EinflussnahmeEU-Parlamentarier fordern gemeinsame Strategie gegen ausländische Desinformation

Einflussnahme / EU-Parlamentarier fordern gemeinsame Strategie gegen ausländische Desinformation
Putins Propagandakanäle mussten mit Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine ihren Betrieb in der EU einstellen Foto: AFP/Ludovic Marin

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18 Monate lang hat sich ein Sonderausschuss des Europäischen Parlaments (EP) mit ausländischer Einmischung und Desinformation in der EU befasst. Diese Woche wurde ein Bericht dazu mit großer Mehrheit von den EU-Parlamentariern angenommen. Der Vorsitzende des Ausschusses, Raphaël Glucksmann (S&D), wirft den Europäern „Naivität“ vor.

Mit dem Angriffskrieg des russischen Präsidenten Wladimir Putin auf die Ukraine und den propagandistischen Begleitumständen, die nicht nur die russische Bevölkerung voll treffen, sondern auch in EU-Staaten bei nicht wenigen Gehör finden, erhält der Bericht des EP-Sonderausschusses „zu Einflussnahme aus dem Ausland auf alle demokratischen Prozesse in der Europäischen Union, einschließlich Desinformation“ eine besondere Aufmerksamkeit. Die EU-Parlamentarier fordern darin, dass sich die EU eine gemeinsame Strategie geben müsse, um gegen ausländische Einmischung und Desinformationskampagnen vorzugehen.

„Putins Propagandamaschine wurde nicht erst am 24. Februar eingeschaltet, als er die Ukraine angriff“, sagt Sandra Kalniete, die Berichterstatterin im Sonderausschuss. Dies habe bereits vor Jahren angefangen. Und die Einmischung von außen beschränke sich „nicht nur auf Desinformation“. „Das ist nur die Spitze des Eisbergs“, so die ehemalige lettische Außenministerin. Es fließe auch Geld, um Einfluss auf politische Entscheidungen zu nehmen. Die EVP-Politikerin hält in ihrem Bericht fest, „dass Beweise dafür vorliegen, dass böswillige oder autoritäre ausländische staatliche und nicht staatliche Akteure, wie Russland, China und andere, durch die Manipulation von Informationen und andere Einmischungstaktiken in demokratische Prozesse in der EU eingreifen“. Mit dem Bericht wollten die EP-Abgeordneten führende europäische Politiker auffordern, ihre Naivität zu beenden, sagt Raphaël Glucksmann.

Die Mehrheit der Europäer sei sich der Gefahren nicht bewusst. „Wir sind so gewohnt an die Offenheit in unseren Staaten, dass wir nicht so sehr darauf achten“, erklärt Sandra Kalniete diesen Umstand. Sie findet es beispielsweise nicht normal, dass trotz des Datenschutzgesetzes internationale und nationale Unternehmen Daten über die Bürger sammeln und verkaufen könnten, „auch an Regime, die uns schaden wollen“. Die EVP-Politikerin plädiert im Allgemeinen im Umgang mit elektronischen Medien dafür, das alles, was nicht offline erlaubt ist, auch nicht online erlaubt sein sollte. Zudem müsse „Licht in die Blackbox der sozialen Medien“ gebracht werden, fordert die Lettin.

Ehemalige EU-Spitzenpolitiker als Lobbyisten

Raphaël Glucksmann warnte nicht nur vor Cyberattacken, von denen die EU-Staaten bereits seit Jahren betroffen seien. Er verweist auch darauf, dass „seit Jahren ausländische Regime über ausländische Unternehmen in unsere strategischen Unternehmen investieren“. Daneben würden ehemalige europäische Spitzenpolitiker wie Gerhard Schröder, Yves Leterme, Jean-Pierre Raffarin, Paavo Lipponen oder Karin Kneissel vor allem von russischen und chinesischen privaten und staatlichen Unternehmen vereinnahmt. In diesem Zusammenhang verweist der Bericht darauf, dass „nur die USA, Australien und Kanada über
Vorschriften zur ausländischen Einflussnahme verfügen“, wenn es um Wirtschaftslobbyismus gehe. Dabei hätten Länder wie China und Russland, aber auch die Türkei und Katar „stark in Lobbyarbeit in Brüssel investiert“. Im Bericht wird denn auch empfohlen, es ausländischen Akteuren schwerer zu machen, ehemalige europäische Spitzenpolitiker anzuwerben.

Putins Propagandamaschine wurde nicht erst am 24. Februar eingeschaltet, als er die Ukraine angriff

Sandra Kalniete, EP-Berichterstatterin

Der französische S&D-Politiker verwies darauf, dass es in der EU verschiedene Kulturen der Sicherheit gebe. Die europäischen Institutionen seien noch jung und hätten eine andere Herangehensweise. Es müsse da zu einem Wandel kommen, auch die EU-Institutionen müssten eine Sicherheitskultur entwickeln, fordert Raphaël Glucksmann.

Im Zuge des Angriffs russischer Truppen auf die Ukraine hat die EU bereits reagiert und die Verbreitung der beiden russischen Staatsmedien  RT (Russia Today) und Sputnik verboten. Den Vorwurf der Zensur will Raphaël Glucksmann dabei nicht gelten lassen. „RT ist ein Instrument in den Händen eines Regimes, so wie Gazprom ein Instrument ist“, erklärt er. RT sei „ein Teil von Putins Kriegsmaschine“ und sei nicht das, was wir als Medien bezeichnen, so der Franzose. Die größte Herausforderung sei es, ein Gleichgewicht zwischen den freien Medien und feindlichen Informationen und Desinformationen zu finden, meint Sandra Kalniete. Sie spricht sich daher dafür aus, Qualitätsmedien in der EU auch finanziell zu unterstützen.

Die Arbeit des EP-Sonderausschusses endet offiziell am 23. März. Der Vorsitzende des Ausschusses sprach sich jedoch diese Woche dafür aus, die Arbeit fortzusetzen.