminiert werden.

Doch ihre Entscheidung ist mit einem hohen persönlichen Preis verbunden. Die in Europa weit verbreitete falsche Wahrnehmung des Hijab als Symbol einer angeblich frauenfeindlichen islamischen Kultur hat dazu geführt, dass sich Frauen, die einen Hijab tragen, als gesichts- und namenlose „Opfer“ fühlen, die gerettet werden müssen, anstatt als ermächtigte Individuen, die eine persönliche Entscheidung treffen. „Es ist frustrierend, weil [die Medien] immer die männlichen Familienmitglieder in den Vordergrund stellen“, sagte Sama, eine der Frauen, in einer Nachricht, die sie mir aus Italien schickte. „Es ist, als unterstelle man mir, mein Vater habe mich zu dieser Entscheidung gezwungen, die tatsächlich ich getroffen habe.“

Auch Lama, eine französisch-algerische Frau, die jetzt außerhalb Frankreichs lebt, beklagt das Phänomen, dass „weiße Männer in den Medien darüber diskutieren, ob wir den Hidschab tragen dürfen oder nicht“. Das Problem sei, dass „es nie um das objektive Kleidungsstück geht, sondern darum, was das Kleidungsstück [für diese Männer] symbolisiert“.

Das jüngste Urteil des EuGH lässt die Spannungen zwischen dem Recht auf Religionsfreiheit und dem zunehmenden Unbehagen der Europäer über das sichtbare Gesicht des Islam in der Region wieder aufleben. Artikel 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention setzt eine hohe Messlatte für die Einschränkung der Religionsfreiheit. Die Urteile des EuGH aus den Jahren 2017 und 2021 scheinen jedoch dem Konzept der allgemeinen „Neutralität“ und, im Falle der jüngsten Entscheidung, der Wirkung auf andere mehr Gewicht beizumessen – ein Thema, das für viele muslimische Frauen bereits eine große Rolle spielt.

Mehrere Frauen, mit denen ich sprach, schilderten, dass sie sich vor dem Verlassen ihres Hauses einer anstrengenden mentalen Übung unterziehen – ich nenne sie den Test „freundlich genug“. „Muslimische Frauen schauen morgens in den Spiegel und denken: ‚Sehe ich freundlich aus? Sehe ich ansprechbar aus?‘“ erklärt Maha, eine Journalistin. Und es sind nicht nur die Männer, um deren Urteil sich diese Frauen sorgen. Khadija, eine junge französisch-algerische Frau, gestand, dass sie einmal innehielt, um roten Lippenstift aufzutragen, bevor sie zu einem Vorstellungsgespräch für einen Babysitterjob ging. „Ich hatte ihnen im Vorfeld schon gesagt, dass ich den Hidschab trage. Ich weiß nicht, warum ich das getan habe, warum ich sie auf mich vorbereitet habe“, sagte sie. „Ich habe meinen Lippenstift herausgenommen und ihn aufgetragen, damit [die Mutter] sehen kann, dass ich Französin bin, [dass] ich also keine Terroristin bin.“

Die Welt nach #MeToo

Diese psychologische Belastung unterstreicht die quälende Entscheidung, die europäische Musliminnen heute zwischen ihrem Glauben und ihrer Identität einerseits und ihrer Nationalität andererseits treffen müssen. Während die meisten europäischen Mädchen davon träumen können, den Beruf ihrer Wahl zu ergreifen, sehen sich muslimische Mädchen in Europa mit einem demoralisierenden Vorbehalt konfrontiert: „Aber den Hidschab kannst du nicht tragen.“ In einer Welt nach #MeToo, in der jungen Frauen zunehmend beigebracht wird, selbstbewusst zu sein, werden die muslimischen Frauen in Europa durch die Gesetzgebung behindert, und ihnen wird suggeriert, dass schon ihr Aussehen problematisch sei.

Khadija erzählte mir weiter, dass sie sich verunglimpft und beschämt fühlte, als sie im Alter von 19 Jahren ihren Hidschab für einen Job abnehmen musste. „Ich hatte das Gefühl, ein Nichts zu sein“, sagte sie. „Ich bin nicht so wie alle anderen. Ich bin ein bisschen weniger wert.“ Dann fragte sie nachdenklich: „Woher nehmen sie sich das Recht dazu?“

Trotz der erklärten europäischen Werte Emanzipation, Freiheit und Selbstständigkeit lässt der Mangel an muslimischen Stimmen in der europäischen öffentlichen Debatte über den Hijab viele junge Frauen mit wenig Hoffnung auf eine Änderung der Diskussion zurück. Einige der europäischen Politiker, die den Islam als repressiv und frauenfeindlich anprangern, setzen sich für Gesetze ein, die den muslimischen Frauen ihre Handlungsfreiheit zu nehmen drohen.

„Muslimische Frauen existieren und haben eine starke Stimme“, sagte mir Soumaya, 15 Jahre alt. „Wir sind keine Objekte, wir denken, wir fühlen, wir haben einen freien Willen, wir sind stark und intelligent und vor allem fähig.“ Aber, so sagte sie, „die Medien wollen das nicht anerkennen. Das ist sehr schade.“

Anstatt zu fragen, ob der Islam liberal genug ist, um nach Europa zu gehören, scheint die wichtigere Frage heute zu sein, ob Europa liberal genug ist, um seine muslimischen Bürgerinnen – unabhängig von ihrer Kleidung – im öffentlichen Leben zu akzeptieren. Die Debatte wird in den Gerichtssälen Europas zweifellos weitergehen. In der Zwischenzeit stehen das Leben und der Lebensunterhalt der weiblichen muslimischen Bevölkerung in der Region auf dem Spiel. Eine junge Frau sagte mir resigniert: „Ich muss auf eine Frau warten, die keinen Hidschab trägt, oder auf einen Mann, der für mich kämpft, denn im Moment existiere ich nicht. Ich bin niemand.“

* Jasmine M. El-Gamal ist Autorin und politische Analystin für den Nahen Osten, die US-Außenpolitik, Radikalisierung und gewalttätigen Extremismus.

Aus dem Englischen von Eva Göllner

Copyright: Project Syndicate, 2021. www.project-syndicate.org

Groeber J-P.
15. August 2021 - 19.56

@ Wieder Mann. ass dat dann elo een Gebot? "Und sag zu den gläubigen Frauen, ..................Wat machen dann die ungläubigen Frauen?

Mcc
14. August 2021 - 7.07

Relioun ass a mecht domm.....an zwar all

Realist
13. August 2021 - 11.24

Wer masst sich denn die Berechtigung an, Europa diesem oder jenem "Test" zu unterziehen? Kraft welcher Autorität? Und was wären die Konseqenzen, falls es diesen Test nicht bestände...?

Wieder Mann
13. August 2021 - 7.41

@Grober: Sure 24, Vers 31

Taxpayer
12. August 2021 - 15.54

Den Hidjab als Symbol vu Fraen, déi vun sech selwer am Artikel schreiwen: "wir sind keine Objekte, wir denken, wir fühlen, wir haben einen freien Willen" etc. ? Elo kierzlech réischt gouf an Däitschland eng Fra vun hiren eegene Bridder ëmbruecht, well si sech geweigert huet, den Hidjab ze droen. Finde den Fehler.

Alfred Bisenius
12. August 2021 - 15.38

Aufklären statt verschleiern!

Grober J-P.
12. August 2021 - 9.59

Bitte um Info, in welcher Sure steht das genaue Gebot zum Hidschab?