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Forum / Die richtigen Lehren aus der Krise ziehen
Eine der wichtigsten Lehren der Krise ist, dass gut funktionierende öffentliche Dienste und eine stark aufgestellte soziale Sicherheit unabkömmlich sind Foto: Editpress/Julien Garroy

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„Die richtigen Lehren aus der Krise ziehen.“ Wie bei vergangenen Krisen hat dieser belehrende Satz jetzt wieder Hochkonjunktur. Er wirkt beruhigend, weil er der Krise etwas Positives abgewinnt. Er ist zugleich ein gefährlicher Satz, weil er die naive Illusion erweckt, dass gewonnene Erkenntnisse im Selbstlauf zu positiven Veränderungen führen werden.

Wurden etwa nach der Finanzkrise 2008/2009 die richtigen Lehren gezogen?

Erinnern wir uns. Zum Zeitpunkt des Krisenausbruchs und während der ersten Phase ihres Verlaufs konkurrierten führende Politiker in erstaunlich kritischen Stellungnahmen. Vom notwendigen „Abspecken“ des Neoliberalismus bis zu weitreichenden Reformen der Finanzwelt war die Rede. Die internationale Gewerkschaftsbewegung schätzte die Situation richtig ein.

Auch in Luxemburg gingen am 16. Mai 2009 rund 30.000 Demonstranten auf die Straße und kämpften gegen das, was dieselben Politiker im Visier hatten: Austeritätspolitik und sozialen Abbau. Wir haben nichts vergessen: die Austeritätspolitik von 2010 bis zum „Zukunftspak“ im Jahr 2014, die Angriffe auf unser Indexsystem bis 2013, die rückschrittliche Pensionsreform im Jahr 2013, die Zunahme der steuerlichen Belastungen für die unteren und mittleren Einkommensschichten u.a.m.

Im Gegensatz dazu blieb von den angekündigten Reformen der Finanzwelt nicht viel übrig und die neoliberale Wirtschafts- und Sozialpolitik wurden munter fortgesetzt. Leistungen und Strukturen der öffentlichen Dienste und der sozialen Sicherheit wurden abgebaut, geschwächt und durch private Kommerzialisierung ersetzt. Die staatlichen Finanzkapazitäten wurden aufgrund massiver Steuererleichterungen für die besitzende Oberschicht, ob bei ihren Betrieben, Kapitaleinkünften, Vermögen oder Erbschaften, ausgehöhlt.

Ohne den Widerstand der linken Parteien, der Gewerkschaftsbewegung und der fortschrittlichen Organisationen der Zivilgesellschaft hätte diese Gesellschaft des Rückschritts eine noch größere Dimension und Breite angenommen. Wenn jetzt weltweit festgestellt wird, dass die Pandemie die sozialen Ungleichheiten weiter vertieft hat, dann hat diese Situation sehr viel mit Defiziten bei der Sozialstaatlichkeit zu tun. Defizite, die vielerorts auf der Welt, insbesondere in der sogenannten westlichen Welt, jüngeren Ursprungs sind.

Für den gesellschaftlichen Fortschritt

Eine der wichtigsten Lehren, die bereits jetzt gezogen werden kann, ist die, dass die Covid-19-Pandemie klar vor Augen führt, wie unabkömmlich gut funktionierende öffentliche Dienste und eine stark aufgestellte soziale Sicherheit sind. Sowohl unter dem Aspekt der Gesundheitsversorgung als auch unter dem Gesichtspunkt der sozialen Absicherung der Menschen. Darüber hinaus sind sie, zusammen mit einem finanzstarken Staat, die tragende Säule für die Stabilisierung und Wiederherstellung der gesamten wirtschaftlichen Aktivitäten in der Gesellschaft.

Wenn also jetzt richtige Konsequenzen zu ziehen sind, sollten wir mit der wichtigsten anfangen. Die kapitalistische Finanzkrise 2008/2009 offenbarte den Irrweg der neoliberalen Politik und ihrer Wirtschafts- und Finanzwelt, die Covid-Krise bestätigt ihn. Das tun auch die Klima- und Umweltkrise, die Krise der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums, die neue Rekordsumme bei der militärischen Aufrüstung und, als logische Konsequenz dieser Krisen, die nationalen und internationalen politischen Instabilitäten und Demokratieverluste.

