Die verschiedenen Corona-Demos in Luxemburg
Die Corona-Demos in Luxemburg haben das Stadtbild an den vergangenen Wochenenden geprägt. Doch wer demonstrierte da überhaupt in Luxemburg? Die Impfgegner haben sich in Luxemburg längst in mehrere Gruppen aufgesplittert. Die „Marche blanche“, die seit mehreren Monaten schon in Luxemburg demonstriert, war die erste Corona-Demo. Sie bietet unter anderem dem umstrittenen Mediziner Dr. Benoît Ochs eine Plattform und kann als Ursprung der Corona-Demonstrationen in Luxemburg angesehen werden. Am vergangenen Sonntag hatten sich wieder 500 Menschen dem friedlichen Gang über den Kirchberg angeschlossen.
Peter Freitag und Jean-Marie Jacoby sind zwei von Luxemburgs bekanntesten Akteuren aus der Schwurbelszene. Sie meldeten am vergangenen Samstag ihre Demonstration unter dem Namen „Polonaise solidaire“ an. Wenngleich sich die Veranstalter auf der Demo und in den sozialen Medien abwertend gegenüber Bürgermeisterin Lydie Polfer äußerten, beachteten sie den Dialog und die regulären Prozeduren im Vorfeld der Demo. Auf der Demo warben die beiden Redner dann für falsche Krankschreibungen bei Eintritt ins 3G-System am Arbeitsplatz. Mehrere Krawallmacher versuchten auf der Demo auch, die Polizeisperre Richtung Innenstadt zu durchbrechen und die Weihnachtsmärkte zu stürmen. Die im Rahmen der Organisation festgehaltene Demo-Zone war auf einen Korridor zwischen Glacis und place de l’Europe auf dem Kirchberg beschränkt. Eine solche Zone wurde auch für das anstehende Wochenende wieder zwischen Philharmonie und Glacis ausgewiesen.
Die Vermutung liegt nahe, dass es sich bei der Gruppe um die gleichen Krawallmacher handelte, die auch auf einer unangemeldeten Demo am 4. Dezember den Covid-Check am Weihnachtsmarkt bei der „Gëlle Fra“ durchbrachen und den Weg freiräumten für die restlichen Demonstranten, die anschließend auf das Gelände stürmten. Auf der Demo am 4. Dezember wurden dazu noch antisemitische Vergleiche und Symbole auf dem Sockel der „Gëlle Fra“ präsentiert. In den sozialen Medien kursieren seit vergangenem Samstag wieder Aufrufe für ein „Rassemblement National“, eine weitere unangemeldete Demonstration. Die Absichten scheinen wieder ähnliche zu sein wie vor 14 Tagen: durch eine unangemeldete Demo der Polizei die Vorbereitungen zu erschweren, um somit wieder Unruhe und Randale zu stiften.
Wie organisieren sich die Impfgegner?
Obwohl es in Luxemburg mehrere Gruppierungen gibt, die gegen die Corona-Politik der Regierung und den wissenschaftlichen Konsens protestieren, finden sich viele ihrer Anhänger in den sozialen Medien in den gleichen Foren wieder. Die sozialen Medien dienen in der Szene nicht nur zum Austausch von (Falsch-) Informationen, sondern ermöglichen es ihnen auch, neue Mitglieder anzuwerben und sich über die Grenzen des Großherzogtums zu vernetzen.
Die Flut an Falschinformationen in diesen Gruppen prasselt ungefiltert auf den User ein, die Grenzen zwischen konstruierter Evidenz und wissenschaftlichen Fakten werden bewusst vermischt. Die zahlreichen Videoschnipsel, geteilten Links und lautstark verkündeten Meinungen führen zu einem fatalen Effekt: Aus Meinungen werden alternative Fakten.
In den Channeln treiben sich jedoch nicht nur Impfgegner herum, sondern – je nach Grad der Radikalisierung – auch Flat Earther, Verschwörungstheoretiker. So kursierte nach der Demo am Samstag das Gerücht, dass die Regierung abgelaufenen Impfstoff in die Wasserwerfer geladen habe, um die Protestierenden doch noch zu impfen.
