SozialwahlenDie Grenzgänger sind der Schlüssel

Sozialwahlen / Die Grenzgänger sind der Schlüssel
 Foto: Tageblatt/Grafik

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Weniger als zwei Wochen bleibt luxemburgischen Arbeitnehmern noch, um ihre Stimme in den aktuellen Sozialwahlen abzugeben. Bei der Wahl zur „Chambre des salariés“ (CSL) spielen Grenzgänger und Nicht-Luxemburger eine entscheidende Rolle.

Die größte und demokratischste Wahl Luxemburgs ist gleichzeitig auch die nicht-luxemburgischste Wahl. 616.754 Angestellte, Auszubildende und Rentner sind in diesem Jahr bei den Sozialwahlen am 12. März wahlberechtigt. Eine Hälfte dieser 616.754 sind Grenzgänger. Aus Frankreich, Deutschland, Belgien. Die andere Hälfte lebt in Luxemburg – viele von ihnen ohne luxemburgische Staatsbürgerschaft. 

Grenzgänger, die große Unbekannte

Bei der Wahl zur Arbeitnehmerkammer zeigt sich deutlich, wie international der luxemburgische Arbeitsmarkt über die Jahre geworden ist. In der Berufsgruppe 2, der Industrie jenseits von Eisen und Stahl, gibt es in diesem Jahr beinahe 32.000 Wahlberechtigte. Nur 9.000 von ihnen leben in Luxemburg. Auch im größten Sektor des Landes, Gruppe 5, den Dienstleistungen, stellen die Grenzgänger die Mehrheit – mit mehr als 120.000 Angestellten. Die Grenzgänger und Nicht-Luxemburger, die bei keiner anderen Wahl im Großherzogtum wählen dürfen, sind der Schlüssel bei den Sozialwahlen. Und die große Unbekannte. Denn unter ihnen ist die Wahlbeteiligung mit Abstand am geringsten.

Bei der vergangenen Sozialwahl im Jahr 2019 gaben gerade einmal 33 Prozent aller Wahlberechtigten ihre Stimme ab. Viele luxemburgische Arbeitnehmer, die nicht in Luxemburg leben und keine luxemburgische Staatsbürgerschaft besitzen, wissen bis heute nicht, dass sie bei den Betriebsratswahlen und der Wahl zur CSL wahlberechtigt sind. Aus diesem Grund hat die CSL eine breite Informationskampagne gestartet, über Social Media, in der Grenzregion und auch mit Erklärvideos in verschiedenen Sprachen, die sich an die Zielgruppe der Grenzgänger richten. „Wir sind zuversichtlich, dass wir die Wahlbeteiligung dieses Mal gesteigert bekommen“, sagte der CSL-Direktor vor einigen Wochen gegenüber dem Tageblatt. Ob das gelingt, hat sehr viel mit der Frage zu tun, inwiefern es den Gewerkschaften gelingen wird, deutlich mehr Grenzgänger und Nicht-Luxemburger zu mobilisieren. Ohne deren Stimmen wird eine Steigerung der Wahlbeteiligung schwer. LCGB-Präsident Patrick Dury hatte im Interview mit dem Tageblatt bereits angekündigt: „Hauptkonkurrent sind die, die nicht gewerkschaftlich organisiert sind.“

Was die Wahlbeteiligung beeinflusst

Herkunft und Wohnsitz sind ein entscheidender Faktor für die Wahlbereitschaft. Eine Arbeitnehmerkammer gibt es in Luxemburgs Nachbarländern mit Ausnahme des Saarlandes nicht. Die allermeisten Grenzgänger sind deshalb mit dem Konzept der CSL nicht vertraut. Die Mobilisierungsquote in den einzelnen Berufsgruppen der Kammer hängt aber auch damit zusammen, wie stark die Gewerkschaften in diesen Sektoren sind und wie viele Arbeitnehmer gewerkschaftlich organisiert sind. Bei den Sozialwahlen 2019 war der Spitzenreiter Gruppe 5, die Nationale Eisenbahngesellschaft. Hier gaben 64 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme ab. Eine gute 50-Prozent-Quote hat auch Gruppe 1, die Eisen- und Stahlindustrie, ein Sektor, in dem die Gewerkschaften lange und stark vertreten sind. Aber auch im Gesundheits- und Sozialsektor gaben 2019 fast zwei Drittel der Arbeitnehmer ihre Stimme ab. Ein möglicher Grund: Vor der Wahl hatten die Pflegekräfte gestreikt, die gewerkschaftliche Mobilisierung war hoch.

Besonders wenig Menschen hingegen wählten 2019 im Dienstleistungssektor, historisch kein starkes Gewerkschaftsterrain und mehrheitlich von Grenzgängern und Nicht-Luxemburgern dominiert. Aber die Trennung verläuft nicht einfach zwischen „white collar“ und „blue collar“, zwischen Angestellten und klassischen Arbeitern. Die zweitschlechteste Wahlbeteiligung fand sich 2019 in Gruppe 3, dem Bauwesen. Hier wählte nur ein Viertel. Im Bauwesen ist auch der Anteil der luxemburgischen Staatsbürger verhältnismäßig gering. Etwa ein Drittel der Wahlberechtigten sind Portugiesen. Von diesen 15.000 gaben 70 Prozent keine Stimme ab. Noch schlechter ist die Quote bei den Franzosen. 9.300 Menschen mit französischer Staatsbürgerschaft arbeiten im Baugewerbe. Nur knapp 1.500 wählten bei den letzten Sozialwahlen. Das sind 16 Prozent.

Nationalität bzw. ihr Einfluss auf die Wahlbeteiligung transzendiert bei den Sozialwahlen Klassengrenzen. Im Finanzsektor bildeten die Franzosen 2019 mit 12.023 Wahlberechtigten die größte Gruppe. Nur 3.100 gaben ihre Stimme ab. 80 Prozent entschieden sich, nicht zu wählen.