GeschichteDie Keller des Stahlwerks Esch/Schifflingen: Drei der wohl letzten Luftschutzbunker aus dem 2. Weltkrieg

Geschichte / Die Keller des Stahlwerks Esch/Schifflingen: Drei der wohl letzten Luftschutzbunker aus dem 2. Weltkrieg
Strom gibt es hier bereits seit vielen Jahren nicht mehr Fotos: Ania & Christian Muller

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Im zweiten Weltkrieg waren sie fast allgegenwärtig. Heute erinnert kaum noch etwas an sie: Drei der wohl letzten Luxemburger Luftschutzbunker aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs befinden sich unter dem Gelände des ehemaligen Stahlwerks Esch/Schifflingen.

Nach der Besetzung Luxemburgs im Zweiten Weltkrieg und der Integration des Landes in den Gau Moselland, galten hierzulande ähnliche Luftschutzregeln wie auch sonst im NS-Staat. Sowohl für Gemeinden und Privathaushalte als auch für große Fabriken gab es verpflichtende Verordnungen, die eingehalten und umgesetzt werden mussten.

In öffentlichen Gebäuden wurden die Keller zu Schutzräumen ausgebaut. In Esch beispielsweise unter dem Gemeindehaus oder unter der Dellhéicht-Schule. Zudem wurden eigene, spezielle Luftschutzbunker, auch Splittergräben genannt, gebaut. In Esch z.B. unter dem Place des remparts, unter dem Park Laval, unter dem Place de Stalingrad, vor dem Spital und neben dem sogenannten „Sprëtzenhaus“, wo derzeit eine „Maison relais“ gebaut wird. Unter anderen öffentlichen Plätzen wurden „Löschteiche“, als Wasserreserven für die Feuerwehr und für den zivilen Brandschutz (z.B. bei Brandbomben), angelegt.

Zugemauerte Verbindung im Keller eines Familienhauses im Zentrum von Esch. Im Notfall hätten die Einwohner durch dieses „Fenster“ in die Keller der Nachbarn flüchten können.
Zugemauerte Verbindung im Keller eines Familienhauses im Zentrum von Esch. Im Notfall hätten die Einwohner durch dieses „Fenster“ in die Keller der Nachbarn flüchten können.

Privatleute waren derweil verpflichtet – neben der Verdunklung der Wohnräume –, Dachräume und Mansarden zu entrümpeln. Gleichzeitig mussten sie die Räume, den Brandschutz im Sinn, neu einrichten. Auf jedem Dachboden mussten einige mit Wasser gefüllte Eimer, eine Feuerlöschpumpe, gefüllte Sandkisten, zwei Schaufeln, eine Axt und eine oder zwei „Brandklatschen“ bereitliegen, so Lokalhistoriker Camille Robert, der einen Bericht zum Bunker unter dem Place des remparts in Esch veröffentlicht hat. Einmal pro Monat wurde das Einhalten der Regeln vom örtlichen „Brandschutzleiter“ kontrolliert.

Unmengen an Regeln für Luftschutz 

Die Keller der Privathäuser mussten derweil in behelfsmäßige Luftschutzräume für die Hausgemeinschaft umgebaut werden. Vor diesem Kellerteil wurden die Fenster mit Sandsäcken verbarrikadiert und Ruheplätze wurden eingerichtet. Zwischen allen untereinander angebauten Häusern mussten im Keller Durchbrüche gemacht werden, damit die Bewohner sich, im Falle einer Bombardierung, unter die Nachbarhäuser retten konnten. Noch heute gibt es in Esch Häuser mit „Fenstern zu den Nachbarn“ im Keller. 

Größere Betriebe, wie Kaufhäuser, Verwaltungsgebäude, Kinos, Banken und Fabriken, waren zum „erweiterten Selbstschutz“ aufgefordert und somit verpflichtet, Feuerwehr-, Sanitäts-, Wiederinstandsetzungs- und Meldetrupps zu bilden sowie auszurüsten und auszubilden. Zuzüglich mussten sie nachts und an Feiertagen Brandwachen stellen, wie im Buch „Bombenangriffe auf Luxemburg in zwei Weltkriegen“ (E.T. Melchers; 1984) nachzulesen ist. Es galt sicherzustellen, dass die industrielle Produktion möglichst wenig von Bombenangriffen beeinträchtigt wurde. Die Trupps waren uniformiert, trugen den Stahlhelm und die vorschriftsmäßige Gasmaske.

Splitterschutzzellen standen im Zweiten Weltkrieg überall rund um das Werk. Heute gibt es keine mehr. Die, die derzeit im „Pompelhaus“ zu sehen ist, kommt aus Differdingen.
Splitterschutzzellen standen im Zweiten Weltkrieg überall rund um das Werk. Heute gibt es keine mehr. Die, die derzeit im „Pompelhaus“ zu sehen ist, kommt aus Differdingen.

