GipfeltreffenEU-Staaten wollen militärische Unterstützung für Kiew beschleunigen

Gipfeltreffen / EU-Staaten wollen militärische Unterstützung für Kiew beschleunigen
Small Talk vor Beginn der Brüsseler Gipfelrunde Foto: European Union

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Mit russischen Geldern sollen Waffen und Munition für die Ukraine gekauft werden, im Gazastreifen wird eine „sofortige humanitäre Pause“, die zu einem Waffenstillstand führen soll, sowie mehr humanitäre Hilfe verlangt und mit Bosnien könnten bald EU-Beitrittsgespräche beginnen: Mit diesen Themen beschäftigten sich am Donnerstag die EU-Staats- und Regierungschef beim Auftakt ihres Gipfeltreffens.

Deutlicher konnten den Europäern ihre bisherigen Versäumnisse bei ihrer Unterstützung für die Ukraine nicht vor Augen geführt werden: Während sie zu ihrem Gipfeltreffen im EU-Ratsgebäude in Brüssel eintreffen, verkünden die russischen Streitkräfte, dass sie mit Tonenke eine weitere Ortschaft in der Ostukraine eingenommen haben und sich nun darauf vorbereiten, weitere zwei Ortschaften anzugreifen. Die russischen Erfolge sind nicht zuletzt auch auf den seit Monaten von Kiew beklagten Munitionsmangel zurückzuführen. Im mittlerweile dritten Kriegsjahr und nach unzähligen Bekundungen der EU-Staaten, dass sie die Ukraine „so lange wie nötig“ unterstützen würden und „Russland diesen Krieg nicht gewinnen darf“, sind die 27 immer noch dabei, ihre militärische Unterstützung für die Ukraine zu organisieren. Von diesem Gipfeltreffen soll in dieser Hinsicht ein starkes Signal an den russischen Machthaber im Kreml ausgehen.

Denn die Gipfelteilnehmer wollen sich darauf festlegen, dass die in der EU eingefrorenen russischen Vermögenswerte dazu genutzt werden, Waffen und Munition für die Ukraine zu kaufen. Dazu sollen aber nicht die rund 200 Milliarden Euro an festgesetzten russischen Staatsgelder selbst genutzt werden, sondern lediglich die daraus stammenden Gewinne. Diese werden auf rund drei Milliarden Euro jährlich beziffert.

„Damit die Ukraine den Krieg gewinnen kann“, brauche sie Waffen und Munition, so der luxemburgische Premierminister Luc Frieden am Donnerstag vor Beginn der Ratstagung. Für ihn mache es Sinn, die Vermögenswerte der russischen Staatsbank zu nutzen, zumal nun ein Weg eingeschlagen werde, der „juristisch sicher“ sei. Deshalb könne er einem entsprechenden Kommissionsvorschlag zustimmen, so Frieden. Allerdings war die Verwendung russischer Gelder für die Ukraine am Donnerstagnachmittag noch keine ausgemachte Sache. Er wisse nicht, ob es zu einer Einigung kommen werde, sagte der niederländische Regierungschef Mark Rutte. Zumindest der österreichische Kanzler Karl Nehammer machte deutlich, dass er, der ein „neutrales“ Land vertrete, nicht für den Kauf von Waffen sei. Denn ursprünglich habe es geheißen, dass die russischen Vermögenswerte für den Wiederaufbau der Ukraine genutzt werden sollten, so der Österreicher.

Für die estnische Regierungschefin Kaja Kallas hingegen ist die ledigliche Nutzung der Gewinne aus den russischen Staatsgeldern nur ein erster Schritt. Sie wolle mehr sehen, sagte die Estin. Auch der litauische Präsident Gitanas Nauseda will weitere Gespräche über die Nutzung der gesamten „immobilisierten Guthaben“ und meinte, die EU müsse „kreativ“ dabei sein. Dazu drängte ebenfalls der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, der per Videoschalte zu den 27 sprach. Es sei „nur fair“, wenn alle Gelder nicht nur für den Wiederaufbau der Ukraine, sondern auch zur Beschaffung von Waffen eingesetzt würden. Russland müsse „die richtigen Kosten des Krieges zu spüren bekommen“, so Selenskyj weiter.

Eine definitive Entscheidung über die Nutzung der russischen Gelder ist am Donnerstag noch nicht gefallen. Die Arbeiten dazu sollen im EU-Rat weitergeführt werden. Immerhin aber versprechen die Gipfelteilnehmer in ihrer Schlusserklärung, ihre militärische Unterstützung für die Ukraine zu beschleunigen.

