Luxemburgs Parallel-Universum„Alternative“ Medien, Jessica Polfer – und ein unscheinbarer Schwurbler

Luxemburgs Parallel-Universum / „Alternative“ Medien, Jessica Polfer – und ein unscheinbarer Schwurbler

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„Mim’s Freiheit“ ist neben dem mittlerweile eingestellten BasTV von Bas Schagen ein weiterer Luxemburger Kanal, der auf Facebook und Telegram Impfgegner bedient und sich als „alternatives“ Medium inszeniert. Neben dem Coronavirus findet auch das zweite große Thema der Luxemburger Schwurbelszene bei Mim’s Freiheit oft seinen Platz: die Verfassungsreform. Zu diesem Komplex teilt auch David Bettendorf seine Meinung auf Facebook – nimmt damit Einfluss auf die gleiche Zielgruppe. Auch Jessica Polfer wird von Mim’s Freiheit gezeigt. Die junge Frau ist nicht nur auf Facebook aktiv, sondern setzte sich auch als Wortführerin bei der aus dem Ruder gelaufenen Demo am vergangenen Samstag in Szene.

Mim’s Freiheit

Als „Mossads Schergen“ wurde das Tageblatt im Telegram-Kanal von „Mim’s Freiheit“ bezeichnet. 

Aber bevor jetzt wieder „Gestapo-Spitzel“-Rufe laut werden: Es handelt sich bei dem Telegram-Kanal auch weiterhin um einen öffentlich frei zugänglichen Medienkanal, in den jeder – auch Journalisten – mit Pseudonym eintreten kann. So auch der angebliche Insider des israelischen Geheimdienstes mit dem Namen Bitterklee.

Der Autor des Kommentars ist einer von 470 Nutzern, die den Kanal auf Telegram abonniert haben. Wie auch in den anderen sozialen Medien stellt sich Mim’s Freiheit dort als „alternatives Medium“ dar. Der Slogan: „Für euch hinter der Kamera“. Tatsächlich werden auf Facebook vor allem Videos von Corona-Demonstrationen geteilt. Selten ist die Betreiberin Mim Mireille – wie sie sich selbst auf Facebook nennt – noch auf den veröffentlichten Videos zu sehen. Das öffentlich zugängliche Facebook-Profil von Mim Mireille zeigt, in welcher Gedankenwelt sich die Seitenbetreiberin bewegt: Likes wurden unter anderem an Donald Trump, Eric Trump und den niederländischen Ableger des russischen Staats- und Propagandasenders Russia Today vergeben.

Zumindest in ihren öffentlichen Kanälen leugnete „Mim“ nicht oft die Existenz der Corona-Pandemie. Das  braucht sie auch nicht, wenn man sich die Bühne anschaut, die Mim’s Freiheit anderen Corona-Leugnern bietet. In einem Videobeitrag vom 1. September kommentiert Mim jedoch die Ausschnitte einer Regierungspressekonferenz mit folgenden Worten. „Herr Bettel und Frau Lenert, das Spiel ist noch nicht vorbei. Nicht von eurer und nicht von unserer Seite aus. Uns kleinzukriegen und zu glauben wir müssten uns impfen lassen, weil ihr uns eine ‚Plandemie’ vorspielt … Das könnt ihr vergessen.“

Herr Bettel und Frau Lenert, das Spiel ist noch nicht vorbei

Mim’s Freiheit

Anders geht es in ihren Telegram-Channeln zur Sache. Der User „Anony’mystery“ wirbt dort beispielsweise für ein „neues Geschäftsmodell“ und schlägt Davidsterne für Geimpfte vor. Sollen die nachfolgenden Teufels-, Clowns- und Tränenemojis wohl die Ernsthaftigkeit des Vorschlags relativieren, betonen sie vor allem den unterirdischen Geschmack des „Witzes“. Auch sonst scheint sich niemand in dem Kanal an dem Kommentar zu stören – im Gegenteil. „Denise“ schreibt sogar: „Sie sind noch schlimmer als die vor 80 Jahren. Die haben es wenigstens offensichtlich gemacht und hier passiert alles verdeckt.“

Dass bei diesem Gedankengut die Corona-Demonstration vom 4. Dezember von Mim mit einer 87-minütigen Videosequenz bedacht wurde, ist da nur konsequent: Betitelt wurde der Film mit „#Luxembourg #blocagedesrues visite chez (Besuch beim Premierminister) #xavierbettel“. Als hätte der Premierminister mit Kaffee und Kuchen auf den krächzenden Mob gewartet.