Für den baulichen Luftschutz (bombensichere Befehlsstellen, werkseigene Beobachtungstürme, Luftschutzbunker, Löschteiche und Splittergräben) war der „Werkluftschutzleiter“ zuständig. Er stand mit dem „Luftschutzwarndienst“ in Verbindung und war zuständig für das Auslösen des Fliegeralarms.
Als eine der großen Luxemburger Industrieanlagen war das Schifflinger Werk damals mit wenigstens drei Luftschutzbunkern ausgerüstet. Die drei Bunker waren strategisch so über das Gelände verteilt, dass möglichst viele Arbeiter möglichst schnell einen der drei aufsuchen konnten.

Teil der Unterkellerung des  Standortes

„Die Bunker sind Teil einer gewaltigen Unterkellerung des gesamten Standortes“, wissen Alain Günther und Vic Merens vom „Musée Schëfflenger Schmelzaarbechter“. Genau wie über dem Boden, so sei, in der Geschichte des Werks, auch darunter immer wieder hinzugebaut, ausgebaggert, neugebaut und wieder zugemauert worden. Es gibt viele 100 Meter lange Tunnels für Kabel und Rohre, wie auch unzählige Räume, die als Lagerstätte genutzt wurden. Besonders tief unter der Erde sind sie jedoch nicht.

Gedacht worden war jedoch auch an die, die beim Aufheulen der Werkssirene zu weit von den drei Hauptbunkern entfernt waren. Quer über das riesige Werksgelände gab es in einigen Kellern noch kleinere, versteckte Bunker oder „Schutzecken“, in denen um die zehn Personen Schutz vor Bombensplittern finden konnten, weiß Vic Merens erzählt. „Die sind aber heute nicht mehr zu finden.“ Auf dem entfernteren Gelände, etwa auf den Schlackenhalden, wurden sogenannte „Splitterschutzzellen“ aufgestellt. Diese zylindrischen Konstruktionen aus Metall standen auf dem freien Feld und boten einigen Personen Schutz vor Bombensplittern. Auch davon gibt es heute jedoch keine mehr.

165 nummerierte Sitzplätze gab es in diesem Bunker
165 nummerierte Sitzplätze gab es in diesem Bunker

Doch während die einstigen Luftschutzbunker in Esch mittlerweile praktisch alle abgetragen, zugeschüttet, oder zumindest verschlossen wurden, sind zwei der drei auf dem Gelände des Schifflinger Werks – für die, die sich auskennen – immer noch zugänglich.

Dunkel ist es in den Kellern. Feuchtigkeit macht sich breit. Als vor rund 150 Jahren mit dem Bau der Industrieanlage begonnen wurde, war hier Sumpfgebiet. Der erste der vier Hochöfen, die sogenannte „Metzeschmelz“, wurde am 10. Oktober 1871 angefeuert. Die beiden Industriellen Norbert Metz und Victor Tesch waren die Bauherren. Vor rund zehn Jahren, im September 2011, wurde der Strom dann abgeschaltet. Seitdem ist alles sich selber überlassen.

Der Bunker erinnert an einen alten Eisenbahntunnel
Der Bunker erinnert an einen alten Eisenbahntunnel

Versteckt in der Stützmauer, hinter einigen ehemaligen Lagerräumen und alten Gängen, befindet sich der wohl größte der drei ehemaligen Bunker. Er erinnert an einen alten, langen, eingleisigen Eisenbahntunnel, durch den ein Fahrradweg führt. Auf beiden Seiten waren Holzbänke angebracht (die heute teilweise noch zu sehen sind), auf denen es 165 nummerierte Sitzplätze gab.

Wann genau dieser, oder die anderen beiden Bunker, errichtet wurden, wissen auch die ehemaligen Mitarbeiter des Werks, die heute das Museum betreuen, nicht. „Ursprünglich wurde der Kellerraum wohl nicht als Bunker gebaut“, meint Vic Merens. Dann habe man zu gegebener Zeit wohl doch entschieden, dass der Schutz dort ausreichend sei, und die Räumlichkeit wurde zum Bunker umgebaut.

Aus Bunker wurde Lagerraum

Aus- oder Eingänge hat der etwas weniger als 100m lange Bunker gleich mehrere. Mal hin in den Keller, mal hin zu einem langen Tunnel für die Rohre mit Kühlwasser. Jeweils geschützt von einer oder zwei Türen aus Metall. Eingebaut in die Türen war ein von einer Metallplatte geschütztes „Guckloch“.

Angeschlossen an den langen, schmalen Raum mit den Bänken war ein Sanitätsraum. Die hier gefundene Liste von Telefonnummern für den Notfall ist heute im Werksmuseum zu sehen. Auch gab es früher hier eine Entgasungsanlage. Es galt, auch für den Fall von Angriffen mit Giftgas gerüstet zu sein. Extrafilter zur Entlüftung von Giftgas soll es auch gegeben haben. Nach dem Krieg wurde die Form des Raumes beibehalten. Er wurde, gemeinsam mit den übrigen Kellerräumen der Umgebung, während Jahrzehnten als Lagerraum benutzt.