Einen essenziellen Teil der Schwurbelwelt stellen die unzähligen selbst konstruierten Feindbilder dar, ohne die die Bewegung gar nicht existieren könnte. Zu den Feindbildern gehören während der Corona-Pandemie Epidemiologen, Virologen, Spitzenpolitiker, die Presse, die Wissenschaft, Silicon Valley, Antifa und natürlich Big Pharma. Als ein Arzt aus dem CHL beim Radiosender RTL zur Situation auf der Intensivstation aufklärt, kursiert hauptsächlich eine Frage in den Channeln: „Und wie viel haben sie dem bezahlt?“
Das „sie“, das Feindbild, wird dabei stets vage gehalten, weil keine konkreten Beweise geliefert werden können – meist sind aber alle oben genannten Akteure gemeint, die sich mutmaßlich mit bösartiger Absicht zusammengeschlossen haben, um den Rest des Volkes zu unterdrücken. Die Bestätigung ihrer Theorien holen sich die Mitglieder von alternativen Medienseiten, die sich der gleichen Rhetorik und Argumentation bedienen. Eine starke visuelle und sprachliche Anlehnung an traditionelle Medienplattformen macht es für den Konsumenten deutlich schwieriger, diese unseriösen Plattformen als solche zu identifizieren.
Der Flirt mit dem Rechtspopulismus und der ADR
Im Anschluss an die Corona-Demos hat sich in Luxemburg insbesondere die ADR auf die Seite der Demonstranten gestellt und in zwei parlamentarischen Fragen den Polizeieinsatz hinterfragt. Ähnlich wie in anderen Ländern scheinen besonders rechtspopulistische Parteien von der Impfskepsis-Bewegung profitieren zu können. Die Populismus-Forscherin Léonie de Jonge hat im Tageblatt-Interview erklärt, warum das so ist. „Das, was Rechtspopulisten groß gemacht hat, ist die Migration“, sagt de Jonge. „Das wird momentan weniger politisiert, wodurch sie auch ihr Thema verloren haben und sich auf andere Themen stürzen müssen: Impfskepsis bietet sich an. Sie behaupten, sie würden diese Wähler ernst nehmen und sich für sie einsetzen – und das als einzige Partei.“
Der ADR kommt zudem zugute, dass sich zur Frage der Corona-Politik auch die kommende Verfassungsreform als aktuelles Streitthema gesellt. Sowohl auf den Demonstrationen als auch in den Chatgruppen werden beide Themenkomplexe miteinander vermischt – häufig auch befeuert von Aussagen einiger Politiker aus dem rechtspopulistischen Spektrum. Eine Bettemburger Politikerin hat auf einer ADR-Infoveranstaltung behauptet, der Staat könne mit der neuen Verfassung Kinder ohne Einverständnis der Eltern impfen lassen: Eine komplette Falschinformation, die in den Chatgruppen aber nicht als solche rezipiert wird.
Und mindestens ein Luxemburger ADR-Abgeordneter ist ebenfalls in einem solchen fragwürdigen Channel unterwegs – Roy Reding. Dass er in dem Telegram-Channel „NëtgepicktLU2.0“ Mitglied ist, hatte er einem Tageblatt-Journalisten nach einer Anfrage per E-Mail bestätigt. Jedoch postete er die gesamte Mail inklusive Kontaktdaten in den Channel – der Redakteur bekommt infolge dessen noch immer unerfreuliche Nachrichten.
Und auch generell wird mit abfälliger Medienkritik bei der ADR nicht gespart. Als kürzlich ein Tageblatt-Journalist bei der Partei anrief, um einen Kontakt für ein Statement zu erfragen, hieß die Antwort am anderen Ende der Telefonleitung: „Sorry, mir wird gerade etwas schlecht“ – die Reaktion auf die Angabe, man sei vom Tageblatt. Als Grund nennt der Herr am Telefon den Artikel über die Impfgegner-Szene, der die Dinge wiedergibt, den die erwähnten Personen öffentlich zugänglich ins Internet stellen.