Am Ende des Videos kommt eine junge Frau mit braunen Haaren ins Bild. Sie bittet von einer erhöhten Plattform aus – einem Pranger, könnte man meinen, würde sich die junge Frau nicht selbst in Szene setzen – durch ein Megafon um Aufmerksamkeit. „Wat haalt dier dovu wann mir dat nächst Woch nach eng Kéier maachen?“, ruft sie. Die Menge brüllt ihr begeistert zu. – Der Name der jungen Frau? Jessica Polfer.


Jessica Polfer

Aufmerksamkeit hat Jessica Polfer auch ohne Megafon auf Facebook erregt – bis dato folgen ihrem öffentlichen Profil in dem sozialen Netzwerk 1.234 Menschen. Dort bietet die junge Frau eine Plattform für Verschwörungstheoretiker, Impfverweigerer und andere Schwurbler. Darunter auch jene, die behaupten, dass die Randalierer am Weihnachtsmarkt von Luxemburger Politikern unterstützt worden seien und der Antifa angehörten – dieselben Tricks, die Rechtspopulisten wie Trump für ihre eigenen politischen Ziele benutzt haben.

In zehnminütigen Facebook-Videos kritisiert Polfer die Corona-Politik der Regierung und beruft sich auf psychologische Erkenntnisse, um diese Kritik zu rechtfertigen – darunter auch umstrittene Psychologie-Experimente. In ihrem ersten Video im September bezeichnet sie Corona-Politik als „Propaganda“ und spricht sich gegen die Corona-Impfung aus – sie bezeichnet die Impf-Maßnahmen der Regierung als „Impfzwang“. Die junge Luxemburgerin erklärt zudem in ihren Videos, bei der „Marche blanche“ dabei gewesen zu sein. Überraschend dabei ist, dass Polfer sich bis zum 24. Juli 2021 nicht kritisch gegenüber der Regierung in den sozialen Netzwerken geäußert hat.

Mein Großvater schaute in eine Schusswaffe, ich in eine Impfnadel

Jessica Polfer

In einem Facebook-Post spricht sie über ihren Großvater und dessen Widerstand gegen Hitler während des Zweiten Weltkriegs: „Er sagte mir, dass er niemals den Hitlergruß gemacht hat“, schreibt die 26-Jährige. Sie habe ihn damals nicht verstanden – jedoch heute schon. „Mein Großvater schaute in eine Schusswaffe, ich in eine Impfnadel.“ In einem weiteren Facebook-Post am 21. September trägt Polfer zur Holocaust-Verharmlosung bei. Sie vergleicht die Aussage von Premierminister Xavier Bettel, „dass eine Mehrheit (Geimpfte) wegen einer Minderheit (Nicht-Geimpfte) ihr Leben einschränken muss“, mit der von Hitler: „Hitlers Äquivalent war das ‚reine’ Volk (Mehrheit) gegen die Juden (Minderheit).“ In einem Video am 22. September entschuldigt sich die Luxemburgerin und behauptet, sie habe den Facebook-Post nicht „ausführlich genug“ geschrieben. Dabei ist es nicht das erste Mal, dass sie Bettel autoritären Figuren gegenüberstellt.

