WahlrechtsreformEP-Abgeordnete wollen mit EU-weiter Liste in die Europawahl 2024 ziehen

Wahlrechtsreform / EP-Abgeordnete wollen mit EU-weiter Liste in die Europawahl 2024 ziehen
Die EP-Abgeordneten schlagen neue Regeln für die Europawahlen vor Foto: AFP/Frederick Florin

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Das Europäische Parlament hat gestern eine Resolution verabschiedet, mit der eine Reform des Wahlrechts zu den Europawahlen gefordert wird. Dabei soll unter anderem eine EU-weite Wahlliste eingeführt werden.

Es ist der dritte Anlauf, den die EU-Parlamentarier unternehmen, um das EU-Wahlrecht zu reformieren. Anders als 2018 kam gestern nun eine Mehrheit für die bereits damals vorgesehene Idee einer EU-weiten Wahlliste zusammen. Allerdings ist das Vorhaben umstritten, was sich etwa am Abstimmungsresultat zeigte. Die Entschließung wurde mit 331 Ja- zu 257 Nein-Stimmen bei 52 Enthaltungen angenommen. Dagegen hatten nicht nur die üblichen EU-Kritiker und -Gegner der europäischen Souveränisten und Rechtspopulisten gestimmt. Die größte Fraktion, die Europäische Volksfraktion (EVP), sowie die Fraktion der Linken waren gespalten. Von den beiden luxemburgischen EVP-Parlamentariern stimmte Isabel Wiseler-Lima dagegen, Christophe Hansen enthielt sich, die vier anderen EP-Abgeordneten – Marc Angel, Charles Goerens, Tilly Metz und Monica Semedo – stimmten dafür.

Kernstück der Reform ist die Einführung einer EU-weiten Wahlliste, auf der politische Gruppierungen 28 Kandidaten aus allen EU-Staaten zur Wahl stellen. Um zu verhindern, dass Kandidaten aus großen gegenüber solchen aus mittleren und kleinen EU-Staaten im Vorteil sind, sollen drei Gruppen innerhalb der Liste gebildet werden, um für eine geografische Ausgewogenheit zu sorgen. Die Liste soll von einem „Spitzenkandidaten“ angeführt werden – auch wenn diese Bezeichnung so nicht in der Entschließung gebraucht wird. Die stärkste Liste soll später die Kommissionspräsidentin oder -präsidenten stellen, sofern die entsprechende Fraktion eine Mehrheit dafür im neuen EU-Parlament findet, wie der Berichterstatter der Resolution, Domènec Ruiz Devesa (S&D), gestern einschränkend klarstellte.

„Katastrophe“ von 2019 vermeiden

Die EP-Abgeordneten wollen mit der transnationalen Liste auch „die Katastrophe vermeiden“, die 2019 stattfand, als es um die Wahl des Kommissionspräsidenten ging, wie der belgische liberale EU-Parlamentarier Guy Verhofstadt meinte. Damals hatten zwar alle großen politischen Gruppierungen wie bereits 2014 einen „Spitzenkandidaten“ aufgestellt. Doch setzten die Staats- und Regierungschef später mit Ursula von der Leyen eine Politikerin auf den Chefsessel der EU-Kommission, die nicht als Spitzenkandidatin angetreten war. Was allerdings auch dem Unvermögen der EU-Parlamentarier geschuldet war, sich auf einen gemeinsamen Kandidaten zu einigen.

Die Volksvertreter erwarten sich mit der transnationalen Liste einen europäischeren Wahlkampf, da sich die auf dieser vertretenen Kandidatinnen und Kandidaten darum bemühen müssten, europäische Themen anzusprechen, um eine EU-weite Wählerschaft zu überzeugen.

Die EP-Abgeordneten wollen zudem eine Reihe weiterer Neuerungen einführen. So schlagen sie vor, die Europawahlen in allen 27 EU-Staaten am 9. Mai, dem Europatag, abzuhalten. Dieser könnte zudem als neuer Feiertag eingesetzt werden, was in Luxemburg bereits der Fall ist. Da noch nicht in allen EU-Staaten die Briefwahl möglich ist, sollte dies für die EU-Wahlen eingeführt werden. Zudem sehen die EP-Abgeordneten eine 3,5-Prozent-Hürde für Wahlkreise vor, „in denen mindestens 60 Sitze vergeben werden“. Um eine Geschlechterparität bei den Listen zu gewährleisten, sollen diese nach dem Reißverschlussprinzip abwechselnd mit Frauen und Männern oder über eine Quote bestellt werden. Außerdem empfehlen die EU-Parlamentarier „das Mindestalter für das Wahlrecht auf 16 Jahre festzulegen, unbeschadet bestehender Verfassungsordnungen, die ein Mindestwahlalter von 18 oder 17 Jahren vorsehen“. Das wird zwar von einer Mehrheit der luxemburgischen Wählerschaft abgelehnt, scheint jedoch andernorts mehr und mehr als geboten erachtet zu werden.

Unterstützung von EU-Kommission

Die EU-Vizekommissionspräsidentin Vera Jourova signalisierte Unterstützung der Kommission für die Reform, da mit ihr die „demokratische Dimension“ der Europawahl gestärkt werde. Kritik kam insbesondere von Konservativen im EP. So meinte der portugiesische EVP-Abgeordnete Paulo Rangel, dass mit der transnationalen Liste zwei Kategorien von EP-Abgeordneten eingeführt werde. Die luxemburgische Grünen-Abgeordnete Tilly Metz meinte hingegen nach der Abstimmung in einer Mitteilung, dass das EP „heute mal wieder bewiesen (hat), dass es die treibende Kraft für die Weiterentwicklung des europäischen Projektes ist. Transnationale Listen wären ein großer Schritt für die europäische Demokratie und die Legitimität des Postens an der Spitze der EU-Kommission.“

Domènec Ruiz Devesa will nun so schnell wie möglich mit dem Rat über die Wahlrechtsreform verhandeln. Er zeigte sich gestern zuversichtlich, noch unter dem derzeitigen französischen EU-Ratsvorsitz, der das Thema zu einer Priorität gemacht habe, zumindest eine prinzipielle politische Einigung zu finden. Immerhin würden fünf politische Parteien hinter der Reform stehen, meinte der spanische S&D-Abgeordnete. Bereits bei den Europawahlen 2024 soll nach dem neuen Wahlrecht gewählt werden, so die Erwartung im EP. Allerdings müssen dem die EU-Staaten noch zustimmen.