Unschöne Weihnachtspost unter Facebook-Beiträgen
Eine sehr beliebte Methode unter den Impfgegnern ist außerdem das Einschüchtern. Seit den Artikeln über die Akteure der Impfgegner-Szene ist der Ton in den Kommentaren auf der Tageblatt-Facebookseite deutlich rauer geworden. Die dortigen negativen Hinterlassenschaften der Presse-Hasser haben zudem zugenommen. Sehr beliebt: der „Propaganda“-Vorwurf. Ein Facebook-Nutzer schreibt unter dem Leitartikel von Tageblatt-Chefredakteur Dr. Dhiraj Sabharwal: „Tageblatt wer hat denn mit Druck, Propaganda Lügen…. usw…angefangen? Dass ihr euch nicht schämt!!!!“ Ein weiterer Nutzer zieht den Vergleich „Tageblatt ist eine Lügenzeitung so wie RTL,ARD,ZDF ETC“ – bei den im Kommentar genannten Medien handelt es sich übrigens bei keinem einzigen um eine Zeitung.
Einige belassen es aber auch nicht bei Vergleichen, sondern wünschen den Tageblatt-Journalisten für ihre Berichterstattung ungerechtfertigte Konsequenzen an den Hals: „Tageblöt Sie haben fertig….ab in den Knast. Die grössten Lüggner [sic] haben aber kurze Beine“ oder auch „Wir lassen uns nicht mehr von euch manipulieren, was ihr Tag für Tag auf die Menschheit loslasst hat mit Journalismus nichts mehr zu tun. Es soll Klagen regnen!!!“ In einer Facebook-Nachricht an die Tageblatt-Redaktion heißt es schließlich sogar: „Ihr werdet es bereuen irgendwann:) glaubt mir“. Mit einem anbei gesendeten Screenshot bezieht sich der Absender auf den Text über die Luxemburger Impfgegner-Szene.
Einschüchterungsversuche gegen Journalisten
Eine ebenfalls beliebte Methodik, die weltweit gerne gegen Journalisten, Aktivisten und Organisationen angewandt wird, sind Slapps: „Strategic lawsuits against public participation“. Mit Klagen oder deren Androhung sollen beispielsweise Journalisten eingeschüchtert und daran gehindert werden, weiter zu berichten. Auch in Luxemburg nehmen diese Fälle laut einem Sprecher des Journalistenverbands ALJP deutlich zu. Die Initiatoren seien „ziemlich häufig Leute aus dem rechten Spektrum oder aus Verschwörungsgruppen, die man trotzdem zum rechten Spektrum zählen muss“, sagt ALJP-Sprecher Luc Caregari.
In einer Anti-Slapp-Initiative der EU-Kommission zu dem Thema heißt es: „In der Regel handelt es sich um unbegründete Klagen. Der Hauptzweck besteht darin, die beklagte Partei einzuschüchtern, indem ihre Ressourcen ausgebeutet werden, zum Beispiel durch hohe Schadenersatzforderungen oder absichtlich in die Länge gezogene Verfahren.“ Auch das Tageblatt hat am vergangenen Mittwoch Post bekommen – es waren drei Anwaltsschreiben. Dr. Benoît Ochs, Bas Schagen und Sacha Borsellini fordern Schadenersatz – zusammengerechnet 350.000 Euro –, nachdem in einem Tageblatt-Artikel über sie berichtet wurde. Das Ziel dieser Forderung ist nach Ansicht von Tageblatt-Chefredakteur Dr. Dhiraj Sabharwal völlig klar: Es handelt sich dabei um eine juristische Drohgebärde, die die entsprechende Berichterstattung einschränken oder gar zum Schweigen bringen soll. Im Schreiben von Ochs, Schagen und Borsellini wird präzisiert: Sollte nicht bezahlt werden, seien Klagen unausweichlich.
Sie wollen mehr zu dem Thema lesen? Dann sind Sie hier richtig:
– Lügen, Propaganda, wirre Theorien – Das sind Luxemburgs gefährliche Schwurbel-Influencer
– Luxemburgs Parallel-Universum: „Alternative“ Medien, eine laute junge Frau – und ein unscheinbarer Schwurbler
– Slapp-Klagen gegen Journalisten: Wenn das Rechtssystem zum Einschüchtern missbraucht wird – auch in Luxemburg
– Warum der Vergleich der radikalen Impfgegner mit dem Judenstern eine Unverschämtheit ist
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De Maart
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