In einem Post am 20. September vergleicht Polfer die Regierung Luxemburgs mit Diktatoren wie Stalin und Hitler – als Basis hierfür nimmt sie das Stanford-Gefängnis-Experiment des US-amerikanischen Psychologen Philip Zimbardo. Dabei wurde in einer Gefängnisumgebung simuliert, was passiere, wenn Menschen Macht über das Leben anderer erhalten. „Wir haben eine handvoll Leute (die Wächter), die uns unserer grundlegendsten Rechte beraubt haben. Wir wurden mit Panikmache und einer unverschämten Menge an Fake News dazu angehalten, in unseren Häusern zu bleiben“, schreibt Polfer. Sie behauptet, dass Zimbardo bewiesen habe, dass es zu Machtmissbrauch komme,  wenn man „Vernunft mit Macht verbindet“. Menschen wie Hitler und Stalin beherrschten dies, schreibt sie auf Facebook. „Seit mehr als einem Jahr hat unsere Regierung bewiesen, dass Zimbardo die ganze Zeit recht hatte.“ Die wissenschaftliche Aussagekraft des Stanford-Gefängnis-Experimentes wurde von zahlreichen Psychologen infrage gestellt – unter anderem 2019 auf der Plattform der „American Psychological Association“.

Auf Polfers Profil trifft man zudem andere Impfgegner und andere Akteure, die sich gegen die Covid-Maßnahmen der Regierung aussprechen oder ausgesprochen haben. So hatte Polfer einen Auftritt auf der Medienplattform „BasTV“, in dem sie erzählt, dass sie einen Jura-Bachelor hat, dann aber für den Master zur Psychologie gewechselt sei. Den Allgemeinmediziner Benoît Ochs bezeichnet sie als „mutig“ in einem Facebook-Post: „Ihm geht es nicht um Geld, sondern um die Menschenwürde und vor allem um jeden Einzelnen von uns!“ Ochs, ein französischer Arzt, der in Luxemburg praktiziert, verbreitet mit fragwürdigen Studien und Aussagen Angst vor der Corona-Impfung. Wegen seiner Verstöße gegen den Kodex der Ärzteschaft hat das „Collège médical“ ihm ein einjähriges Berufsverbot auferlegt. Ochs ging dagegen juristisch vor. In erster Instanz gab ein Gericht dem „Collège“ recht, das Berufungsurteil steht noch aus.

Am vergangenen Freitag hatte Polfer in einem gemeinsamen Video mit Sacha Borsellini – einem weiteren Wortführer der Luxemburger Impfgegner und Schwurbler – zu den Demonstrationen am Samstag eingeladen. Borsellini behauptet in dem Video, dass er und Polfer die Organisatoren der Demonstration auf dem Glacis nicht kennen. Trotzdem hätten sie sich dazu entschlossen, an der Demonstration teilzunehmen, weil es „höchste Zeit ist, zu agieren“. Borsellini sagt, dass man lange probiert habe, sich auf pazifistische Art und Weise bemerkbar zu machen. „Ich habe ein bisschen das Gefühl, dass wir ausgelacht werden“, sagt Borsellini im Video. „Ich bin der Meinung, dass wir definitiv andere Schritte einführen müssen.“ Polfer sagt hierzu: „Ich bin mit allem komplett einverstanden.“ Im Video spricht sie sich gegen Gewalt während der Demonstrationen aus und sagt, dass man nicht „Feuer mit Feuer“ bekämpfen könne, weil Unterdrückung der Stil des Staates sei. 

Am Tag nach den Auseinandersetzungen am Weihnachtsmarkt hat sich Polfer in einem Facebook-Video gegen die Gewalt auf der place de la Constitution ausgesprochen – und die Menschen verurteilt, die bei der „Gëlle Fra“ randaliert haben. Es handele sich bei diesen Demonstranten um eine Minderheit. „Ich sehe nicht, wieso man bei einer Demonstration auf Gewalt zurückgreifen muss“, schreibt Polfer. Sie schiebt dabei die Schuld auf eine „fehlende Demonstrationskultur in Luxemburg“. Eine Verurteilung oder Distanzierung von den Aktionen vor dem Haus von Premierminister Xavier Bettel gibt es nicht. Eigenen Aussagen zufolge war sie sogar mit zu Bettels Haus gezogen – im Schlepptau von Mim’s Freiheit.