Schild aus dem Bunker, das im Museum zu sehen ist 
Schild aus dem Bunker, das im Museum zu sehen ist 

Der zweite Bunker befindet sich einige hundert Meter entfernt. Er war früher durch zwei Eisentüren direkt von außen zu erreichen. Gleichzeitig liegt er, geschützt, mehrere Meter unter einer Straße. Erinnern tut er an ein metallenes Rohr, an ein langes, schmales U-Boot.

Später wurde dieser zweite Bunker von der Buchhaltung als Lager für Dokumente genutzt. Auch heute noch ist er vollgestopft mit alten Papieren. Höchstwahrscheinlich wurden die rund 50 Jahre alten Dokumente einfach vergessen, als das Werk 2011 seine Tätigkeit einstellte. Mittlerweile abhandengekommen sind drei der ehemaligen vier Türen, aber auch das scheint die Dokumente nicht zu stören. In diesem Bunker haben die ehemaligen Mitarbeiter Schilder mit Regeln, die im Ernstfall einzuhalten waren, gefunden. Auch die befinden sich mittlerweile im Werksmuseum.

Der zweite Bunker erinnert an ein metallenes Rohr, an ein langes, schmales U-Boot. Die Dokumente stammen aus der Nachkriegszeit.
Der zweite Bunker erinnert an ein metallenes Rohr, an ein langes, schmales U-Boot. Die Dokumente stammen aus der Nachkriegszeit.

Den dritten Bunker müsste es auch immer noch geben. Jedoch ist er nicht mehr zugänglich. Die ehemaligen Mitarbeiter des Werks wissen noch genau, wo er sich befindet. Mitten unter einer der riesigen Hallen, in denen einst Hunderte Menschen arbeiteten, um Draht herzustellen.

Eingang einfach mit Schutt zugeschüttet

Irgendwann vor vielen Jahrzehnten wurde der Eingang einfach mit Schutt zugeschüttet. Doch das ist lange her. Auch von ihnen war nie jemand dort. „Hätte man während einem Tag einen Bagger, dann könnte man mehr erfahren“, wünschen sie sich.

Schilder mit Anweisungen, die im Ernstfall befolgt werden mussten
Schilder mit Anweisungen, die im Ernstfall befolgt werden mussten

Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass die betreffenden Bunker nicht oft in den Einsatz gekommen sind. Während die Luxemburger Hüttenwerke, und somit auch die Stadt Esch, im Ersten Weltkrieg zu den beliebten strategischen Zielen der alliierten Bombenangriffe zählten, ist das ganze Land im Zweiten Weltkrieg von dieser Art der Angriffe relativ verschont worden. Abgesehen von beispielsweise ein paar verheerenden Luftangriffen auf den Bahnhof von Luxemburg-Stadt, und den von Bettemburg. Benutzt wurden die Bunker wahrscheinlich vor allem bei Luftschutzübungen, oder wenn alliierte Flieger die Stadt in Richtung Deutschland überflogen.

Zukunft bleibt ungewiss

Gilt noch zu bemerken, dass das Schifflinger Werk in den ersten Tagen des Krieges, während dem Einmarsch der Deutschen und dem Versuch der Franzosen, diesen aufzuhalten, von Granaten nicht verschont wurde. Eine Karte dieser Einschläge ist ebenfalls im Werksmuseum zu sehen.

Wie es in Zukunft mit den Bunkern weitergehen wird, ist ungewiss. Für die langfristige Zukunft des Standorts gibt es mittlerweile große Pläne. Das ganze, 62 Hektar große Gelände soll neu genutzt werden. Ende 2020 haben der Staat, ArcelorMittal sowie die Gemeinden Esch/Alzette und Schifflingen offiziell beschlossen, Agora mit dieser Aufgabe zu betrauen. Ähnlich wie in Esch-Belval, soll auch auf diesem früheren Industriestandort ein neues Stadtviertel entstehen. Bis zu 10.000 Menschen sollen künftig hier leben. Ob einer oder mehrere dieser Bunker beim Umbau erhalten bleiben sollen, ist ungewiss. Geplant scheint es jedenfalls nicht zu sein.

Das Museum

An die stolze Geschichte des Standorts erinnert heute ein Museum auf dem Werksgelände. Eine beachtliche Sammlung von allen möglichen Objekten rund um die Luxemburger Stahlindustrie haben die Mitglieder der Amicale „Schëfflenger Schmelzaarbechter“ zusammengetragen. ArcelorMittal stellt ihnen die Räumlichkeiten kostenlos zur Verfügung. Interessierte können es an jedem ersten Samstag im Monat oder auf Nachfrage (Telefon: 621 207 845) kostenlos besichtigen.

Eingebaut in die Türen der Bunker war ein von einer Metallplatte geschütztes „Guckloch“
Eingebaut in die Türen der Bunker war ein von einer Metallplatte geschütztes „Guckloch“
Einer der Eingänge des ersten Bunkers
Einer der Eingänge des ersten Bunkers