Der Weg aus der Covid-Krise kann und darf nicht als von den anderen Krisen losgelöst betrachtet werden.
Die wichtigste politische Entscheidung kann deshalb nur eine sein: Die neoliberale Politik der Gestaltung der Wirtschaft, der Finanz und der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums muss geschwächt und zurückgedrängt werden. Die Perspektive ihrer Überwindung muss zum leitenden Prinzip unserer Gesellschaft und der Politik werden.

Der konkrete Anfang muss die radikale Absage an eine Neuauflage der Austeritätspolitik sein und die soziale Gerechtigkeit muss in den Fokus der Politik rücken.

„Eine Gerechtigkeitsspritze für alle“

Am 21. April 2021 veröffentlichte die Direktion der Öffentlichen Finanzen des Internationalen Währungsfonds (IWF) eine Beachtung verdienende Stellungnahme unter dem Titel „Eine Gerechtigkeitsspritze für alle“. Im Anschluss an die Feststellungen, dass sich die bestehende soziale Ungleichheit im Verlauf der Covid-19-Krise weltweit verstärkt hat und dass „die Covid-19-Krise deutlich gemacht hat, wie wichtig ein qualitativ hochwertiges Sozialschutzsystem ist, das schnell aktiviert werden kann“, wird neben der Förderung der öffentlichen Dienstleistungen eine „Verstärkung der Umverteilungspolitik“ gefordert.

Um den Kreislauf der Ungleichheit zu durchbrechen, seien „Vor- und Umverteilungspolitiken“ erforderlich. Eine Vorverteilungspolitik für den Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen und hochwertigen Arbeitsplätzen. Dies würde eine „Verringerung der Einkommensungleichheit bereits vor der ebenfalls notwendigen Umverteilung durch Transfers und Steuern ermöglichen“.

Mit Nachdruck wird für die Finanzierung dieser Politik die „Mobilisierung der steuerrechtlichen Kapazitäten“ als notwendig erachtet. Es wird empfohlen, dass „viele Länder auf Erbschafts- und Vermögenssteuern“ zurückgreifen könnten bzw. die „Steuer progressiver machen könnten, da sie die Möglichkeit haben, die oberen Grenzsteuersätze für Privatpersonen zu erhöhen“.

Nähe zu IWF-Vorschlägen

Für den OGBL sind die Absicherung und der Ausbau öffentlicher Dienstleistungen, ob im Gesundheits- und Sozialwesen, im Bildungswesen, im Transportbereich oder bei anderen staatlichen und kommunalen Dienstleistungen, seit jeher prioritäre Anliegen. Im Gesundheitswesen haben Privatisierung und Profitlogik nichts verloren. Der gesellschaftliche Schaden, den sie seit Jahren in vielen Ländern der Welt anrichten, trat im Verlauf der Covid-19-Pandemie deutlich zutage.

Die Regierung ist dringend, ohne weiteren Zeitverzug, dazu aufgefordert, ohne Wenn und Aber und mit aller Konsequenz die brisant aktuellen, sehr aggressiven Bestrebungen für eine private Kommerzialisierung des Gesundheitswesens, insbesondere im ambulanten Bereich, zu stoppen und, im Gegensatz dazu, ebenso konsequent den Ausbau des öffentlichen Gesundheitswesens zur absoluten Priorität zu machen. Diese Stoßrichtung muss u.a. zum leitenden Prinzip der Diskussionen auf dem sogenannten „Gesondheetsdësch“ werden.

Anlässlich der offiziellen Präsentation ihres elften Sozialpanoramas hat die Arbeitnehmerkammer die weitere Zunahme der sozialen Ungleichheiten in Luxemburg festgestellt. Die Schere zwischen den unteren bzw. mittleren Einkommen und den hohen Einkommen klafft noch weiter auseinander, das Armutsrisiko liegt nun über dem europäischen Mittelwert und bei den sogenannten „working poor“ nimmt Luxemburg jetzt die Spitzenposition in Europa ein.

Diese Entwicklungen verdeutlichen, dass auch Luxemburg eine, wie es der IWF formuliert, „Gerechtigkeitsspritze für alle“ über eine gezielte Umverteilungspolitik braucht. 