David Bettendorf

David Bettendorf ist wohl einer der eher unscheinbareren Akteure oder „Influencer“ der Anti-Covid-Vakzin-Szene. Das hat sicherlich mit seiner wenig reißerischen Art zu tun, die er in seinen geteilten Videos zeigt. Bettendorfs Aktivitäten in den sozialen Medien zeigen aber auf, dass er mit Schlüsselfiguren der Demonstrationen und digitalen Agitation in Verbindung steht: so etwa mit Jessica Polfer und Sacha Borsellini. Auch ihre Inhalte teilt er.

Zudem war er bereits zweimal bei der inzwischen auf Eis gelegten Schwurbler-Plattform „BasTV“ zu Gast. Gesprächsthema waren beide Male das Referendum zur Verfassungsreform, von dem er ein starker Verfechter ist und zu dem er auch mehrere Beiträge auf seinem Facebook-Profil geteilt hat. In einem Interview dort erklärt er, dass er zu den Personen gehört, die geholfen haben, im Oktober den Referendumsantrag für die Verfassungsreform in die Wege zu leiten. 

Bettendorf spricht in seinen öffentlichen Beiträgen auf Facebook viel über Freiheitsberaubung und die schleichende Entstehung einer Zwei-Klassen-Gesellschaft. Dabei nutzt er die Rhetorik der Regierung, kehrt sie um, und verwendet sie dann gegen die Regierung.

Die Leute, die die Maßnahmen gut finden, sind kein Teil der Lösung, auch kein Teil der Menschlichkeit und schon gar nicht von der Solidarität

David Bettendorf

Ein Beispiel: Premierminister Bettel und Gesundheitsministerin Lenert appellieren seit fast zwei Jahren an die Solidarität der Einwohner Luxemburgs, um vulnerable Mitmenschen zu schützen und die Pandemie zu beenden. Nicht alle getroffenen Maßnahmen waren nachvollziehbar und viele auch verbesserungswürdig. Aber so viel sollte man anerkennen: Es wurde eine Balance zwischen den unterschiedlichen gesellschaftlichen Interessen gesucht. Bettendorf unterstellt den Menschen, die die Maßnahmen unterstützen und befolgen, das Gegenteil: „Die Leute, die die Maßnahmen gut finden, sind kein Teil der Lösung, auch kein Teil der Menschlichkeit und schon gar nicht von der Solidarität. Ihr unterstützt die Spaltung durch die Regierung“, erklärt er in einem Facebook-Video am 1. Dezember. Dass die Gegner der Maßnahmen wenigstens ein Teil des Problems sein könnten, wird ausgeklammert.

Bettendorf darf man sicherlich nicht in die Kategorie der Aluhutträger stecken, die das Coronavirus komplett leugnen. Der Regierung und den Medien Panikmache vorzuwerfen, obwohl die Zahl der Krankenhauseinlieferungen erneut angestiegen ist und echte Menschen an dem Virus sterben, ist jedoch zynisch. Mit diesen Aussagen trägt Bettendorf wohl auch zur weiteren Desensibilisierung eines ohnehin impfskeptischen Teils der Bevölkerung bei.

In einem Facebook-Video vom 1. Dezember verweist Bettendorf dann auf Gibraltar und Portugal, die zu den Ländern mit den weltweit höchsten Impfraten gehören, und fragt: „Warum nochmal genau sollen wir das Vakzin nehmen, wenn sogar zu 100 Prozent geimpfte Länder im Lockdown sitzen?“ Dabei belegen Wissenschaftler und auch die Zahlen des Luxemburger Gesundheitsministeriums seit langem, dass geimpfte Menschen besser geschützt sind als Ungeimpfte – mindestens gegen mittelschwere und schwere Krankheitsverläufe. Das Risiko, auf der Intensivstation zu landen, wird durch eine Impfung drastisch reduziert. Und die Medien sind diese Fragen auch angegangen. Zudem übertragen Infizierte ohne Impfung ungeachtet der aktuellen Regierungsmaßnahmen das Virus eher als jene, die geimpft sind.


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