Russische Getreidelieferungen in die EU stoppen

In Sachen Munitionsbeschaffung scheint es voranzugehen, angesichts der Unterstützung für eine von Tschechien ergriffenen Initiative. Prag hat bislang weltweit an die 800.000 Artilleriegeschosse ausfindig gemacht, die bei ausreichender Finanzierung für die Ukraine eingekauft werden können. Mark Rutte erklärte gestern, die Niederlande würden dazu 250 Millionen Euro beisteuern, sein belgischer Amtskollege Alexander De Croo versprach 200 Millionen Euro. Auch Luxemburg wird sich daran beteiligen. Allerdings konnte Luc Frieden, zumindest am Dienstag während eines Arbeitsbesuchs seines ukrainischen Amtskollegen Denys Schmyhal auf Schloss Senningen, noch keinen Betrag für diese Beteiligung nennen.

Auch die Sanktionen gegen Russland waren wieder ein Thema. So bedauerte Selenskyj in seiner Rede, dass der Zugang zum europäischen Markt für russische Lebensmittelexporte weiterhin keinen Restriktionen unterliege, vor allem was Getreide anbelangt. „Russisches Getreide muss blockiert werden“, forderte ebenfalls der litauische Präsident. Russland sei weiterhin der drittgrößte Getreidelieferant auf dem europäischen Markt. Zudem sollte mehr gegen die Umgehung bereits bestehender EU-Sanktionen durch Drittstaaten unternommen werden, meinte Gitanas Nauseda weiter.

Die 27 wollen die Beschaffung von Waffen und Munition vorantreiben und dafür neue Wege gehen. Dazu steht der Vorschlag, gemeinsame Anleihen auszugeben, um die Finanzierung neuer Rüstungsgüter zu sichern. Während einige Länder, unter anderem die Niederlande, dem ablehnend gegenüberstehen, signalisierte Luc Frieden Zustimmung. Er sei „pragmatisch“ wenn es gelte, gemeinsame Anstrengungen zu unternehmen, wie eben beispielsweise im Bereich der Verteidigung, so der luxemburgische Premierminister. Einfacher dürfte es jedoch werden, das Mandat der in Luxemburg ansässigen Europäischen Investitionsbank (EIB) zu erweitern. Der EIB ist es bislang nicht gestattet, Gelder für Verteidigungsprojekte bereitzustellen. Dies wollen die Anteilseigner an der Bank, also die EU-Staaten, nun ändern.

Beitrittsverhandlungen mit Bosnien-Herzegowina

Und ein anderer Krisenherd beschäftigte die 27: der Krieg im Gazastreifen. Hier verlangen die EU-Staaten eine „sofortige humanitäre Pause“, die zu einem „nachhaltigen Waffenstillstand“ führen soll, wie es in der Schlusserklärung des Gipfels heißt. Zudem fordern sie die Freilassung aller Geiseln, die noch von der Terrororganisation Hamas festgehalten werden. „Das Töten unschuldiger Zivilisten muss gestoppt werden“, verlangte der Alexander De Croo angesichts der vielen palästinensischen Opfer durch israelische Angriffe. Zudem wird mehr humanitäre Hilfe für die Menschen im Gazastreifen gefordert. Ziel sei es, dass täglich mindestens 500 Lastwagen mit humanitärer Hilfe in das Kriegsgebiet gelangen, so der deutsche Kanzler Olaf Scholz.

Nicht ganz einig waren sich die 27 zu Beginn des Treffens darüber, ob mit Bosnien-Herzegowina EU-Beitrittsgespräche aufgenommen werden sollen. Er sei „sehr dafür“, mit Bosnien die nächsten Schritte zu eröffnen, sagte Olaf Scholz. Auch der luxemburgische Premier gab sich zuversichtlich: „Wir dürfen die Leute im Westbalkan nicht verlieren“, es gehe um mehr als nur um Bosnien-Herzegowina, sagte Luc Frieden. Sein niederländischer Kollege hingegen meinte, das Land sei noch nicht da, wo es sein sollte. „Ja, es gibt noch viel zu tun“, pflichtete Karl Nehammer dem bei. Offenbar konnten deren Bedenken während der Tagung ausgeräumt werden, denn am späten Abend einigten sich die 27 darauf, Beitrittsverhandlungen mit Bosnien-Herzegowina aufzunehmen.