Eine gute Dosis mehr Steuergerechtigkeit

Die Steuerreform von 2017 hat im Wesentlichen nur die seit 2009 erlittenen zusätzlichen Steuerbelastungen ausgeglichen, die infolge der Nichtanpassung der Steuertabelle an die Inflationsentwicklung, der sogenannten „kalten Progression“, entstanden waren und die, proportional gesehen, vor allem die Kaufkraft der unteren und mittleren Einkommensschichten mindert.

Wenngleich im Verlauf der letzten Jahre die Inflationsbewegung verlangsamt ist, so bleibt der Umstand, dass seit 2017 die „kalte Progression“ wiedereingesetzt hat. Die Kaufkraft fressenden Steuererhöhungen können nur dann grundsätzlich aus der Welt geschafft werden, wenn die Regierung endlich den seit langem geforderten Mechanismus der automatischen Anpassung der Steuertabelle an die Inflationsentwicklung einführt.

Mehr Steuergerechtigkeit bei gleichzeitiger Erhöhung der steuerlichen Progressivität setzt einerseits eine Entlastung der unteren und mittleren Einkommen über den Weg einer Streckung der bestehenden Steuerprogression und andererseits für hohe Einkommen den Ausbau der Steuerprogression mittels zusätzlicher Steuerstufen und entsprechender Erhöhung des Spitzensteuersatzes voraus. An der Regierung, Farbe zu bekennen.

Eine Hauptursache für die ungerechte Verteilung der Steuerlast ist die Schieflage bei der Besteuerung der Kapitaleinkünfte im Vergleich zu den Lohneinkommen. Eine „Mobilisierung der steuerlichen Kapazitäten“ des Staates setzt die höhere Besteuerung der Kapitaleinkünfte voraus. Eine Aufgabe, der sich die Regierung ebenfalls stellen muss.

Eine Stärkung finanzieller Kapazitäten für öffentliche Zukunftsinvestitionen im Allgemeinen und für den Klimaschutz und die Sicherung der natürlichen Ressourcen im Besonderen sowie für eine sozial gerechte Strategie der Krisenüberwindung verbietet ebenfalls eine Steuerpolitik, die auf eine weitere Absenkung der Betriebsbesteuerung abzielt. In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass die aktuelle Regierung diese bereits zweimal gesenkt hat.

Bekämpfung der Wohnkrise

Neben der Entwicklung der Einkommensunterschiede und der ungerechten Besteuerung der Einkommen ist es in erster Linie die Wohnkrise, die die soziale Ungleichheit in Luxemburg vertieft. Sowohl in Bezug auf die Wohnmöglichkeiten und die Wohnqualität als auch auf die allgemeinen materiellen Perspektiven wachsender Teile der Bevölkerung.

Die finanziellen Belastungen bei den Wohnkosten haben für die untere Einkommensschicht das Maß des Erträglichen überschritten und zunehmend trifft diese Entwicklung auch auf mittlere Einkommensschichten zu. Und es sind nicht nur mehr die mietenden Haushalte, die davon betroffen sind. Der Prozess der (Um-)Verteilung von Boden und Immobilien zugunsten der oberen Einkommensschicht hat ein Ausmaß angenommen, das nicht mehr vertretbar ist.

Nur über den Weg einer gesetzlichen Steuerregulierung wird es möglich sein, dieser ausufernden Vermögungsanhäufung auf Kosten der Allgemeinheit und des Grundrechts Wohnen entgegenzuwirken. Der diesbezügliche Appell des OGBL an die für die Reform der Grundsteuer verantwortliche Innenministerin lautet: Eine stärkere Besteuerung des aus spekulativen Gründen brachliegenden Baulands reicht nicht aus! Einer exzessiven Anhäufung von Bauland und Immobilien in den Händen weniger kann nur durch die Einführung einer progressiven Grundsteuer Einhalt geboten werden.

Und sollte die Regierung nicht über den Weg der Grundsteuer handeln wollen, dann muss sie es in dieser Legislaturperiode über den Weg einer anderen Form der progressiven Vermögensbesteuerung für diesen Besitzbereich machen.

xavier
27. Juli 2021 - 12.06

Schnell Zwangsimpfungen für Hospitalpersonal einführen, ehe die französischen QuerdenkerInnen sich hier vorstellen kommen.